"So kann man nicht mit dem Parlament umgehen"

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Nana Brink · 27.01.2011
Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat die "gereizte" Reaktion des Verteidigungsministers auf Fragen des Parlaments zu den jüngsten Vorfällen bei der Bundeswehr kritisiert. Außerdem betonte der, dass jetzt die Weichen für die Rückkehr der deutschen Soldaten aus Afghanistan gestellt werden müssten.
Nana Brink: Gestern stand Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Abgeordneten des Deutschen Bundestages in einer Aktuellen Stunde und dem Verteidigungsausschuss Rede und Antwort über die jüngsten zum Teil tödlichen Vorfälle in Afghanistan und die Zustände auf dem Segelschulschiff Gorch Fock. Der Auftritt des Publikumslieblings hat die Abgeordneten der Opposition zumindest nicht überzeugt, weniger in der Sache als im Tonfall, so scheint es: Er sei sehr gereizt gewesen. Und morgen im Bundestag wird es auch um eine wichtige Sache gehen, nämlich um die Verlängerung des Afghanistan-Mandats. Und dazu ist jetzt am Telefon Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, ehemals Außenminister. Einen schönen guten Morgen, Herr Steinmeier!

Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Brink: Der Verteidigungsminister hat gestern Informationspannen eingeräumt. Ist die Sache jetzt für Sie zumindest bei diesen jüngsten Affären erledigt?

Steinmeier: Nein, ganz sicher nicht. Das ist ja keine Kleinigkeit, um die es hier geht, da sind zwei junge Menschen gestorben, eine Soldatin auf der Gorch Fock und ein junger Soldat in Afghanistan. Die Umstände sind ebenso wenig aufgeklärt wie die Frage, warum in welchem Umfang Post durchsucht wurde, die Soldaten in Afghanistan an ihre Angehörigen nach Hause geschrieben haben. Dazu haben wir gestern wenig gehört, dafür aber eine Haltung des Verteidigungsministers, wie Sie sie eben beschrieben haben, einerseits gereizt, andererseits in der Haltung "Ich habe Recht und stellt mir keine unangenehmen und unbequemen Fragen". So kann man nicht mit dem Parlament umgehen, und das haben wir ihm gestern auch sehr deutlich gemacht.

Brink: Sie haben kritisiert, dass er nicht Manns genug sei, seine Fehler auch als solche einzugestehen. Was soll er denn konkret eingestehen?

Steinmeier: Es geht nicht um das Eingestehen von Fehlern, sondern was er hier erkennen muss: Die Maßstäbe, die er an seinen eigenen Vorgänger angelegt hat, muss er auch für sich selbst gelten lassen. Seinem Vorgänger hat er vorgeworfen, dass er mit einer Krise nicht angemessen umgegangen ist, dass er selbst nicht genügend informiert war, das Parlament und die Öffentlichkeit nicht sofort informiert hat. Wir erkennen nicht, dass sich sein Verhalten davon wesentlich unterscheidet, ganz im Gegenteil: Noch am vergangenen Freitag in seiner Rede im Bundestag hat er das Parlament beschimpft dafür, dass wir Konsequenzen fordern. Das sei zur Unzeit, zunächst müsse vernünftig aufgeklärt werden. Umso überraschter waren wir dann alle, dass wir am übernächsten Tage, am Sonntag, die Zeitung aufschlagen und sehen: Ohne dass Aufklärung betrieben worden ist, sind Konsequenzen gezogen worden. So kann man mit einem Parlament nicht umgehen. Diese Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und nur auf Zustimmung des Bundestages kann sie in schwierige Einsätze wie nach Afghanistan entsandt werden.

Brink: Und jetzt haben Sie das Stichwort genannt: Morgen geht es im Bundestag um Afghanistan, es geht um die Verlängerung. Die SPD hat Zustimmung signalisiert. Sie als Fraktionschef haben der Fraktion empfohlen, dem Mandat zuzustimmen, aber bei einer Art Probeabstimmung vorgestern haben rund ein Drittel der Abgeordneten der SPD eben dieses verweigert. Wieso konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Steinmeier: Ich glaube, da verzerren Sie jetzt die Optik etwas, sondern das, was doch eigentlich das Erstaunliche ist, …

Brink: Nein, die Optik nicht, das Ergebnis war relativ eindeutig.

Steinmeier: Die Optik kommt dadurch zustande, Ihre Optik kommt dadurch zustande, dass Sie den Vergleich mit den Abstimmungen der letzten Mandate nicht machen. Wir hatten auch zu den Zeiten, als wir regiert haben, in der eigenen Fraktion Abweichler, Abgeordnete, die damals nicht zustimmen konnten aus Gewissensgründen, weil sie pazifistische Überzeugungen haben, viele Motivationen. Wir haben erstaunlicherweise bei der Abstimmung, die morgen im Parlament ansteht, kaum mehr Nein-Stimmen als wir sie beim letzten Mal gehabt haben, ich glaube, beim letzten Mal waren es etwa 16, ich habe 18 gezählt bei der Probeabstimmung, und wir müssen mal sehen, wie sich das morgen im Parlament darstellt.

Brink: Aber das kann Sie doch als Fraktionschef nicht glücklich machen.

Steinmeier: Es geht ja nicht um Glück, sondern es geht um die Frage, ob man den eigenen Laden zusammenhält, und das ist der Fall.

Brink: Im Mandat steht: Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können. Was passt Ihnen denn nicht daran? Sie haben es kritisiert.

Steinmeier: Sehen Sie, dieses Mandat und seine Formulierung hat eine längere Geschichte. Wir haben im vergangenen Jahr bei der Verlängerung des Mandates im Januar 2010 gesagt: Zehn Jahre nach Beginn des Einsatzes – und das hatte seine Gründe damals nach dem Attentat in den USA mit 3000 Toten –, zehn Jahre nach Beginn eines Einsatzes in Afghanistan, eines Einsatzes, mit dem wir uns ja selbst auch zu schützen versucht haben vor islamistischen Attentaten hier in Europa, auch in Deutschland, glücklicherweise waren wir nicht betroffen, anders als Madrid oder London, aber zehn Jahre nach dem Beginn eines solchen Einsatzes muss man die Weichen stellen, dass die Soldaten auch wieder zurückgeführt werden können. Das sollte kein Wettlauf sein zwischen den Nationen, sondern das sollte nach dem Muster geschehen: Wir sind da gemeinsam rein mit vielen Verbündeten in der NATO, und wir müssen versuchen, auch gemeinsam diesen Einsatz zu beenden. Sehen Sie, nachdem die NATO jetzt 2014 als Enddatum genannt hat, sage ich, sagen wir: Wenn das glaubwürdig ist, dann müssen wir jetzt in diesem Jahr die Weichen dafür stellen, deshalb war uns das Jahr 2011 wichtig.

Brink: Aber ich darf Ihnen vorlesen, was Sie im September 2009, da waren Sie noch Außenminister, gesagt haben: Eine konkrete Jahreszahl könnte in Afghanistan von den Falschen als Ermutigung verstanden werden. Warum stehen Sie jetzt nicht mehr dazu?

Steinmeier: Ja. Ich stehe völlig dazu, das ist nicht das Problem. Wissen Sie, im Jahre 2009 waren wir in einer Diskussion, Sie müssen den Zusammenhang herstellen, in dem die Niederlande gesagt haben, wir gehen da jetzt einseitig raus, als wir hier in Deutschland eine Diskussion hatten, wenn die Niederländer gehen, dann gehen wir auch. Und so kann man mit einem solchen verantwortungsvollen Einsatz in der Tat nach meiner Überzeugung nicht umgehen, damals nicht und heute nicht. Deshalb war mein Grundsatz: Wenn wir diesen Einsatz beenden, dann können wir ihn nur gemeinsam beenden. Dafür haben die NATO-Staaten auf dem Gipfel in Lissabon im September vergangenen Jahres die Weichen gestellt, und in die Beendigung des Einsatzes werden wir uns jetzt einreihen. Die Amerikaner werden für sich beschließen, den Rückzug der amerikanischen Soldaten in diesem Jahr zu beginnen, und die Deutschen dürfen sich da nicht anders verhalten. Deshalb haben wir den Schwerpunkt auf 2011 gelegt.

Brink: Eine letzte Frage noch: Wird die SPD dann 2012 einer Verlängerung des Mandats zustimmen, wenn 2011 aus vielleicht aktuellen Gründen ein Abzug nicht möglich ist?

Steinmeier: Sehen Sie, dieses Mandat, wenn wir dem zustimmen, steckt da ein bisschen Kredit drin, denn die Bundesregierung sagt, sie sei zuversichtlich, dass der Rückzug 2011 beginnen kann.

Brink: Aber wenn er nun nicht passiert?

Steinmeier: Ja, das ist eben der Kredit. Deshalb liegt es an der Haltung der Bundesregierung, zu beweisen, dass sie das auch wirklich will, und den Rückzug beginnt. Wenn sie es nicht tut, dann wird es mit einer Zustimmung mit der SPD beim nächsten Mandat schwierig, das weiß die Bundesregierung aber auch.

Brink: Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag. Einen schönen Dank für das Gespräch!

Steinmeier: Tschüss, wiedersehen!