"So eine Art von Haider wird dann schon bereitstehen"

Moderation: Gabi Wuttke · 14.06.2005
Nach Auffassung des Kolumnisten Harald Martenstein könnte sich nach einem Regierungswechsel im Herbst bald wieder ein Gefühl von Chaos und Verdruss in der Bevölkerung breit machen. Sollte der Eindruck entstehen, die neue Regierung sei den Aufgaben nicht gewachsen, könnte die Situation von Rechtspopulisten ausgenutzt werden.
Gabi Wuttke: Wenn Konstantin Wecker glaubt "wir brauchen keine Reform, wir brauchen eine Revolution", denken Sie dann: ganz klarer Fall von Drogenrückfall, ab in den Papierkorb oder gehört das für Sie auch aufs Korn genommen?

Harald Martenstein: Ich habe auch, als Sie mir das eben gezeigt haben, gedacht, jetzt kokst er wieder, aber das ist wahrscheinlich nicht der Fall, es ist nur so, dass bestimmte Reflexe sich im Laufe eines langen Menschenlebens so tief einschleifen, dass man sie eben immer wieder bringt, so wie Mike Tyson eben immer wieder in Schlägereien verwickelt werden wird, so wird Konstantin Wecker immer wieder nach einer Revolution rufen.

Wuttke: Haben Sie ähnliche Reflexe?

Martenstein: Bestimmt auch, aber nicht den, nach einer Revolution zu rufen. Ich denke, in der gegenwärtigen Situation ist das sogar ein bisschen gefährlich. Ich habe das Gefühl, wenn dieser Machtwechsel, den jetzt alle prognostizieren und der wahrscheinlich kommen wird, eintritt und die Neuen schaffen es dann wieder nicht und es wird sich wieder ein Gefühl des Chaos und des Verdruss breit machen, dann könnte tatsächlich eine revolutionäre Stimmung entstehen, dann wird so ein, vermute ich mal, prophezeie ich, Rechtspopulismus kommen und irgendsoeine Art von Haider wird dann schon bereitstehen bei uns. Das ist aber keine so angenehme Perspektive. Aber zur Revolution wird es nicht reichen, glaube ich.

Wuttke: Es gibt Menschen, die vor kurzem noch daran gedacht hätten, alles zu wählen, aber nicht die CDU und CSU und die zeigen sich jetzt anknüpfend an das, was Sie gesagt haben, auch dazu bereit, eine der beiden Parteien zu wählen, selbst wenn sie einschränkend sagen, besser können die es auch nicht, aber hoffentlich wird es dann nicht schlechter. In welchem Zusammenhang sehen Sie solche Menschen, wo ist da der Glaube und die Sehnsucht?

Martenstein: Es fallen ja mehrere Dinge auf an der gegenwärtigen Situation, zum Beispiel wir haben etwa 70 Prozent der Deutschen, die vor relativ kurzer Zeit gegen den Irakkrieg gewesen sind, eine riesige Mehrheit. Und mit einer ähnlichen Mehrheit sind über 60 Prozent der Deutschen jetzt dafür, die Regierung abzulösen, die meisten wollen ja so eine Wende zu Schwarz-Gelb hin, aber es gibt ja dann auch noch diese neue Linkspartei. Kurz und gut, das sind zwei Fragen, in denen eine riesige Mehrheit einerseits einverstanden ist oder war mit Schröder, oder auf der entgegengesetzten Seite steht. Das heißt, es ist das gleiche Volk. Meine These ist, dass wir kulturell, was unsere Art des Lebens, Fühlens angeht, eigentlich rot-grün sind, es führt hinter 68 gar kein Weg zurück.

Wuttke: Also doch keine linken Hände?

Martenstein: Wir sind in gewisser Weise links geworden, stellen Sie sich mal vor, Helmut Kohl lebt in wilder Ehe, das sagt doch schon alles, aber wir haben eine gewisse Sehnsucht nach dem handwerklich gut gemachten und da komme ich wieder auf manufactum zu sprechen, was vorhin in der Glosse so eine gewisse Rolle gespielt hat. Wir wollen, dass es gut gemacht und nicht geschludert ist. Das, was sehr viele Leute, auch Leute, die vielleicht politisch damit sympathisieren, dieser Regierung vorwerfen, ist der ständige Zickzackkurs, das Gefühl, es muss ständig nachgebessert werden, es fällt auseinander, wenn man anfängt, damit arbeiten zu wollen. Das ist das Problem.

Wuttke: Das heißt, wenn man vermeintliche Kontinuität verspricht, dann kann man es beim Wähler besser haben, als wenn man die eine oder andere Sache immer wieder versucht, zu justieren?

Martenstein: Kontinuität bedeutet ja, dass man eine ganz bestimmte Sache ankündigt, diese dann versucht, handwerklich gut und solide umzusetzen und sie dann durchzieht und hinterher betrachtet, was daraus geworden ist. Das haben wir relativ selten erlebt im zurückliegenden Jahr.

Wuttke: Es kann doch aber genauso gut sein, dass ich ankündige, das ist der Weg, davon rücke ich nicht ab, eigentlich ist klar, man müsste, aber der Kurs der Kontinuität, den ich öffentlich verspreche, hieße nach ihrer These, damit habe ich allemal mehr Chancen, die Wähler bei der Stange zu halten, als das jetzt bei Rot-Grün der Fall gewesen ist.

Martenstein: Ja, ich sehe das so. Margaret Thatcher zum Beispiel hat ja deswegen Erfolg gehabt, weil sie das durchgezogen hat, was sie durchziehen wollte und sich dabei nicht hat beirren lassen. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, ob das irgendetwas nützt, aber es wurde uns versprochen, es auszuprobieren, es wurde aber nicht ausprobiert, stattdessen haben wir einen Zickzackkurs erlebt.

Wuttke: Sie glauben jetzt, irgendwann in ferner Zukunft könnte tatsächlich so etwas wie ein Jörg Haider stehen?

Martenstein: Das Potenzial dazu ist sicher vorhanden, was die deutschen Wähler betrifft. Die deutsche Rechte und die populistische deutsche Rechte, hat ja die angenehme Eigenschaft, sich immer wieder selbst zu zerfleischen und ihrer eigenen Unbeständigkeit zum Opfer zu fallen, Gott sei dank, kann man sagen, aber die Möglichkeit besteht natürlich.

Wuttke: Rangieren für Sie Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auch auf der anderen Seite der Populisten oder ist das mit dem Linksbündnis eine ganz andere Geschichte?

Martenstein: Da habe ich eine Sache wirklich bewundert, was das publizistische Echo angeht. Wir haben vorhin über Populismus gesprochen und darüber, dass es vielleicht bald eine rechte Spielart des Populismus geben wird, aber man muss natürlich sehen, dass in allen politischen Lagern sehr viele Populisten zugange sind, dass ein gewisses Maß an Eitelkeit einfach dazu gehört, wenn ich Politiker sein möchte und dass natürlich auch dazugehört, dass ich gerne im Rampenlicht stehe, sonst bin ich für diesen Job wahrscheinlich nicht geeignet. Mich hat gewundert, dass jetzt alle Gysi und Lafontaine so die typischen Politikereigenschaften vorwerfen, dass sie sich nach vorne drängeln, dass sie gerne in den Talkshows sitzen ... ja, mein Gott, wer sitzt denn nicht gerne in den Talkshows? Alle tun sie es doch. Und ist Merz irgendwie weniger eitel als Gysi und nicht so gerne in der Talkshow und bei Christiansen? Nein, das sehe ich nicht. Also, da ist viel Heuchelei im Spiel, was die Einordnung dieser Leute angeht. Die Richtung passt einem nicht und dann hackt man auf dem Stil dieser beiden herum. Das ist nicht fair.

Wuttke: Ist es eigentlich fair, jetzt schon die rot-grünen Nachrufe in Konvoluten zu veröffentlichen? Der Patient atmet doch noch.

Martenstein: Das ist eine gute Frage, denn wir haben ja bei der letzten Wahl erlebt, dass es Schröder noch mal gedreht hat und da waren auch schon zahlreiche Leitartikel erschienen, die sagten, die Regierung hat keine Chance.

Wuttke: Da gab es noch kein Hochwasser.

Martenstein: Ja, aber ich glaube, diesmal wird es mit dem Hochwasser nicht reichen. Ich habe mal versucht, gibt es ein Szenario, das diese Regierung retten könnte und ich glaube, das müsste ein Tsunami sein, bei dem nur Kreuzberg und Bochum verschont bleiben. Da sehe ich gute Chancen für Rot-Grün.

Wuttke: Im letzten Jahr sind gesammelte Kolumnen von Ihnen erschienen, sie heißen "Vom Leben gezeichnet" und da haben Sie bedauert, dass in Deutschland politische Kolumnen nicht besonders beliebt sind. Hat sich das seit dem 22. Mai in einer Form verändert, nehmen Sie das anders wahr, wird da nachgefragt, schreiben Sie direkt politischer als normalerweise?

Martenstein: Es gibt da kurzfristige Konjunkturen. Ich werde sicher in den Wochen vor der Wahl häufiger politische Texte schreiben, als ich das normalerweise tue, aber diese Diagnose betraf nicht mich sondern die Publizistik in Deutschland allgemein, die anders ist als in angelsächsischen Ländern. Bei uns liegt das Schreiben über Politik in den Händen einer Expertengruppe und man hat es nicht so gerne, wenn Quereinsteiger sich politisch äußern. Das ist in den meisten Medien so. In der praktischen, handelnden Politik ruft man immer nach den Quereinsteigern, aber in den Zeitungen und Zeitschriften hat man es glaube ich nicht so gerne.