Smarte Senioren

Von Thomas Gith · 02.10.2012
Statt in Heimen und Wohnanlagen sollen Senioren in den eigenen vier Wänden altern - und dabei so lange es geht selbstständig, gesund und mobil sein. Das ist das Ziel des "Smart Senior Projekts", bei dem Wohnungen komplett vernetzt werden.
Alte Menschen sollen zu Hause bleiben – das zumindest ist das Ziel eines interdisziplinären Forschungsprojektes. Statt in Heimen und Wohnanlagen sollen sie die Senioren in den eigenen vier Wänden altern - und dabei so lange es geht selbstständig sein. Möglich wird das durch allerlei Technik – in einer komplett vernetzten Wohnung: Videokonferenzen mit dem Arzt sind möglich, Physiotherapie vor dem Bildschirm oder ein automatischer Gesundheitscheck. Ausgedacht haben sich das 28 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft – gefördert vom Bundesforschungsministerium.

Mehrere hundert Menschen drängen sich durch das con.vent Center in Berlin Adlershof. Sie alle sind gekommen, um sich die Ergebnisse des Smart Senior Projekts anzusehen. Auch Klaus-Dieter Lück ist dabei. Der 67-jährige steht vor einem großen Flachbildschirm, auf dem ein Comic-Boot durch einen reißenden Fluss fährt. Konzentriert blickt er auf den Bildschirm, windet seinen Oberkörper umher. Genau so ist es auch gedacht, sagt Fraunhofer-Forscher Michael John.

"Die Aufgabe ist jetzt hier eben, durch diesen Slalomparcour zu fahren und eben mit dem Körper das Boot zu lenken."

Über dem Bildschirm ist eine Kamera angebracht, die alle Bewegungen von Klaus-Dieter Lück filmt. Eine Software erkennt die Bewegungsrichtungen, gibt sie als Befehle an das Spiel weiter – das Boot fährt entsprechend links oder rechts, weicht so Felsen im Fluss und tief hängenden Ästen über dem Wasser aus. Michael John.

"Wir haben dieses Programm entwickelt zusammen mit Medizinern aus der Charité, mit Sensorikpartnern, mit Spieleherstellern und Ziel war es, nach den medizinischen Anforderungen von Physiotherapeuten einerseits ein Therapieprogramm zu entwickeln, wo man also etwas trockenere Physiotherapieübungen macht, aber eben auch spielerisch an die Sache herangeht und zum Beispiel so ein Motorboot steuert."

Es ist eine von Dutzenden Anwendungen, die im Smart Senior Projekt entwickelt wurden. Ein großes Ziel dabei: Die alten Menschen sollen in den eigenen vier Wänden gesund und mobil bleiben. Und für Klaus-Dieter Lück geht diese Überlegung auf – er ist von dem Physiotherapie-Spiel angetan.

"Wenn der Arzt einem sagt, sie müssen sich mehr bewegen, also meinetwegen Oberkörper oder was auch immer, wer macht das schon zu Hause, das tut keiner. Ich weiß nicht ob sie das kennen, wenn der Therapeut sagt, bewegen sie sich mehr, das macht man nicht. Aber so ein spielerisches Element hier, das macht Spaß und ist schön, man tut was dafür."

Und Klaus-Dieter Lück muss es wissen: Schließlich ist er einer von knapp 200 Senioren, die an der Projektstudie teilgenommen haben. In seiner Potsdamer Wohnung wurde dafür viel neue Technik installiert: Über einen VDSL-Anschluss konnte er etwa Videokonferenzen mit dem Arzt halten und Puls sowie Gewicht mit Sensoren automatisch erfassen lassen. Alles sehr sinnvoll, findet der Rentner.

"Jetzt bin ich 67, in zehn Jahren kann ich vielleicht nicht mehr so aus der Wohnung raus möglicherweise. Und wenn dann diese Dinge, alle auch preislich natürlich möglich sind, dann finde ich das eine tolle Idee und beflügelt mich doch, nicht ins Altenheim zu gehen sondern zu Hause möglichst lange zu bleiben, nicht."

Sinnvoll kann die Technik dabei etwa auf dem Land sein: Fehlt vor Ort ein Arzt, lässt sich per Videokonferenz zumindest das Grundbefinden prüfen. Blutdruck und Zucker messen die Senioren zu Hause mit automatischen Geräten, über Funk werden die Daten zum betreuenden Arzt geschickt. Und die Befürchtung, dass die Senioren so an ihre Wohnung gefesselt sind, hat sich nicht bestätigt, sagt Studienleiter Mehmet Gövercin von der Berliner Charité.

"Wir haben auch gesehen, dass diese Nutzung weder zu einer Verschlechterung der Mobilität geführt hat, man könnte sich ja überlegen, na, wird immer fauler, bleibt nur noch zu Hause und nutzt nur noch den Fernseher zu Hause. Nein, war nicht so. Die Senioren haben natürlich auch den Fernseher genutzt aber sie sind genauso mobil geblieben, sie hatten weiterhin soziale Kontakte und sie haben sich teilweise sogar verbessert in diesen Funktionen."

Ein internetfähiger Fernseher im Wohnzimmer war dabei das zentrale Gerät für die Senioren: Über ihn konnten sie die Videokonferenz mit dem Arzt aufrufen oder die Physiotherapie starten. Und gab es technische Probleme, konnten die Studienleiter aus der Ferne eingreifen, erläutert der Gesamtkoordinator des Projekts Michael Ballasch.

"Wir haben sozusagen für alles, was zu Hause installiert war, die Möglichkeit gehabt, aus dem Assistenzcenter den Status abzufragen, und auch, sag ich mal, ein Neustart durchzuführen oder ein Update von Software. Ohne, dass die Senioren jetzt anfangen mussten, eine Tastatur oder eine Maus in die Hand zu nehmen. Dass hat uns also an vielen Stellen einfach davor bewahrt, dass jemand vorbeikommen musste. Das konnten wir alles von der Ferne machen."

Ob so eine Fernbetreuung auch im Alltag möglich und finanzierbar ist, ist allerdings zumindest fraglich. Doch auch daran entscheidet sich, ob sich so eine vernetzte Wohnung durchsetzen wird. In der Studie zumindest ist die Technik von den Senioren gut angenommen worden, so das Fazit.
Auch die 83-jähirge Sigrid Gorn wusste deren Vorzüge zu nutzen - auf der Messe demonstriert sie das, in dem sie automatisch ihren Blutdruck messen lässt.

"Als Erstes lege ich die Manschette an. Ist die schon fest? Ja, ist schon fest. Dann drück ich hier auf Start, alles Weitere macht er allein."
Und schon wenige Sekunden später wird der Blutdruck der Rentnerin auf dem Display des Messgerätes angezeigt.

"190 zu 101. Ist aber nicht mein Blutdruck, zu Hause ist er anders."

Per Funk werden die Werte an ein Gesundheitsprogramm geschickt. Um das Programm auf dem Fernseher zu öffnen, gibt Sigrid Gorn eine Geheimzahl ein. Auf dem Display kann sie jetzt ihre Werte einsehen, sie mit den Messwerten der vergangenen Tage vergleichen. Und auch die Ärzte im Telemedizinzentrum können auf die Daten zugreifen, erzählt die Rentnerin.

"Wenn er jetzt so hoch gewesen wäre wie hier, hätte ich natürlich müssen meine Ärztin anrufen und sagen heute ist mein Blutdruck zu hoch. Aber das konnte man über Telemedizin dann befragen. Dann hab ich den angerufen und dann hat er mir gesagt, na ja, es ist ein bisschen erhöht aber tun sie noch mal prüfen, oder so. Dann kriegt man dann eine Anweisung von der Telemedizin."

Diese Gesundheitsdienste wurden übrigens besonders gut angekommen, sagen die Entwickler. Was floppte, war dagegen eine Online-Partnerbörse für die Senioren – da ist echtes Treffen beim Karten spielen vermutlich doch noch attraktiver als Flirten über die Videokonferenz.