Slowakische Begleiterscheinungen

07.05.2009
"Eskorta" handelt vom Aufstieg und Fall eines Call-Boys im turbokapitalisierten Bratislava: Der slowakische Autor Michal Hvorecky entspinnt ein Erotikon des Ostjungen als Warenfetisch gelangweilter Managergattinnen aus dem Westen. Es ist eine heiße bunte Groteske, die aber doch ab und an etwas mehr ins Schwarze kippen könnte.
Frauen, nichts als Frauen, alte, junge, blasse, gebräunte, laszive und direkte. Vor allem aber: reiche Frauen. Michal Kirchner hat sie alle. Als Luxus-Callboy schafft er an - ein Zufallsjob, nachdem er ins Blaue hinein auf eine Anzeige geantwortet hat.

Die Agentur "Eskorta" ist zufrieden mit dem blonden, polyglotten Mann. Schickt ihn ins Rennen, um Managergattinnen mit ennui zu bespielen. Seine erste Kundin – "sie roch stark und gut" – ist ausgerechnet eine Deutsche. Es folgen "einsame Koreanerinnen, gelangweilte Französinnen, verhärmte Amerikanerinnen und unglückliche Chinesinnen".

Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei, ist die Spielwiese Michal Kirchners. Hier ist der Westen über den Osten gekommen, hier regiert der neoliberale Lifestyle und lädt seine gelangweilten Botox- und Silikonikonen in den Armen des diskreten und gut gebauten Jungen aus dem Osten ab. Der lernt schnell, den Damen zu geben, was sie möchten – ob als Shoppingbegleiter oder Liebediener – und gewöhnt sich selbst mit erstaunlicher Rasanz an Pradaleibchen und Drogenkonsum.

Der Osten und die Prostitution: Man denkt an schlecht gefilmte Reportagen und an ein generelles "zu viel". Zu rote Lippen, zu hell gefärbte Haare, die Stiefel zu hoch und die Gestalten am Straßenrand zu traurig. Michal Hvorecky zeichnet hier das Gegenbild, auf ganzer Linie: Sein Protagonist nutzt den Westwind als Rückenwind und nutzt schlau sein Körperkapital – ein schönes Schelmenstück, herrlich, lustig.

Die Callboygeschichte steht im Kern des Romans, drum herum baut Michal Hvorecky eine grellbunte Biografie. Mit zwei Generationen homosexueller Vorfahren, die aus Alibigründen mit der Familienplanung begonnen haben stattet er seinen Protagonisten aus, aufgewachsen in einem bespitzelten Haushalt, zum Lügner erzogen und schon früh den Mechanismen des freizügigen Marktes auf die Spur gekommen.

Im Windschatten des immer schneller drehenden Warenfetisch wird Michal Kirchner selbst zu einem Luxusgut. Doch böser Vogel Jugend: der Call-boy wird älter, verliert jugendlichen Charme und Potenz und landet schließlich in der Restekiste seiner Agentur. "Eskorta" nimmt ihn sogar von ihrer Website. Der Todesstoß, würde sich der abgehalfterte Mittdreißiger nicht nach Berlin begeben, neu erfinden und in einem furios-seltsamen Finale sein Geschlecht wechseln. Aus Michal wird Michaela, die dann sogar ihre Gebärfähigkeit unter Beweis stellt.

"Eskorta" ist der dritte Roman des 1976 geborenen Slowaken Michal Hvorecky; der zweite, der nun auf Deutsch erschienen ist. Schon für "City", eine futuristische Vision über einen pornoabhängigen Internetsurfer, der aus Versehen die Weltrevolte anzettelt, wurde Hvorecky das Etikett verabreicht, im Zentrum einer neuen mitteleuropäischen Pop-Literatur zu stehen. Tatsächlich erzählt nun auch "Eskorta" - 20 Jahre nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges, 16 Jahre nach dem Ende der Tschechoslowakei – wenig über die tatsächlichen Verhältnisse in der Slowakei, sondern nutzt Bratislava als Schauplatz für ein Erotikon des Ostjungen als Warenfetisch gelangweilter Managergattinnen aus dem Westen. Hvorecky hat beileibe keinen Schlüsselroman zum slowakischen Wirtschaftswunder geschrieben, sondern ein Schelmenstück über Globalisierungsexzesse.

Bei dieser Art sexuell aufgeladener Groteske hat man es spätestens seit Michel Houellebecq oder dem Norweger Matias Faldbakken mit einem Genre zu tun. Doch gegenüber diesen Kollegen wirkt Hvoreckys überdrehte Gesellschaftsbespiegelung doch einigermaßen zahm. Bei all dem Bunt mag der Schwank nicht so recht ins Schwarze kippen – etwas, auf das man beständig wartet und das leider nicht passiert.

Selbst an dem Punkt, an dem Bosheit ein leichtes wäre - der Callboy verliebt sich ernsthaft in die minderjährige Tochter einer Kundin - wird es sogar pastellfarben. Eskorta: eine lesenswert heiße und bunte Groteske über die Begleiterscheinungen des Turbokapitalismus, die dann doch an manchen Stellen böser hätte ausfallen können.

Rezensiert von Katrin Schumacher

Michal Hvorecky: Eskorta
Roman, aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch, Klett Cotta / Tropen Verlag,
Stuttgart 2009, 250 Seiten, 19,90 Euro