Skurrile Alltagswelten
Mit bösem Witz nimmt der US-amerikanische Schriftsteller Adam Johnson im Band „Emporium“ die Verhältnisse in seinem Heimatland aufs Korn. In einer Erzählung geht es um ehrgeizige Mütter, die ihre Kinder zu Scharfschützen ausbilden lassen wollen.
Wenn auch einige Motive in den neun Erzählungen des Bandes „Emporium“ immer wiederkehren – Gewehre, Autos, Tiere –, wenn auch einige Themen mehrmals angeschlagen werden – Erwachsenwerden, Liebe und Verlust –, so lassen sich Adam Johnsons Geschichten doch nicht so einfach auf den Punkt bringen. Selbst mit der Floskel, sie seien „immer wieder überraschend“, läge man irgendwie daneben. Dafür nämlich sind sie in der Tat viel zu gut, als dass man sie so leichter Hand einordnen könnte. Absehbar ist in ihnen gar nichts, auch nicht die Überraschung.
Bestes Beispiel für den enormen Erfindungsreichtum des 1967 in South Dakota geborenen und in Arizona aufgewachsenen Adam Johnson ist gleich die erste Erzählung des Bandes, „Teen Sniper“. Sie spielt in einer Welt, der unseren keineswegs unähnlich, in der Mütter ihre Kinder zu Scharfschießwettbewerben zerren und Teenager bereits in jungen Jahren als Sniper im Polizeidienst arbeiten. Entsprechend verfügen die Scharfschützenkommandantinnen auch über einen Abschluss in Sozialpädagogik. Überhaupt geht es unter Scharfschützenteams sehr amerikanisch-politisch-korrekt zu: Sie „legen allgemein großen Wert darauf, niemanden zu diskriminieren“ und nehmen deswegen bevorzugt Afroamerikaner in die Teams auf.
Hier blitzt schon Adam Johnsons böser Witz auf, sein Hang zum Komisch-Absurden. Aber es kommt noch besser: Der hohe Bedarf an Scharfschützen kommt schließlich nicht von ungefähr; Erpressung und Geiselnahme scheinen in der Welt von „Teen Sniper“ sehr weit verbreitet zu sein, vor allem im kalifornischen Silicon Valley, wo der 15-jährige Erzähler dieser Geschichte im Einsatz ist. Hochbeschäftigt bewegt er sich von einem Firmensitz zum nächsten, von Oracle zu AOL und Hewlett Packard. Überall gilt es, sogenannte Kriminelle mit gezielten Schüssen zur Strecke zu bringen. Einer etwa droht damit, die Barcodes von HP zu löschen, wenn man ihn nicht auf einem fliegenden Teppich nach Karatschi bringt.
Kein Wunder, dass die zarte Psyche des jungen Erzählers angesichts solcher Aufträge ein wenig aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Er muss ja nicht nur Erpresser und Irre erschießen, überdies kämpft sein 15-jähriges Herz mit den ersten heftigen Flammen der Liebe, und „so viele Möglichkeiten gibt es nun mal nicht, jemandem mit einem Gewehr seine Zuneigung zu zeigen“.
Wie hier die Unbilden des Erwachsenwerdens der eigentliche Gegenstand sind, so handeln andere Erzählungen von der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen oder vom Verlust der Mutter. Eingebettet sind sie ebenfalls in die Beschreibungen skurriler Alltagswelten: Von einem Mann ist da die Rede, der dafür verantwortlich ist, nachts im Zoo die überzähligen Tiere zu erschießen, von einer Familie, die illegale Spielautomaten im See versenkt, von einer Selbsthilfegruppe für Krebspatienten, die es noch einmal so richtig krachen lässt, oder von einem Mann, der schusssichere Westen verkauft und, da ihm die großen Kaufhäuser allmählich das Geschäft abgraben, mit einer schusssicheren Babytragetasche wieder versucht Fuß zu fassen.
Adam Johnson erzählt all das auf ganz natürliche Weise, lustig, rührend und so, dass, ganz beiläufig, jedes Wort – wie der Schuss eines Scharfschützen – genau sitzt.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Adam Johnson: Emporium. Storys
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind Verlag, München 2010, 288 Seiten, 18,90 Euro
Bestes Beispiel für den enormen Erfindungsreichtum des 1967 in South Dakota geborenen und in Arizona aufgewachsenen Adam Johnson ist gleich die erste Erzählung des Bandes, „Teen Sniper“. Sie spielt in einer Welt, der unseren keineswegs unähnlich, in der Mütter ihre Kinder zu Scharfschießwettbewerben zerren und Teenager bereits in jungen Jahren als Sniper im Polizeidienst arbeiten. Entsprechend verfügen die Scharfschützenkommandantinnen auch über einen Abschluss in Sozialpädagogik. Überhaupt geht es unter Scharfschützenteams sehr amerikanisch-politisch-korrekt zu: Sie „legen allgemein großen Wert darauf, niemanden zu diskriminieren“ und nehmen deswegen bevorzugt Afroamerikaner in die Teams auf.
Hier blitzt schon Adam Johnsons böser Witz auf, sein Hang zum Komisch-Absurden. Aber es kommt noch besser: Der hohe Bedarf an Scharfschützen kommt schließlich nicht von ungefähr; Erpressung und Geiselnahme scheinen in der Welt von „Teen Sniper“ sehr weit verbreitet zu sein, vor allem im kalifornischen Silicon Valley, wo der 15-jährige Erzähler dieser Geschichte im Einsatz ist. Hochbeschäftigt bewegt er sich von einem Firmensitz zum nächsten, von Oracle zu AOL und Hewlett Packard. Überall gilt es, sogenannte Kriminelle mit gezielten Schüssen zur Strecke zu bringen. Einer etwa droht damit, die Barcodes von HP zu löschen, wenn man ihn nicht auf einem fliegenden Teppich nach Karatschi bringt.
Kein Wunder, dass die zarte Psyche des jungen Erzählers angesichts solcher Aufträge ein wenig aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Er muss ja nicht nur Erpresser und Irre erschießen, überdies kämpft sein 15-jähriges Herz mit den ersten heftigen Flammen der Liebe, und „so viele Möglichkeiten gibt es nun mal nicht, jemandem mit einem Gewehr seine Zuneigung zu zeigen“.
Wie hier die Unbilden des Erwachsenwerdens der eigentliche Gegenstand sind, so handeln andere Erzählungen von der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen oder vom Verlust der Mutter. Eingebettet sind sie ebenfalls in die Beschreibungen skurriler Alltagswelten: Von einem Mann ist da die Rede, der dafür verantwortlich ist, nachts im Zoo die überzähligen Tiere zu erschießen, von einer Familie, die illegale Spielautomaten im See versenkt, von einer Selbsthilfegruppe für Krebspatienten, die es noch einmal so richtig krachen lässt, oder von einem Mann, der schusssichere Westen verkauft und, da ihm die großen Kaufhäuser allmählich das Geschäft abgraben, mit einer schusssicheren Babytragetasche wieder versucht Fuß zu fassen.
Adam Johnson erzählt all das auf ganz natürliche Weise, lustig, rührend und so, dass, ganz beiläufig, jedes Wort – wie der Schuss eines Scharfschützen – genau sitzt.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Adam Johnson: Emporium. Storys
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind Verlag, München 2010, 288 Seiten, 18,90 Euro