Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen

Von Günter Beyer |
15 Millionen zahlten die öffentliche Hand und Sponsoren, um das Erbe des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck anzukaufen. Nun sind die rund 1100 Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen dauerhaft für das Duisburger Lehmbruck-Museum gesichert. In insgesamt vier Ausstellungen soll das Lebenswerk des großen Expressionisten nun gezeigt werden. Den Auftakt macht die Ausstellung "Skulptur und Zeichnung".
Duisburg, Stadtteil Obermeiderich, zwischen Bahnlinie, Autobahn und Rhein-Herne Kanal, Lehmbruckstraße 16. In einem Zechenhaus aus Backstein wurde hier 1881 Wilhelm Lehmbruck geboren. Eine Tafel erinnert an den Künstler, der wie kein anderer die kulturelle Identität der Ruhrgebietsstadt verkörpert.

"Das Bekenntnis der Duisburger zu Lehmbruck hat eigentlich eine jahrzehntelange Geschichte, unterbrochen freilich durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten, und weniger durch die Haltung der Duisburger","

sagt Christoph Brockhaus, Direktor der Wilhelm-Lehmbruck-Stiftung. 1912 hatte die Stadt bei dem Bildhauer die Marmor-Skulptur einer "Großen Stehenden" in Auftrag gegeben - der einzige Museumsankauf zu Lebzeiten des Künstlers und Grundstock der städtischen Sammlung. 1964 errichtete man für sein Werk ein modernes, mit großen Glasfenstern sich zum umgebenden Stadtpark öffnendes Museum - ein Entwurf des Lehmbruck-Sohnes Manfred. Mit dem Erwerb des Nachlasses ist Lehmbruck nun in Duisburg komplett. Stiftungs-Direktor Christoph Brockhaus mag sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn sein Haus nicht zum Zuge gekommen wäre.

""Wäre der Nachlass in den Markt gelangt und verstreut worden, wäre es eine Katastrophe für die Forschung für Wilhelm Lehmbruck gewesen. Es wäre ein katastrophaler Verlust für unser eigenes Museum gewesen. Das Lebenswerk von Wilhelm Lehmbruck gehört zusammengehalten. Die Verbindungen zwischen Zeichnung, Druckgrafik, Malerei und Skulptur sind eminent und differenziert, nur nachvollziehbar und erlebbar, wenn man diesen Besitz auch zusammenhält."

Mit diesem Pfund kann die Stiftung nun wuchern. Die erste Lebenswerk-Ausstellung untersucht das Verhältnis von Skulptur und Zeichnung. Lehmbrucks monumentalen Plastiken wie der "Knienden" oder dem "Emporsteigender Jüngling" sind in drei grafischen Kabinetten rund 90 Arbeiten auf Papier zugeordnet. Das erste Kabinett dokumentiert Lehmbrucks breite zeichnerische Ausbildung an Kunstgewerbeschule und Akademie in Düsseldorf, zeigt anhand von Selbstbildnissen seinen Weg vom gefälligen Porträt des Akademieschülers zu gehetzten, skizzenhaften Bleistiftzeichnungen, die ihn als Sanitätssoldaten im Weltkrieg zeigen. Auch Entwürfe zu nicht ausgeführten oder verlorenen Arbeiten sind zu sehen. Das zweite Kabinett ist der männlichen Aktfigur gewidmet.

"Unter zehn, zwanzig Zeichnungen, die man in den Umkreis eines plastischen Werkes stellen kann, mögen zwei, drei Zeichnungen wie Entwürfe für die Skulptur gewertet werden können. Alles andere aber sind formale und gedankliche Überlegungen, was er alles mit einem plastischen Thema verbinden könnte."

Überraschungen hält vor allem das dritte Kabinett bereit. Denn wer bisher argwöhnte, Lehmbruck bediene mit Figuren wie der demütigen, weiblichen "Knienden" und des männlichen, aufrecht Daherschreitenden Geschlechterklischees, sollte noch einmal genau hinschauen. Im Mittelpunkt steht Lehmbrucks wohl berühmteste Arbeit "Der Gestürzte" von 1915: Ein nackter Mann, kniend, fast schon liegend hingestreckt, der Schädel berührt die Erde, ein Mensch, am Boden zerstört. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Lehmbrucks "Gestürzter" zur pazifistischen Ikone, Sinnbild für den sinnlosen Tod auf dem Schlachtfeld. Arbeiten aus dem Nachlass lassen sich nun als Quellen für den "Gestürzten" lesen:

"Das eine ist, dass Lehmbruck schon 1913, also noch in Paris und vor Ausbruch des Weltkrieges, das Thema der 'gestürzten Frau' sowohl in Pastellen, als auch in Zeichnungen behandelt. Das ist in der Ausstellung wunderbar zu sehen."

Hatte also Lehmbruck ursprünglich gar nicht vor, eine aufrüttelnde Anti-Kriegs-Skulptur zu schaffen, sondern eher ein existenzielles, zeitloses Sinnbild für menschliches Scheitern, egal, ob Krieg oder Frieden, Mann oder Frau?

Dem stehen allerdings zwei kleine plastische Entwurfsarbeiten, sogenannte Bozzetti, entgegen. Die Güsse zeigen einen "Stürmenden" und einen "Gefallenen", also eindeutig Kriegerfiguren, die als Vorarbeiten für den "Gestürzten" gelten können.

Tatsächlich hatte man Lehmbruck 1915 eingeladen, an einem Wettbewerb für ein patriotisches Kriegerdenkmal in Duisburg teilzunehmen. Der Bildhauer hatte aber abgelehnt, weil er "kein Anfänger" sei und "nicht mit Jedem konkurrieren" wolle, und seine eigene freie Skulptur geschaffen.

"Uns so ist aus einem zunächst mal gedachten konventionellen Kriegerdenkmal ein Anti-Kriegsmal, ein exemplarisches Scheitern, zum Thema einer Skulptur geworden, was über diese beiden Bozzetti und über die Vorstufen der gestürzten Frau zum Thema des gestürzten Jünglings geworden ist."

Die Ausstellung "Skulptur und Zeichnung" ist noch bis zum 26. April in Duisburg zu sehen. Es folgt am 30. August die Ausstellung "Skulptur, Material und Technik".