Sklaven aus Europa
Das Schicksal der Sklaverei konnte im 18. Jahrhundert auch Europäer treffen, die auf See in die Gewalt von Piraten gerieten. Anhand der Geschichte eines Schiffsjungen hat Giles Milton eine packende Erzählung geschrieben.
Fast täglich lesen und hören wir von den Piraten am Horn von Afrika, die für die moderne Seefahrt und den freien Welthandel eine enorme Herausforderung sind. Über die im 18. Jahrhundert vom heutigen Marokko aus operierenden Piraten, die Korsaren, wissen wir so gut wie nichts, da sie von der Geschichtsforschung bisher nicht beachtet wurden. Diese Korsaren waren, wie ihre modernen Nachfolger, darauf aus, hohe Lösegelder zu erpressen. Falls kein Lösegeld floss, verkauften sie die von ihnen Entführten für viel Geld auf den nordafrikanischen Sklavenmärkten von Marokko bis Tripolis.
Der gefürchtetste Käufer dieser Sklaven war Sultan Mulai Ismail von Meknes im heutigen Marokko, der dort ein ausgeklügeltes Terrorregime etabliert hatte. Ziel seiner vom Größenwahn angefeuerten Bausucht war es, durch den Einsatz seiner Sklaven die luxuriöseste Palastanlage aller Zeiten zu erbauen.
Der rote Faden durch Miltons Buch ist die bewegende Geschichte des gerade elf Jahre alten Schiffsjungen Thomas Pellow, dessen Schiff im Sommer 1715 im Mittelmeer - auf der Rückkehr von Genua nach England - mit der gesamten Mannschaft von Korsaren gekapert wurde und in die Gewalt von Sultan Mulai Ismail geriet, sich zum Islam bekehrte und so in eine Vertrauensstellung des Sultans geriet.
Durch die von Giles Milton aus authentischen Quellen rekonstruierte Geschichte dieses blutjungen Opfers der Korsaren erlebt der Leser beispielhaft, was die gut eine Million von den Korsaren verschleppten Opfer, von denen die meisten nie wieder nach Europa gelangten, zu erleiden hatten. Giles Milton unterfüttert seine packende Erzählung durch eine Vielzahl von Augenzeugenberichten und Zitaten aus erstmals erschlossenen Dokumenten (Briefen, diplomatischer Korrespondenz und Tagebuchaufzeichnungen), die er in europäischen und nordamerikanischen Archiven aufgespürt hat.
Durch Miltons Darstellung der Lebensbedingungen und Schicksale der europäischen Sklaven in Nordafrika wird die zur selben Zeit ablaufende viel größer dimensionierte Tragödie der von Europäern nach Amerika verschleppten schwarzafrikanischen Sklaven gleichsam aktuell rückgespiegelt. Das Leid dieser Sklaven konnte umgekehrt auch Europäern blühen, die in die Gewalt hochprofessionell agierender Korsaren gerieten. Städtchen und Dörfer zum Beispiel an der Küste Cornwalls mussten jederzeit mit Blitzattacken rechnen: Kinder, Frauen und Männer wurden auf die Schiffe der Piraten geschleppt und nach Nordafrika gebracht. Alle, die nicht zum Islam übertraten, wurden in elende Verliese gepfercht, bis für sie Lösegeld gezahlt wurde, was selten der Fall war. Wer Muslim wurde, hatte es besser, verlor damit aber so gut wie jede Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat, denn Renegaten wurden nicht ausgelöst.
Giles Milton erinnert nicht nur an die in Vergessenheit geratenen weißen Sklaven – er zeigt zugleich, wie sich damals in England angesichts eines verschärften Kampfes der Kulturen erste Stimmen erhoben für einen konstruktiven Dialog zwischen der Welt des Islam und des Christentums.
Über den Autor
Giles Milton, geboren 1956, lebt in London. Er schreibt für die überregionale britische Presse, arbeitet für Funk und Fernsehen und ist Autor von historischen Sachbüchern, in denen er von der Geschichtsforschung übersehene brisante Themen der Seefahrts- und Kolonialgeschichte in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt. Auf Deutsch erschien von ihm bisher der Bestseller "Muskatnuss und Musketen. Europas Wettlauf nach Ostindien". Milton ist Mitglied der Haklyt Society, die Werke von bedeutenden Forschern und Abenteurern neu herausbringt und kommentiert. Seine Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Giles Milton,
Weißes Gold. Die außergewöhnliche Geschichte von Thomas Pellow und das Schicksal weißer Sklaven in Afrika
Konrad Theiss Verlag, 286 Seiten, Euro 22,90
Der gefürchtetste Käufer dieser Sklaven war Sultan Mulai Ismail von Meknes im heutigen Marokko, der dort ein ausgeklügeltes Terrorregime etabliert hatte. Ziel seiner vom Größenwahn angefeuerten Bausucht war es, durch den Einsatz seiner Sklaven die luxuriöseste Palastanlage aller Zeiten zu erbauen.
Der rote Faden durch Miltons Buch ist die bewegende Geschichte des gerade elf Jahre alten Schiffsjungen Thomas Pellow, dessen Schiff im Sommer 1715 im Mittelmeer - auf der Rückkehr von Genua nach England - mit der gesamten Mannschaft von Korsaren gekapert wurde und in die Gewalt von Sultan Mulai Ismail geriet, sich zum Islam bekehrte und so in eine Vertrauensstellung des Sultans geriet.
Durch die von Giles Milton aus authentischen Quellen rekonstruierte Geschichte dieses blutjungen Opfers der Korsaren erlebt der Leser beispielhaft, was die gut eine Million von den Korsaren verschleppten Opfer, von denen die meisten nie wieder nach Europa gelangten, zu erleiden hatten. Giles Milton unterfüttert seine packende Erzählung durch eine Vielzahl von Augenzeugenberichten und Zitaten aus erstmals erschlossenen Dokumenten (Briefen, diplomatischer Korrespondenz und Tagebuchaufzeichnungen), die er in europäischen und nordamerikanischen Archiven aufgespürt hat.
Durch Miltons Darstellung der Lebensbedingungen und Schicksale der europäischen Sklaven in Nordafrika wird die zur selben Zeit ablaufende viel größer dimensionierte Tragödie der von Europäern nach Amerika verschleppten schwarzafrikanischen Sklaven gleichsam aktuell rückgespiegelt. Das Leid dieser Sklaven konnte umgekehrt auch Europäern blühen, die in die Gewalt hochprofessionell agierender Korsaren gerieten. Städtchen und Dörfer zum Beispiel an der Küste Cornwalls mussten jederzeit mit Blitzattacken rechnen: Kinder, Frauen und Männer wurden auf die Schiffe der Piraten geschleppt und nach Nordafrika gebracht. Alle, die nicht zum Islam übertraten, wurden in elende Verliese gepfercht, bis für sie Lösegeld gezahlt wurde, was selten der Fall war. Wer Muslim wurde, hatte es besser, verlor damit aber so gut wie jede Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat, denn Renegaten wurden nicht ausgelöst.
Giles Milton erinnert nicht nur an die in Vergessenheit geratenen weißen Sklaven – er zeigt zugleich, wie sich damals in England angesichts eines verschärften Kampfes der Kulturen erste Stimmen erhoben für einen konstruktiven Dialog zwischen der Welt des Islam und des Christentums.
Über den Autor
Giles Milton, geboren 1956, lebt in London. Er schreibt für die überregionale britische Presse, arbeitet für Funk und Fernsehen und ist Autor von historischen Sachbüchern, in denen er von der Geschichtsforschung übersehene brisante Themen der Seefahrts- und Kolonialgeschichte in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt. Auf Deutsch erschien von ihm bisher der Bestseller "Muskatnuss und Musketen. Europas Wettlauf nach Ostindien". Milton ist Mitglied der Haklyt Society, die Werke von bedeutenden Forschern und Abenteurern neu herausbringt und kommentiert. Seine Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Giles Milton,
Weißes Gold. Die außergewöhnliche Geschichte von Thomas Pellow und das Schicksal weißer Sklaven in Afrika
Konrad Theiss Verlag, 286 Seiten, Euro 22,90