Skeptiker im Bildermorgenland

Von Gerd Brendel · 25.08.2010
Den libanesischen Filmemacher Akram Zaatari prägten der Bürgerkrieg in seinem Land und die Besetzung seiner Heimatstadt Saida. In seinen Filmen verarbeitet er die eigene Geschichte und zeichnet das Bild einer verwundeten Gesellschaft.
Jeans mit hellen Aufnähern, Sweatshirt, kurz geschorenes Haar: Akram Zaatari sieht jünger aus als Mitte 40. Auf dem Sweatshirt steht wie mit bunter Kinderkreide geschrieben: "Reve" - Traum. Wovon träumt Akram Zaatari? Der Filmemacher überlegt nicht lange: Frei von Angst leben. Für jemanden aus dem Libanon keine Selbstverständlichkeit. Akram ist acht Jahre alt, als sein Cousin zum Fenster raus schaut und von einer Kugel am Kopf gestreift wird: Draußen bekriegen sich Palästinenser und libanesische Armee. Als Akram das Gymnasium in Zaida besucht, marschiert die israelische Armee in den Libanon ein:

"Das erste Mal richtig Todesangst hatte ich in der zweiten Woche der israelischen Invasion. Meine zwei Brüder, meine Schwester, meine Eltern und ich waren tagelang in einem kleinen Treppenhaus eingesperrt. Und die Bombenexplosionen kamen immer näher."

Die Tagebuchaufzeichnungen von damals tauchen 20 Jahre später in Akram Zaataris Film "The Day" auf. Aus handschriftlichen Notizen über Hausaufgaben, Kinofilme, Geschützdonner alten Archivaufnahmen und langsamen Kamerafahrten durch den Libanon von heute und zeichnet er das Bild einer verwundeten Gesellschaft - ein sehr persönliches Bild, das sich jeder Instrumentalisierung entzieht:

"Ich mache Kunst, weil ich glaube, dass ich nur so erzählen kann, wie komplex eine Situation ist. Das macht es allerdings nicht einfacher ein Urteil zu fällen, wer hat Schuld, wer ist das Opfer. Das kann nur Gott und an den glaube ich nicht."

Partei ergreift Akram Zaatari aber trotzdem. In dem Film "All is well at the border”- Alles ist gut an der Grenze - spürt man seine Sympathie für die ehemaligen Milizionäre. Im Film sieht man ihre Briefe, die sie damals aus der Haft in israelischen Gefängnissen an ihre Familien schickten: Beschwichtigende Nachrichten für die Mutter zuhause, verziert mit kindlichen Blumenranken. Zataaris Gesprächspartner schildern die strenge Hierarchie unter den Gefangenen, erzählen von Rachemorden an sogenannten Verrätern und Strafen für Masturbation. Die Gewalt von außen setzt sich innerhalb der Gefängnismauern fort.

Dass Zaatari selbst statt zum Maschinengewehr zur Kamera greift, verdankt er seiner bürgerlichen Familie:

"Mein Vater war Lehrer und zuhause wurde viel Wert auf Bildung gelegt. Klar bin ich in den Sommerferien den bewaffneten Männern hinterhergelaufen und habe nach Patronen gebettelt. Aber selbst ein Maschinengewehr in die Hand zu nehmen stand für mich nie zur Debatte. Stattdessen entschied ich mich für eine Kamera, weil mein Vater zwei davon hatte. Denn Filmemacher wolle ich schon als Kind werden."

Akram Zaatari erreicht sein Ziel auf Umwegen: Die Eltern wünschen sich einen "seriösen Beruf" für den Sohn. Also studiert der Junge aus gutem Haus an der "American University" in Beirut Architektur. Erst danach geht er nach New York, um Medien- und Filmwissenschaften zu studieren. Der Durchbruch als Filmemacher gelingt Zaatari mit einem Dokumentarfilm, in dem er junge Männer von ihren sexuellen Erlebnissen und Phantasien erzählen lässt. Fast ein Skandal, selbst für den relativ freizügigen Libanon.

Mittlerweile werden Akram Zaataris Videoinstallationen auf der ganzen Welt gezeigt. Demnächst nimmt er an der Ausstellung "Zukunft der Tradition" im Münchner "Haus der Kunst" teil. Sein Beitrag erzählt wieder einmal ein Stück libanesischer Heimatgeschichte: Filmdose um Filmdose, Pappkarton um Pappkarton, hat er das Inventar eines alten Fotostudios in seiner Heimatstadt abfotografiert. Alte Negative sind darunter und vergilbte Postkarten lasziver Blondinen:

"Was mich am sammeln interessiert, sind die Geschichten der Dinge. Für mich sind diese alten Sachen fast wie Fossile."

Das eigene Tagebuch, Gefängnisbriefe oder Pappkarton mit alten Negativen: Immer weiter lässt sich Akram Zaatari von seinen Fossilen in die Vergangenheit entführen. Eine Vergangenheit, die heute fast vergessen scheint.

Akram Zaatari versteht sich als Chronist. Die Deutung überlässt er seinem Publikum. Die Verklärung der Vergangenheit ist seine Sache nicht, genauso wenig wie die großen Utopien. Träumt der Skeptiker, der im Bürgerkrieg groß wurde und in einem besetzten Land zur Schule geht, manchmal vom Frieden?

"Ich glaube nicht, dass ich das erleben werde. Das Einzige was man als Libanese, als Palästinenser machen kann, ist jüdische Israelis zu suchen, denen man als Person vertrauen kann, und umgekehrt. Nur so können wir immun werden gegen die Hysterie, denn das ist was im Krieg passiert. Die Menschen werden hysterisch."

Und gegen die falschen Bildervorlagen der Hysterie, die die vermeintlichen Schuldigen identifizieren wollen, dagegen immunisieren die Bilderwelten des Akram Zaatari.
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