Skandinavischer Krimi

Dumpfe Gewalt

Die Schauspielerin Sonja Richter als Merete Lynggaard in einer Szene des Kinofilms "Erbarmen"
Die Schauspielerin Sonja Richter als Merete Lynggaard in einer Szene des Kinofilms "Erbarmen" © picture alliance / dpa
Von Hartwig Tegeler  · 20.01.2014
Die Krimiromane von Jussi Adler-Olsen über eine Kopenhagener Mordkommission haben sich millionenfach verkauft. Die Verfilmung von "Erbarmen" enttäuscht allerdings mit dem Abdriften in Klischees und brutaler Gewalt.
Eine unschuldige Frau fünf Jahre in der Unterdruckkammer. Entkommen - nicht vorgesehen. Das ist der Plot von "Erbarmen".
"Da stehen zwei Eimer auf dem Boden. Einer für die Notdurft, einer für das Essen."
Während der Kommissar, so wie jeder Skandinavien-Kommissar, in Buch wie im Film, wie inzwischen auch jeder "Tatort"-Bulle, traumatisiert ist bis auf die Knochen.
"Meine Frau hat einen anderen. Mein Partner ist tot. Und mein bester Freund gelähmt. Ich habe leider nichts zu lachen."
"Warum machst du das denn hier?"
"Weil ich nichts anderes kann."
Trotzdem ist Karl Mørck in "Erbarmen" natürlich der Beste, der Sturste, der jeder nichtssagenden Spur ein falllösendes Geheimnis abringt, während in der Unterdruckkammer weiter wohlfeil Monat um Monat gefoltert wird. Denn nichts anderes betreibt der Bösewicht, der eine perfide Rache vollführt, die bis in die Kindheit von Folterknecht und Opfer zurückreicht. Und wir dürfen dem zuschauen.
"Nein, nein, lassen Sie mich hier raus."
"Merete, du kommst nie wieder hier raus!"
"Nein, ich will hier raus."
Da muss auch schon mal in Nahaufnahme ein eiternder Zahn mit der Kombizange gezogen werden. Von der Gefangenen selbst. Nein, Erbarmen gibt es im Roman wie jetzt im Film "Erbarmen" nicht. In der aktuellen skandinavischen Krimi-Literatur geht es zu wie im schlechten Action-Film: Knall einen Effekt auf die Szene, mach´s blutiger, brutaler, und jeder Leser, Schrägstrich Zuschauer schaut gnädig über das größte Logikloch hinweg.
"Sag mal, was ist mit dir, Carl."
"Wieso?"
"Weil ich dich noch nie lächeln gesehen habe, mein Freund. Andere Menschen sind dir völlig egal. Du selbst bist dir egal."
So wird´s immer blutiger und bestialischer in den Skandinavien-Krimis. Ob bei Arne Dahl, dem Schweden, Jo Nesbø, dem Norweger, oder dem Dänen Jussi Adler-Olsen, dem neuen Mega-Seller des Genres. Gewalt wie Sex und Tod sind natürlich unabdingbare Bestandteile des Erzählens in Literatur oder Kino. Es geht immerhin um den Menschen.
"Ich bin hier sein 107 Tagen. Ich weiß, dass ich das überleben kann."
Realität nur noch in ihrer extremsten Überzeichnung
Gewalttätige und skandalöse Bilder standen immer wieder im Mittelpunkt von Klassikern der Filmgeschichte: Bergmans "Das Schweigen", Oshimas "Im Reich der Sinne" oder Lars von Triers "Antichrist". Auch bei den Klassikern des Skandinavien-Krimis, bei Per Wahlöö und Maj Sjöwall, Henning Mankell oder in der "Millenium"-Trilogie von Stieg Larsson geht es brutal und blutig zu. Aber diese Geschichte sind noch einer Realität verpflichtet. So zeigt die postmoderne Pippi-Langstrumpf-Adaption namens Lisbeth Salander bei Stieg Larsson der patriarchalischen Gesellschaft ihren blutigen Stinkefinger.
Doch bei Adler-Olsen ist die Realität nur noch in ihrer extremsten Überzeichnung interessant und im Klischee ertrunken. Traumatisierte Ermittler, gerne noch der eine oder andere Serienkiller, von denen Skandinavien ja nur so zu wimmeln scheint, und dann geht´s ans Morden, Zerstückeln, Zerlegen. Diese literarischen und im nächsten Schritt der medialen Verwertung filmischen Schlachtplatten zeichnen einen nur noch absurden Kosmos von Gewalt. Je extremer die Tötungsarten, je ausgefallener die Mordinstrumente, umso kassenträchtiger. Und was wir lernen? Der Mensch ist böse! Ach, guck mal einer an.
"Lass mir hier raus. Du sollst mich hier rauslassen, du Schwein. Hallo. Ich weiß, dass du mich hörst."
Als 1991 "Das Schweigen der Lämmer" in die Kinos kam, schrieb die Filmkritikerin Sabine Horst, dass mit diesem Serienkiller-Film das Splattermovie seinen Einzug in den Mainstream-Film gehalten habe. Als "Hostel", die "Saw"-Filmreihe oder Mel Gibsons brutales Bibelstück "Die Versuchung Christi" ins Kino kam, sprachen Kritiker zu Recht von Gewaltpornos, weil explizite Sexszenen durch möglichst brutale explizite Gewaltszenen ausgetauscht würden. Spätestens mit der Adler-Olsen-Verfilmung "Erbarmen" ist dieser Gewalt-Porno im Mainstream angekommen.
"Erbarmen", die erste Verfilmung des ersten Romans von Jussi Adler-Olsen - neun aus dieser Reihe werden noch kommen -, verfährt so wie Joe Nesbo in seiner Reihe mit dem alkoholsüchtigen Kommissar Harry Hole dramaturgisch nach dem Prinzip, dass die nächste Gewalt-Dosis den noch extremeren Kick zu bringen hat. Oh, was uns in den nächsten Jahren an Alder-Olsen-Verfilmungen noch droht. Oder wäre dies noch schlimmer? Wenn dies wahr werden würde?
"Verdammt, was macht du jetzt, Carl? Kriminalromane schreiben wie all die anderen pensionierten Bullen?"
Dem Dänen Adler-Olsen jedenfalls wäre zu antworten mit dem Dänen Hans Christian Andersen: Kaisers neue Kleider, nein, da ist nichts. Gar nichts. Nur dämliche heisse, medial gehypte Luft.
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