Skandal und Tragödie

Von Burkhard Müller-Ullrich |
Es gibt pfiffige Ganoven, die muss der Rechtsstaat laufen lassen, obwohl jeder ahnt, dass von Unschuld keine Rede sein kann. Doch wenn am Ende eines langwierigen Gerichtsverfahrens die Beweise nicht für eine Verurteilung ausreichen, dann hat der betreffende Ganove Glück gehabt.
Bei Max Strauß liegt der Fall anders. Er hat kein Glück gehabt, sondern tragisches Pech. Sein Leben wurde durch einen finanzbehördlichen Verdacht ruiniert, auf den sich eine zwölfjährige Prozessmisere gründete, die nun als skandalöse Nichtigkeit zu Ende ging.

Das Missverhältnis zwischen dem Kraftaufwand der Staatsorgane und der Läppischkeit des Resultats ist wahrhaftig ein Skandal, über den man, wenn denn der Begriff Rechtsstaat noch irgendeinen Sinn haben soll, nicht achselzuckend hinweggehen kann. Strauß wurde ja nicht wie ein pfiffiger Ganove aus Mangel an Beweisen freigesprochen, sondern weil nach Feststellung des Gerichts sämtliche Anklagepunkte haltlos waren. Und dies ergab sich nicht etwa durch eine plötzlich veränderte Beweislage – so wie in einem Mordprozess auf einmal ein Alibi ins Wanken kommt oder ein anderer die Tat gesteht. Nein, es handelte sich zwar auch hier um einen Strafprozess mit der Möglichkeit einer mehrjährigen Geldstrafe und der Drohung, alles Vermögen zu verlieren, im Hintergrund, doch während der gesamten zwölf Verfahrensjahre ging es weniger um die Feststellung der Fakten als um die Bewertung derselben.

Anders ausgedrückt: es war für das Gericht eine Ermessensfrage, Max Strauß entweder schwer oder überhaupt nicht zu bestrafen, und dies ist rechtlich äußerst unbefriedigend. Denn obwohl die Lebenswirklichkeit uns schon gelehrt hat, dass Staatsanwälte sich vergreifen und Richter sich vertun können, halten wir dafür, dass das Recht in unserem Staat mit einer gewissen Erwartbarkeit einhergeht. Es darf eigentlich nicht vorkommen, dass jemand über Jahre hinweg als Schwerverbrecher behandelt und gebrandmarkt wird, und am Ende gelangt ein Richter zu dem Schluss, dass da gar nichts war. Genau dies jedoch ist hier passiert: Max Strauß war nicht einmal ein Grenzfall, bei dem eine mäßige Strafe – eventuell zur Bewährung ausgesetzt – in Betracht gekommen wäre.

Nach seinem lupenreinen Freispruch hat er Anrecht auf eine erkleckliche Entschädigung aus der Staatskasse. Aber was heißt Entschädigung nach zwölf Jahren geraubter Lebenszeit? Auch hier herrscht eine himmelschreiende Diskrepanz, die durch das feixende Schweigen der Öffentlichkeit noch verschlimmert wird. Denn viele – auch: viele Medien – haben den Skandal dieser finanzbehördlichen Existenzvernichtung seit Jahr und Tag hingenommen und beschwiegen in dem lustvollen Gefühl, damit dem toten Franz-Josef Strauß eins auszuwischen.

Tatsächlich hat das Münchner Zentralfinanzamt den toten Franz-Josef Strauß in den behördlichen Vernichtungsfeldzug direkt miteinbezogen, indem es dessen Sohn Max vor dreieinhalb Jahren einen Pfändungsbeschluss schickte, der die Familiengrabstätte "samt Inhalt", wie es wörtlich hieß, betraf. Nur gegen Zahlung des marktüblichen Wertes, so teilte das Finanzamt damals mit, könne das Pfand wieder ausgelöst werden – ein atemberaubender Akt von behördlichem Terrorismus, der in der Presse bloß als Nebensächlichkeit berichtet wurde.

Sicherlich gehört zum politischen Erbe von Franz-Josef Strauß eine Unzahl offener Rechnungen. Doch die Vorstellung, dass seine sterblichen Überreste um ein Haar auf einem anonymen Knochenhaufen gelandet wären, weil der Sohn wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, hat etwas Irrsinniges. Nun stellt sich heraus, dass die Beschuldigung von vorn bis hinten haltlos war, und es erhebt sich die Frage, ob eine Bundesrepublik Deutschland, in der so etwas vorkommt, eigentlich der Rechtsstaat ist, für den wir sie bis jetzt immer hielten.

Er sei am Rand der physischen und psychischen Vernichtung gewesen, erklärte Max Strauß nach seinem Freispruch im Gericht. Man kann es sich vorstellen; seine berufliche Karriere liegt sowieso in Scherben. Die Mehrheit der Berichterstatter scheint sich aber damit abgefunden zu haben, dass es eben ein großes Pech ist, der Sohn eines umstrittenen Politikers zu sein. Die grausame Ironie dieser Geschichte besteht darin, dass die wuchtige Wut, die man einem Max Strauß zubilligen möchte, stets nur auf der Seite der Systemfeinde gedeihen kann, während er – immer noch – zu dessen Repräsentanten gehört.

Der Fall Max Strauß ist eine Tragödie von Theaterbühnenausmaß.

Burkhard Müller-Ullrich, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin ‘Bücherpick’ und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.
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