"Sixteen Oceans" von Four Tet

Wellness trifft Dancefloor

06:20 Minuten
Ein Mann steht an einem Mischpult, das wie ein übergroßer Schreibtisch aussieht. Um ihn herum: ein sphärische Atmosphäre aus blau-violettem Licht.
Hat ein neues, formvollendetes Album aufgenommen: Kieran Hebden aka Four Tet, hier beim Green Man Festival im August 2019. © picture alliance / Photoshot
Von Christoph Möller · 17.03.2020
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Sphärenklänge, Wasserplätschern, Vogelzwitschern. Four Tet verbindet auf seinem zehnten Album tanzbare Beats mit viel Pathos. Die hochästhetischen Tracks auf "Sixteen Oceans" funktionieren im Club ebenso gut wie im Wohnzimmer.
Man muss sich den Briten Kieran Hebden alias Four Tet als Eigenbrötler vorstellen. Einmal postete er auf Twitter ein Foto, das zeigte einen Laptop, eine Tastatur und zwei Lautsprecher vor einem Fenster mit Blick in den Wald: "Hier habe ich ein ganzes Album aufgenommen, und diese Geräte habe ich dafür benutzt", schrieb Four Tet.
Hebden braucht kein schickes Studio, um Musik zu machen, die hunderttausende Fans elektronischer Tanzmusik auf der ganzen Welt begeistert. Nur einen Laptop. Man kann darin Bescheidenheit lesen. Aber auch Spott. Über Produzenten, die immer neue technische Geräte anschaffen. Und deren Musik dann am Ende trotzdem nicht an die hochästhetischen Tracks dieses Produzenten heranreicht.

Vermutlich wieder am Laptop produziert

"Sixteen Oceans" heißt nun das zehnte Album von Kieran Hebden alias Four Tet. Es erscheint auf seinem eigenen Label "Text Records". Und er hat es vermutlich wieder nur am Laptop produziert.
Zum Album gab es außerdem kein Interview und keine Rezensionsexemplare für Journalisten und Journalistinnen – lange nur ein Foto eines Post-its mit der Tracklist. Eigentlich ist das kontraproduktiv, wenn man ein Album vermarkten möchte. Doch die spärlichen Informationen haben das Interesse am neuen Album nur noch weiter erhöht.
Das Album ist voll von dumpfen, rumpelnden Beats, die an House und Grime erinnern. Darüber gibt es flächige Melodien, dazu spitze Hi-Hat-Rhythmen. Und immer wieder pausiert der Beat, um die Tracks atmen zu lassen.
Das sind dann kleine Momente der Konzentration. Man fragt sich, wie es weiter geht. Und weiß es natürlich doch! Mit ritueller Wiederholung derselben Beats, die man schon kennt.
Es gibt nur noch wenige ekstatische Rituale außerhalb von Kirche und Schlafzimmer. Tanzen ist eines davon. Diese Tatsache hat Four Tet begriffen wie nur wenige andere. Und zeigt es auf "Sixteen Oceans" formvollendet.

Die Zukunftsmusik von früher

Aber es gibt noch mehr auf diesem Album. Immer wieder steht Four Tets Tanzmaschine kurz still. Dann gibt es instrumentelle Stücke ohne Beat. Digitale Cembali und Streicher geben diesen Passagen eine retrofuturistische Anmutung. So hätte man sich in der Vergangenheit vielleicht die Musik der Zukunft vorgestellt. Etwa im programmatischen Stück "Harpsichord".
Die sonst so bunten Melodien haben hier etwas Unheimliches. So stoisch die Beats in anderen Tracks rumpeln, hier sucht Four Tet in Zwischenräumen nach Spuren des Menschseins. Das Gefühl von Pathos ist ein ständiger Begleiter auf diesem Album.
Die letzten sechs Tracks gehen dann vollends über in fragile instrumentelle Bewegungen. Ein Highlight ist "Mama Teaches Sanskrit". Im Stück hört man Hebdens indische Mutter, die ihm als kleinen Jungen ein Mantra auf Sanskrit vorsingt.

Eintauchen und ergriffen sein

Auch dieses Stück ist programmatisch für das Album. Es geht um die Liebe zur Wiederholung. Und um Entspannung geht es dann auch noch. Ständig hört man auf "Sixteen Oceans" Wasser plätschern und Vögel zwitschern.
Ein Wellness-Album? Ja, schon ein bisschen. Und sicher eines, dass keine Revolution in der elektronischen Tanzmusik auslösen wird.
Doch Four Tets' Beats sind mehr als nur ihre eigene Wiederholung. Sechzehn Ozeane verspricht ja auch der Titel der Platte pathetisch. Man kann da, um im Bild zu bleiben, tief eintauchen und ergriffen sein. Oder an der Oberfläche hängenbleiben – und nichts sehen.
Dann verpasst man allerdings ein Album, das die Ästhetik des Clubs mit der Ästhetik der Entspannung zusammenbringt. "Sixteen Oceans" ist ein gutes Album, um einen Hauch von Clubatmosphäre in die Quarantäne des Wohnzimmers zu bringen.
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