Sittenbild der Bussigesellschaft

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 31.08.2005
Die Schönen und Reichen geben in Alan Bennetts "Handauflagen" einem Toten die letzte Ehre, einem Götterliebling, der mit 34 Jahren auf rätselhafte Weise dahingerafft wurde. Die ganze Gesellschaft hatte mit dem Verstorbenen im Bett gelegen. Als einer der Anwesenden kundtut, der junge Mann, dessen Todesursache niemand kennt, sei an Aids gestorben, ist die Panik groß.
Alle, alle sind sie gekommen: Pop-Ikonen, Fernsehmoderatorinnen, Stararchitekten, Minister, Nobelköche, Seriensternchen, Bestsellerautoren. Ein Auftrieb wie zu einer Preisverleihung, glanzvoll wie bei einer Galapremiere. Doch die Schönen und Reichen geben einem Toten die letzte Ehre, einem Götterliebling, der mit zarten 34 Jahren jählings und auf rätselhafte Weise dahingerafft wurde.

Effektvoll um Unauffälligkeit bemüht, versammeln sie sich zwischen den Kirchenbänken. Gesten der Trauer, die den Blicken der anderen, besonders denen der Autogrammjäger und Klatschreporter gelten, glücken nicht immer. Stumme Umarmungen, Küsschen hier und Bussi da - Unsicherheit besteht auf der ganzen Linie. Schließlich befindet man sich nicht alle Tage in einer Kirche. Alle waren sie Freunde und natürlich auch Kunden von Clive, standen ihm nahe, weil er ihnen als Masseur zu Diensten war, wobei er die Heilkraft seiner Hände gerne und häufig auch einer noch inniglicheren Zuwendung weihte.

Jeder ahnt den Grund der Anwesenheit all der anderen Berühmtheiten, und manche reagieren verärgert, denn man hatte die eigene kleine Beziehung zu Clive für exklusiver gehalten. Die ganze Gesellschaft hat mit dem Verstorbenen im Bett gelegen, Ehemänner und Ehefrauen, alleinerziehende Mütter, leidenschaftliche Junggesellen, Hetero- und Homosexuelle. Auch der Pfarrer, der den Gottesdienst hält, kannte Clive, und nicht etwa als verlorenes Schäfchen, das auf den rechten Weg zurückzuführen ist.

Als einer der Anwesenden kundtut, der junge Mann, dessen Todesursache niemand kennt, sei an Aids gestorben, ist die Panik groß. Ebenso groß aber ist das Bemühen, sie zu verheimlichen. Die Trauerfeier wird zur Farce.

Seit dem Roman "Cosi fan tutte" ist Alan Bennett dem deutschen Publikum als Meister des britischen Humors bekannt. Mit kräftigen Strichen malt er auch hier ein Genrebild, witzig, boshaft, satirisch. Wie in einer Typenkomödie entwirft er die Szene als einen schrillen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Sein Personal, direkt aus dem Fundus der Hochglanzzeitschriften gegriffen, arrangiert er, als wäre er bei Fellini in die Schule gegangen, zu einem barocken danse macabre. Doch er belässt es nicht bei der Karikatur und zeigt den Geistlichen als Mann der Zukunft, der sich als Entertainer begreift und den Gottesdienst als Spektakel, Show und Unterhaltung.

Bennetts Schabernack mit dem Tod ist ein Sittenbild, nicht nur der Bussigesellschaft. Wie er auf wenigen Seiten die Angst vor dem Ende hin- und herwendet, um sie dank einer geschickt gesetzten Pointe wieder verblassen zu lassen, wie er die Versammelten zuerst für ihr promisk heilloses Dasein ins Fegefeuer schickt, um sie dann wieder ihren Gewohnheiten zurückzugeben - das ist eine bitterböse Satire auf Doppelmoral und das Leben als einen Reigen von Showeinlagen.

Dabei geht Bennetts Witz mit einer feinen Beobachtungsgabe einher, er erzählt so ingrimmig-komisch, so hinterhältig boshaft bis zur Groteske, dass man nahezu alle Stadien des Amüsements durchläuft. Er beherrscht eben die Kunst, das Schwere leicht zu machen.


Alan Bennett: Handauflegen." Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, 96 Seiten, 12,90 Euro.