Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!
Schiller zählt zu den meistgespielten Autoren auf deutschen Bühnen, das allgemeine Bewusstsein der Deutschen hat er aber verlassen. Und das, obwohl das Werk des Freiheitskünders an politischer Aktualität nichts verloren hat.
Ulrich Raulff: Guten Tag, Herr König.
Jürgen König: "Denn er war unser", habe ich Goethe zitiert. Stimmen Sie zu, dass wir unseren Schiller verloren haben?
Raulff: "Denn wer war unser", das ist richtig, so hat Goethe gesagt. Aber Goethe hat an anderer Stelle natürlich auch immer wieder gesagt, er war ein wunderbarer, wundersamer, großer Mensch. In diesem wundersamer klingt ja auch schon fast das Wunderliche mit durch. Er ist ihm rätselhaft geblieben fast bis zum Schluss und er ist es im Grunde genommen auch der Nachwelt. Und uns heute ist er natürlich noch viel rätselhafter geworden, weil die Distanz zugenommen hat, die Distanz der Jahre, aber natürlich auch die Distanz der gleichsam natürlichen Nähe, die man früher zu diesem Dichter hatte. Ich glaube, das haben wir schon verloren und wir müssen ihn auf andere Weise wiederfinden. Aber, das geht.
König: Warum ist Schiller wichtig?
Raulff: Das ist jetzt sehr direkt gefragt. Warum ist Schiller wichtig? - Darf ich anders antworten? Schiller ist für die Bühnen immer wichtig geblieben, für das Theater. Er hat ja begonnen als ein Theaterknüllerautor, ein Theaterskandalautor und ein unglaublich packender Theatererfolgsautor und das ist er eigentlich immer geblieben. Er ist immer einer der meistgespielten deutschen Autoren, internationalen Autoren geblieben. Unser deutscher Shakespeare hat die Bühne nie verlassen. Aber, was er natürlich verlassen hat, ist das allgemeine Bewusstsein der Deutschen.
König: Wie konnte das sein, dass er uns verloren geht, wenn er doch auf den deutschen Bühnen immer präsent war?
Raulff: Verloren gegangen ist er uns, glaube ich, als sozusagen ständig begleitende Stimme, teilweise auch innere Stimme, weil wir irgendwann das Gefühl hatten, diese Stimme ist zu ungebrochen, diese Stimme ist zu pathetisch. Vielleicht auch zu optimistisch. Ich glaube, dies drei, vier Elemente, der Optimismus, das Pathos, diese ungebrochene Idealität, das ist für uns schwierig mitzumachen.
König: Auf der offiziellen Internetseite, www.schillerjahr2005.de, findet man, unter anderem natürlich, einen verwegen dreinschauenden Schiller und darunter das Wort Freiheit, Ausrufezeichen. Das ist der zentrale Begriff, die zentrale Forderung, auf die Schiller noch heute zu bringen ist?
Raulff: Das ist eine, das ist eine. Es mag sein, dass uns das in Deutschland vielleicht nicht mehr so auf den Nägeln brennt, aber sie brauchen ja nur ein paar hundert Kilometer nach Osten zu fahren, dann füllt sich dieses Schlagwort plötzlich wieder mit ganz neuem Sinn und ganz neuer Bedeutung.
König: Als ich das zum ersten Mal las auf Ihrer Internetseite, dachte ich spontan an George W. Bush und seine Rede in Bratislava, diese "Freedom-Rede". Wir erleben ja überhaupt gerade in vielen Ländern dieser Welt Freiheitskämpfe der unterschiedlichsten Art. Spielt eigentlich irgendwo dort Schiller eine Rolle? Beruft sich jemand auf ihn? Dient er als Symbol der Freiheit?
Raulff: Nein, es wäre, glaube ich, auch etwas viel verlangt, wenn man in der Ukraine oder in Tschetschenien oder im Libanon erwarten würde, dass da jetzt jemand mit Schillerschriften in der Hand auf die Straße ginge.
König: Ich meinte, dass sein Gedankengut vielleicht präsent ist bei Germanisten, die das ...
Raulff: Das ist es sicher.
König: Ja, aber ich meine schon diesen Pathetiker, den Freiheitskünder Schiller.
Raulff: Das ist er sicher. Schauen Sie, er ist ja im 19. Jahrhundert bei allen Befreiungsbewegungen, in Italien, in Russland und überall ist er enorm wichtig gewesen. Da wird sich sicher auch noch mancher daran erinnern, Moment mal, es gab doch da mal diesen großen deutschen Dichter der Freiheit und der Befreiung.
König: Deutschlandradio Kultur, aus Anlass der Eröffnung des "Schillerjahres 2005" sprechen wir mit Ulrich Raulff, dem Direktor des Schiller-Nationalmuseums und des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Dort werden unter anderem einige der kostbarsten Handschriften unserer Geistesgeschichte aufbewahrt. Was hatte Schiller für eine Handschrift?
Raulff: Oh, eine sehr schöne, große, schwungvolle Handschrift. Sie sehen diese Schrift und wissen, das ist Schillers Handschrift. So haben sie sich das erwartet.
König: Was verrät sie über den Mann?
Raulff: Temperament, Leidenschaft. Das, was man von ihm erwartet.
König: Was war das überhaupt für ein Mensch, der Friedrich Schiller? Sie haben vorhin gesagt: wunderlich, wundersam.
Raulff: Es ist ja jemand gewesen, der in einer ganz prägnanten Weise ständig über seine körperlichen Kräften gelebt hat, ein ständiger Selbstüberforderungsmensch. Rätselhaft also in seiner Motivationsstruktur. Was hat diesen Mann getrieben, dass er so unglaublich schnell gearbeitet hat und mit so starkem, sicherem Zugriff seine Stoffe gewählt hat und bearbeitet hat, auf die Bühne gebracht hat. Die Philosophie seiner Zeit begriffen, ergriffen und in neue Richtung gedrängt hat, die Historiographie aufgegriffen und sofort geprägt hat. Da fragt sich doch jeder, woher kommt diese unglaubliche Kraft von jemandem, der im Grunde genommen leidend ist und die letzten vierzehn Jahre seines Lebens ein Leiden zum Tode im Leibe trägt?
König: Was glauben Sie, woher kam diese Kraft?
Raulff: Ich will jetzt keine zu platte Auskunft geben, das kann ich auch gar nicht. Aber irgendwo hat er ein Unmaß von geistiger Leidenschaft besessen. Also das, was er selbst mit dem Begriff des Enthusiasmus begreift.
König: Er ist Ihnen sehr sympathisch, der Friedrich Schiller?
Raulff: In vielem ja, ja unbedingt.
König: Wo nicht?
Raulff: Er bleibt einem natürlich in manchem auch fremd. Gelegentlich ist er einem ja schlichtweg zu laut.
Jürgen König: "Denn er war unser", habe ich Goethe zitiert. Stimmen Sie zu, dass wir unseren Schiller verloren haben?
Raulff: "Denn wer war unser", das ist richtig, so hat Goethe gesagt. Aber Goethe hat an anderer Stelle natürlich auch immer wieder gesagt, er war ein wunderbarer, wundersamer, großer Mensch. In diesem wundersamer klingt ja auch schon fast das Wunderliche mit durch. Er ist ihm rätselhaft geblieben fast bis zum Schluss und er ist es im Grunde genommen auch der Nachwelt. Und uns heute ist er natürlich noch viel rätselhafter geworden, weil die Distanz zugenommen hat, die Distanz der Jahre, aber natürlich auch die Distanz der gleichsam natürlichen Nähe, die man früher zu diesem Dichter hatte. Ich glaube, das haben wir schon verloren und wir müssen ihn auf andere Weise wiederfinden. Aber, das geht.
König: Warum ist Schiller wichtig?
Raulff: Das ist jetzt sehr direkt gefragt. Warum ist Schiller wichtig? - Darf ich anders antworten? Schiller ist für die Bühnen immer wichtig geblieben, für das Theater. Er hat ja begonnen als ein Theaterknüllerautor, ein Theaterskandalautor und ein unglaublich packender Theatererfolgsautor und das ist er eigentlich immer geblieben. Er ist immer einer der meistgespielten deutschen Autoren, internationalen Autoren geblieben. Unser deutscher Shakespeare hat die Bühne nie verlassen. Aber, was er natürlich verlassen hat, ist das allgemeine Bewusstsein der Deutschen.
König: Wie konnte das sein, dass er uns verloren geht, wenn er doch auf den deutschen Bühnen immer präsent war?
Raulff: Verloren gegangen ist er uns, glaube ich, als sozusagen ständig begleitende Stimme, teilweise auch innere Stimme, weil wir irgendwann das Gefühl hatten, diese Stimme ist zu ungebrochen, diese Stimme ist zu pathetisch. Vielleicht auch zu optimistisch. Ich glaube, dies drei, vier Elemente, der Optimismus, das Pathos, diese ungebrochene Idealität, das ist für uns schwierig mitzumachen.
König: Auf der offiziellen Internetseite, www.schillerjahr2005.de, findet man, unter anderem natürlich, einen verwegen dreinschauenden Schiller und darunter das Wort Freiheit, Ausrufezeichen. Das ist der zentrale Begriff, die zentrale Forderung, auf die Schiller noch heute zu bringen ist?
Raulff: Das ist eine, das ist eine. Es mag sein, dass uns das in Deutschland vielleicht nicht mehr so auf den Nägeln brennt, aber sie brauchen ja nur ein paar hundert Kilometer nach Osten zu fahren, dann füllt sich dieses Schlagwort plötzlich wieder mit ganz neuem Sinn und ganz neuer Bedeutung.
König: Als ich das zum ersten Mal las auf Ihrer Internetseite, dachte ich spontan an George W. Bush und seine Rede in Bratislava, diese "Freedom-Rede". Wir erleben ja überhaupt gerade in vielen Ländern dieser Welt Freiheitskämpfe der unterschiedlichsten Art. Spielt eigentlich irgendwo dort Schiller eine Rolle? Beruft sich jemand auf ihn? Dient er als Symbol der Freiheit?
Raulff: Nein, es wäre, glaube ich, auch etwas viel verlangt, wenn man in der Ukraine oder in Tschetschenien oder im Libanon erwarten würde, dass da jetzt jemand mit Schillerschriften in der Hand auf die Straße ginge.
König: Ich meinte, dass sein Gedankengut vielleicht präsent ist bei Germanisten, die das ...
Raulff: Das ist es sicher.
König: Ja, aber ich meine schon diesen Pathetiker, den Freiheitskünder Schiller.
Raulff: Das ist er sicher. Schauen Sie, er ist ja im 19. Jahrhundert bei allen Befreiungsbewegungen, in Italien, in Russland und überall ist er enorm wichtig gewesen. Da wird sich sicher auch noch mancher daran erinnern, Moment mal, es gab doch da mal diesen großen deutschen Dichter der Freiheit und der Befreiung.
König: Deutschlandradio Kultur, aus Anlass der Eröffnung des "Schillerjahres 2005" sprechen wir mit Ulrich Raulff, dem Direktor des Schiller-Nationalmuseums und des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Dort werden unter anderem einige der kostbarsten Handschriften unserer Geistesgeschichte aufbewahrt. Was hatte Schiller für eine Handschrift?
Raulff: Oh, eine sehr schöne, große, schwungvolle Handschrift. Sie sehen diese Schrift und wissen, das ist Schillers Handschrift. So haben sie sich das erwartet.
König: Was verrät sie über den Mann?
Raulff: Temperament, Leidenschaft. Das, was man von ihm erwartet.
König: Was war das überhaupt für ein Mensch, der Friedrich Schiller? Sie haben vorhin gesagt: wunderlich, wundersam.
Raulff: Es ist ja jemand gewesen, der in einer ganz prägnanten Weise ständig über seine körperlichen Kräften gelebt hat, ein ständiger Selbstüberforderungsmensch. Rätselhaft also in seiner Motivationsstruktur. Was hat diesen Mann getrieben, dass er so unglaublich schnell gearbeitet hat und mit so starkem, sicherem Zugriff seine Stoffe gewählt hat und bearbeitet hat, auf die Bühne gebracht hat. Die Philosophie seiner Zeit begriffen, ergriffen und in neue Richtung gedrängt hat, die Historiographie aufgegriffen und sofort geprägt hat. Da fragt sich doch jeder, woher kommt diese unglaubliche Kraft von jemandem, der im Grunde genommen leidend ist und die letzten vierzehn Jahre seines Lebens ein Leiden zum Tode im Leibe trägt?
König: Was glauben Sie, woher kam diese Kraft?
Raulff: Ich will jetzt keine zu platte Auskunft geben, das kann ich auch gar nicht. Aber irgendwo hat er ein Unmaß von geistiger Leidenschaft besessen. Also das, was er selbst mit dem Begriff des Enthusiasmus begreift.
König: Er ist Ihnen sehr sympathisch, der Friedrich Schiller?
Raulff: In vielem ja, ja unbedingt.
König: Wo nicht?
Raulff: Er bleibt einem natürlich in manchem auch fremd. Gelegentlich ist er einem ja schlichtweg zu laut.