Sir Neville mit englischer Musik in Berlin

16.03.2012
Im Zentrum des 5. Sinfoniekonzerts des Orchesters der Komischen Oper Berlin stehen Werke englischer Komponisten. Sir Neville Marriner präsentiert ein facettenreiches Programm. Während das Concerto für zwei Streichorchester von Michael Tippett Polyphonie mit Blues vereinigt, werden in dem einzigen Oboenkonzert des Ravel-Schülers Ralph Vaughan Williams barocke Formen mit der Moderne vereinigt. Darüber hinaus wird der Abend mit Edward Elgars Enigma-Variationen, die bis heute Eckpfeiler der englischen Musik sind, abgerundet.
Michael Tippett war – wie sein Kollege und Freund Benjamin Britten – von politischen Überzeugungen geleitet und erklärter Pazifist. Das Concerto für doppeltes Streichorchester gehört zu den ersten, die ihn auf der Höhe seines Schaffens zeigen. Geschrieben für ein Orchester aus arbeitslosen Musikern, ist es bis heute eines seiner meistgespielten Stücke. Viele Merkmale des Stückes sind typisch für Tippetts Stil insgesamt: weitgeschwungene Melodiebögen und unmittelbar eingängige Themen, die »additive Rhythmik«, die sich – englischer Madrigal- und Volksmusik entlehnt – über Taktgrenzen hinwegsetzt und für »Drive« sorgt, sowie die für Tippett typische Polyphonie und Kontrapunktik, die durch die Aufteilung des Orchesters in zwei gleiche Teile noch bereichert wird. Der 1. Satz in Sonatenform steckt voller federnder Synkopen; der 2. Satz – entstanden im Zusammenhang mit einer großen persönlichen Erschütterung – zeigt Tippetts Nähe zum Blues und ein erstaunliches langsames Fugato; das Hauptthema des Rondo-Finales ist einer Dudelsack-Melodie aus Northumbria entlehnt.

Ralph Vaughan William benutzt als Sinfoniker gerne die ganze Farbpalette des Orchesters; für sein einziges Oboenkonzert hat er es aber bewusst reduziert. Unter der äußerlich schlichten Gestalt verbergen sich für beide, Oboe und Streicher, hochvirtuose und komplexe Aufgaben. Die Oboe ist fast ständig präsent und pausiert nur wenige Takte. Das »pastorale« 1. Satz ist nur dem Namen, nicht der Form nach Rondo: eine freie Entfaltung mild kontrastierender Themen mit eingestreuten Kadenzen. Im kurzen 2. Satz verbindet der Komponist ein »Minuet« mit einer »Musette« als Mittelteil; beide Teile werden dann kunstvoll miteinander verknüpft. Das »Scherzo«-Finale ist der umfangreichste Satz, mit kontrapunktisch dichtem Orchestersatz und abwechslungsreichen Themen. In diesem Stück hat Vaughan Williams den wichtigsten Leitsatz aus seinem Unterricht bei Ravel exemplarisch eingelöst: Komplex zu schreiben, aber nie kompliziert.

Mit seinen Enigma-Variationen gelang dem damals schon 42-jährigen Elgar endlich der Durchbruch als Komponist. Seither ist das Stück ein Eckpfeiler der englischen Musik, nicht nur in Großbritannien. In dem Werk porträtiert Elgar anhand von Variationen über ein eigenes Thema zwölf seiner Freunde, seine Frau (1. Variation) und sich selbst (14.). Diese persönliche Verknüpfung hat er in seiner Widmung offengelegt, die Identität der Personen aber für Außenstehende durch Initialen oder Spitznamen verschleiert. Heute sind zwar alle Personen und ihre Eigenheiten, die Elgar in Musik setzen wollte, identifiziert; aber auch ohne dieses Spezialwissen ist das rund halbstündige Variationenwerk mit Gewinn zu hören und zählt mit seiner ausgewogenen Architektur, der feinen Charakterisierungskunst und seinem Abwechslungsreichtum zu den bedeutendsten Orchesterwerken der Jahrhundertwende.
www.komische-oper-berlin.de



Live aus der Komischen Oper Berlin

Michael Tippet
Concerto für zwei Streichorchester

Ralph Vaughan Williams
Konzert für Oboe und Streicher a-Moll

ca. 20:50 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Volker Michael im Gespräch mit Neville Marriner

Edward Elgar
Enigma-Variationen op. 36


Miriam Wrieden, Oboe
Orchester der Komischen Oper Berlin
Leitung: Sir Neville Marriner