Sinnliche Ansprache des Publikums

Von Carsten Probst · 13.03.2009
Mit der Klanginstallation der kanadischen Künstler Janet Cardiff und George Bures Miller über den "Tod der Krähen" und den "Schlaf der Vernunft" gibt der neue Direktor der Nationalgalerie in Berlin, Udo Kittelmann, seinen Einstand.
Der Ton bei der Begrüßung ist locker und fast kumpelhaft. Mit vielen ist Udo Kittelmann per du, und schon das deutet auf die grundsätzlich andere Atmosphäre hin, die künftig im Hamburger Bahnhof herrschen wird. Zwar erwähnt Kittelmann seinen Vorgänger als Direktor der Nationalgalerie nicht namentlich, doch wer die Berliner Zustände kennt, hört Kittelmanns Abgrenzung gegenüber Peter-Klaus Schusters stets schwärmerischer Ahnungslosigkeit von Gegenwartskunst deutlich heraus.

Kittelmann: "Ich habe schon den Anspruch, dass dies ein Museum für Gegenwart ist. Wir haben unglaubliche Sammlungsexponate hier, die wir über die letzten Wochen gesichtet haben. Wir strukturieren auch insofern die Räume um, also nicht nur von der Architektur her, dass man verlässlich in Zukunft weiß, wo Wechselausstellungen stattfinden und wo eben Werke der Sammlung der Nationalgalerie ist, die Sammlungen Marx und Flick und auch Marzona."

Kittelmann betont, dass er sich Zeit lassen möchte mit der endgültigen Einrichtung der Sammlungsbereiche. Aus dem selbsternannten Walhalla der Gegenwartskunst, wo noch unter Schuster regelrechte Weihestunden vor den Sockeln vermeintlicher Künstlerhelden gefeiert wurden, ist plötzlich ein großes Arbeits- und Experimentierfeld entstanden, das nach allem, was man bis jetzt sehen und hören kann, keine endgültigen Wertungen zur Kunst mehr abgeben wird, sondern den Besucher selbst zum Suchen und Fragen animieren will.

Der Kult des Künstler ist vorbei, sagt Kittelmann in Bezug auf die letzte Ausstellung seines Vorgängers und gesteht ein, dass es ihm Spaß macht, die Neugier des Publikums noch anzustacheln und die 13.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche des Hamburger Bahnhofs nun erst nach und nach mit immer neuen inhaltlichen Aspekten zu versehen.

Kittelmann: "Es ist eine fantastische Aufgabe, die einen zur Zeit jedenfalls immer ein Tageswerk vollbringen lässt und ein Nachtwerk. Die Arbeit, die Installation von Janet Cardiff/George Miller betrachte ich schon als eine Metapher für meinen Anfang. Es ist ein großes Bühnenstück .

Sie werden die Installation durch einen großen theaterähnlichen Vorhang betreten, und das Spannende ist ja immer nicht das, was vor dem Vorhang ist, sondern wenn er gelüftet wird, was hinter dem Vorhang sich verbirgt. Ich weiß im Moment auch noch nicht ganz genau, oder Sie wissen es noch nicht, ich weiß es schon genau, was sich dann irgendwann hinter dem großen Vorhang des Hamburger Bahnhofs zum Spätsommer hin lüften wird."

Das kanadische Künstlerpaar Janet Cardiff und George Miller bespielt die derzeit leere Haupthalle des Hamburger Bahnhofs mit einer Klang- und Rauminstallation. Zahllose Lautsprecher verteilen sich über den Saal, in dessen Mitte Stühle für die Besucher aufgestellt sind. Die Kompositionen unter dem Titel "The Murder of Crows" handeln von alptraumartigen Sequenzen, die im Wechsel von Erzählung und Klangkompositionen eine psychedelisch aufgeladene Atmosphäre erzeugen.

Der Symbolcharakter dieser Arbeit für Kittelmanns Museumskonzept reicht über den großen roten Theatervorhang am Eingang noch hinaus. Cardiff und Miller präsentieren eine sinnliche, traumartige Ansprache des Publikums, eine ständige Vermischung von Realität und Fiktion, wie auch Kittelmann sie bei seinen Ausstellungen bekanntermaßen schätzt.

Das zeigt sich auch an den ersten bereits neu gestalteten Räumen, die schon zu sehen sind. Der Westflügel bleibt zwar wie bisher dem einzigartigen Werkkonvolut von Joseph Beuys vorbehalten, es wurde jedoch klarer und zusammenhängender gegliedert. In die Beuys-Säle gelangt man nun durch vier dunkelbraun gehaltene Kabinette, die die Ideenwelt von Fluxus und Happening andeuten, mit seltenen Filmaufnahmen und zuvor hier kaum einmal gesehenen Arbeiten von Nam June Paik, Dieter Roth, Günter Brus, Marcel Duchamp und John Cage. All das deutet schon jetzt auf eine wohltuende neue Logik der Sammlung hin und macht in der Tat neugierig auf Weiteres.