Sinnbild des zagenden Künstlers

Der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher beschreibt in seinem neuen Buch "Der Fliegenpalast" fiktional einen Ausschnitt aus dem Leben des Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal. Dafür versetzt sich Kappacher zurück in das Jahr 1924. Zu dieser Zeit war Hofmannsthal 50 Jahre alt und rang mit dem Schreiben.
Walter Kappacher ist ein wundersam eigenwilliger Schriftsteller, "ein ganz Seltener", wie Peter Handke ihn einmal nannte. Einer, der verhalten und diskret zu schreiben versteht und dem wohl nur deshalb gelingen konnte, was er in seinem neuen Buch wagte: zehn Tage im Leben des alternden Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal zu verweilen. Im Jahre 1924. In Bad Fusch, wo Hofmannsthal schon in seiner Jugend so häufig war. Mit seinen Eltern, mit Freunden und vor allem mit sich und seinen Ideen. Er hat gedichtet, geschrieben, entworfen. Theaterstücke, Romane. Eine produktive Zeit, an die er sich nun mit Freude und Schmerz, ja mit Wehmut erinnert.

Er ist 50 und in einer Schaffenskrise. Das Schreiben will nicht gelingen. Es fehlt ihm an Inspiration, am richtigen Ort. Er ist geflohen aus Lenzerheide und vor seinem Freund Carl (Jacob Burckhardt), um in Bad Fusch allein zu sein. Doch auch hier fühlt er sich fremd. Die alte Ordnung ist nicht mehr, in die er gehörte. Selbst die Qualität der Bleistifte ist seit dem Krieg nicht mehr die gleiche.

Er schreibt Briefe, liest Henry James, spaziert auf stillen Wegen, sitzt schauend auf Bänken. Und mäandert zwischen menschenscheuer Zurückgezogenheit und Angst vor Einsamkeit. Er stöhnt ob der vielen Post – aber wenn nur zwei Briefe kommen, ist er beunruhigt. Er hat den Portier gebeten, seinen Namen nur ja nicht zu nennen, um keine lästigen Bewunderer auf den Fersen zu haben.

Aber wenn dann keiner ihn grüßt und keiner ihn kennt, glaubt er sich gänzlich vergessen, fühlt sich verlassen. Und phantasiert auf seinen Spazierwegen Briefe an den jungen Arzt, der ihm half nach einem kleinen Schwindelanfall. Sehnt sich nach einem Gespräch mit ihm, dem Fremden. Würde ihm so gern erzählen von sich. Wohl auch, um sich seiner selbst zu vergewissern, nun, da die Zweifel ihn peinigen. Er braucht Bewegung, um denken zu können – aber wenn es regnet? Der Blick aufs Barometer wird zum existentiellen Moment.

Selbst Leser, die Romanbiografien eher meiden, sind aufs schönste aufgehoben in diesem Buch. Keinen Augenblick fühlt man sich voyeuristisch benutzt. Walter Kappacher will sich seinen H., wie er ihn nennt, nicht aneignen, er verschlingt ihn nicht, sondern lässt ihn sein, kommt ihm mit großer Zurückhaltung nah. Er will ja auch nichts enthüllen oder skandalisieren, will keinen neuen Hofmannsthal präsentieren, sondern will schreiben über ein Sein in seiner Zeit. Über einen Mann und seine Lebensunruhe. In einer Epoche, die wie ein Zwischenspiel wirkt: zwischen zwei Weltkriegen. Doch die große Geschichte spielt nur in kleinen Sentenzen hinein in das Sinnen und Hadern des Dichters.

Kappacher, 1938 in Salzburg geboren, hat sich schon in seinem Roman "Selina oder das andere Leben" als Meister der Ereignislosigkeit erwiesen, der in gelassener Ruhe von Ameisenstraßen und Ziegenkäse bannend erzählen kann. Auch hier gibt es keinen Plot, kein Ereignis, keine Aufregung. Aber das Verlangen eines Dichters nach Vollendung und die Qual des Zweifels. H. ist Hofmannsthal und ein Sinnbild des zagenden Künstlers.

Es ist ein stilles, ein besänftigend trauriges Buch über das Leben, die Einsamkeit, den Abschied. Auch über Irrtümer. Und vor allem über die Angst, nicht mehr schreiben zu können. Eine Zeile von Robert Walser geht H. nicht aus dem Kopf: "Wann ging die feine Stäubung des Schmetterlings in mir verloren."

Wie so viele schöne Dinge ist auch dieses Buch im besten Sinne altmodisch.
Geschrieben in einer Sprache, die keine Funken schlagen, keine Provokation auslösen, kein Pirouetten drehen will, sondern einfach nur langsam und genau, sanft und leuchtend erzählen. Und die genau das tut. Welche Beglückung für uns Leser.


Rezensiert von Gabriele von Arnim

Walter Kappacher: Der Fliegenpalast
Residenz Verlag, St. Pölten 2009
172 Seiten, 17.90 Euro