Singende Freundinnen

Von Gerhard Richter |
In Dirlewang im Allgäu gibt es eine Gruppe von jungen Frauen, die sich schon von Kindesbeinen an kennen. Heute sind sie zwischen 24 und 26 Jahren alt und singen regelmäßig auf Hochzeiten, Geburtstagen oder eigenen Konzerten.
Tina: "Wir waren beste Freundinnen und sind wir immer noch."

Sandra: "Weil wir einfach so sind, wie wir sind. Wir schrecken halt auch vor nichts zurück."

Anita: "Berühmt berüchtigt sind wir."

Tina: "Wir gehen auch immer zusammen am Wochenende weg, und lassen es zusammen knallen, aber wir können auch ganz schön anders ein, weil wir viel durch g'macht haben."

Stefanie ist in Feierlaune, sie hat die Prüfung als Heilerziehungspflegerin hinter sich. Es gibt Rotwein im Plastikbecher. Die jungen Frauen plaudern auf dem Hof, wo es nach frisch gemolkener Milch und nach Misthaufen duftet. Noch ein letzter Zug an der Zigarette, dann drängen alle in das Bauernhaus, die Stiege nach oben, in ein kleines Zimmer, mit Holzdielen und Holzfenstern. Der Proberaum. Wer auf dem alten Sofa, den zwei Betten und den schiefen Korbstühlen keinen Platz findet, der stellt sich halt neben das elektronische Keyboard mitten im Zimmer.

Die Sunnies wiegen sich im Takt.

Heute sind Gäste da: Tobias und Verena sitzen eng nebeneinander auf der Bettkante und hören zu – es geht um die Liedauswahl für ihren Trau-Gottesdienst. Das junge Paar hat die Sunnies für ihre Hochzeit gebucht.

Die 16 Sunnies sind zusammen groß geworden, alle kommen aus Dirlewang, alle kennen sich schon aus dem Kindergarten. Als Geburtsstunde des Chores gilt aber die Gründung der sogenannten "Tierbande". Als Achtjährige haben sie Froschteiche gebuddelt und Plakate für Tierschutz gemalt.

Tina Salger: "Und dann war es uns irgendwann zu langweilig und dann haben wir gedacht: Komm, singen wir mal in der Kirche. Und dann sind wir halt mit Gitarre bepackt, sind wir zu unserem Pfarrer 'gangen, und haben ein paar Lieder vorg'sungen und haben g'fragt, ob wir ned mal in der Kirche singen dürfen. Dann hat er g'sagt, des isch okay. Wir dürfen singen."

Mittlerweile sind die Sunnies gefragte Experten in Sachen Gottesdienstgestaltung. Einzug, Gloria, Lesung – für jeden Liturgieteil bieten sie mehrere Lieder an. Auch Popsongs.

Verena, die künftige Braut, lehnt ihren Kopf an die Schulter des Bräutigams, er legt seinen Arm um ihre Hüfte. Der Sound der Sunnies geht ans Herz. Auf über 100 Trauungen hat die Mädchen-Clique schon gesungen, offensichtlich mit Erfolg, erst zwei Paare haben sich scheiden lassen. Die Sunnies werden zu Geburtstagen eingeladen, auf Feste und sie veranstalten selber Konzerte in der Dirlewanger Turnhalle. An die tausend Leute kommen da an zwei Abenden schon mal zusammen. Nicht nur aus Dirlewang. Die Sunnies kennt man im Unterallgäu. Sogar einen Fernsehauftritt hatten sie schon, bei Pro7. "Deutschland sucht den Volksmusikstar."

Tina Salger: "Ja wir sind nach München g'fahren zum Casting. Wollten eigentlich einen Ausflug machen. Haben gedacht, da g'winnen wir sowieso nie, ja und dann am Schluss haben wir halt …g'wonnen!?"

In der nächsten Runde haben sie dann freiwillig aufgehört. In die Volksmusikschublade wollten sie nicht.

Tina Salger: "Es geht halt nur um Geld, und die wollten, dass wir gegen andere aufspielen, und dann haben wir irgendwann gesagt: keine Lust mehr."

Singen muss halt Spaß machen. Fürs Geldverdienen gehen die jungen Frauen lieber ihren Brotjobs nach, als Arzthelferin, Pflegerin, Verkäuferin. Tina Salger ist Lehrerin für Englisch und Musik. Sie formt aus den 16 Altstimmen den Sound der Sunnies, erzählt Anita:

Anita: "Im Endeffekt macht alles Tina, die spielt alles aufs Keyboard ein. Die übt die Stimmen mit uns ein, die erste zweite dritte stimme, und macht auch Dynamik. Und probt des mit uns ein, praktisch. Ja, aber jeder kann seinen Senf dazugeben, wem was net passt, und jeder hat seine Meinung dazu, und wir versuchen praktisch alles zu verwirklichen, ob jedem des g'fällt, oder jedem des liegt."

Balladen, Pop- und Volkslieder, Beatles und Abba gehören zum Repertoire – und ein einziges selbst geschriebenes Lied. Für Beerdigungen. Die Hälfte der jungen Frauen hat schon den Vater verloren.

Tina: "Des hat uns halt auch z'samm'ghalten und verbunden. Und das singen wir auch anders, als die anderen Lieder."

Sie haben einen alten Bauwagen zum gemeinsamen Clubraum umgebaut, dort feiern sie jedes Wochenende, planen die nächsten Ausflüge oder werten die letzten aus.

Sandra: "Zum Beispiel, wo wir nach Mallorca g'flogen sind, da haben wir so eine Gitarre mitg'nommen, sind am Flughafen gehockt und haben einfach g'sungen. Die Leute waren zwar ein bisschen genervt … "

Tina: " … aber des hat uns noch mehr motiviert."

Sandra: "Wir provozieren halt auch gern."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.