Singen macht glücklich

Von Susanne Burkhardt · 08.08.2008
Sie sind anspruchsvoll, ehrgeizig, fleißig und erfolgreich: Die Mitglieder des Kammerchors Ensemberlino Vocale aus Berlin wagen sich auch an schwierigste Stücke. Die Sängerinnen und Sänger haben Werke aus allen Epochen in ihrem Programm und singen mit höchster Perfektion.
Montagabend. Der Musikraum einer Oberschule in Berlin-Moabit. 70er Jahre Ambiente. Orangefarbene Wandpannele. Alles leicht schäbig und schmuddelig. In einem Halbkreis stehen fünfundzwanzig Männer und Frauen und heben die Arme langsam rhythmisch in die Luft. Dabei machen sie merkwürdige Geräusche.

Dass das hier kein esoterisches Seminar ist, auch keine Yoga-Stunde oder das Treffen einer Selbstfindungsgruppe, weiß man spätestens dann, wenn die Männer und Frauen gemeinsam zu singen beginnen. Denn dann erklingen Töne, so kräftig, klar und voller Volumen, dass sich der heruntergekommene Aula-Raum plötzlich in ein Kirchenschiff verwandelt.

Ralf Sochaczewsky ist der magische Kopf des Ensemberlino Vocale und ‚verantwortlich’ für die besondere Qualität dieses Laienchors. Aufnahmekriterien: Man muß vom Blatt singen können. Und natürlich eine gute Stimme mitbringen.

Sochaczewsky: "Es gibt paar Leute die Musik studiert haben – Schulmusiker, Tonmeister – vielleicht fünf oder so… ansonsten – sind es viele Juristen; Ärzte, Übersetzer, es ist ganz bunt gemischt – es sitzt relativ viel Intelligenz da vor einem – da muß man schon immer aufpassen, was man sagt."

Er war erst 25 Jahre alt, als er vor zehn Jahren die Leitung des Chores übernahm. Sein Vorbild ist Claudio Abbado, der für ihn in perfekter Weise Klang und Befreiung vereint. Ralf Sochaczewsky wirkt uneitel, mit seinen zum Zopf gebunden lockigen Haaren, dem schlabbrigen T-Shirt und der Leinenhose zu Sandalen. Einer, der sich der Kunst ganz hingibt und hochkonzentriert durch die Proben führt. Er fordert viel von seinen Sängern. Und er bekommt viel.

Sochaczewsky: "Dieser Chor ist ein Chor, der seine Freude und seine Motivation hierher zu kommen, vor allem darüber definiert, dass hier gute Musik gemacht wird. Es gibt andere Chöre, da steht das nicht im Vordergrund. Wir sind ein Chor, wo Leistung gebracht werden will von den einzelnen Leuten."

Leistung ist das, was Ensemberlino Vocale ausmacht. Das Repertoire: vor allem a-capella-Werke aus dem 20. Jahrhundert. Schwierigste Stücke von Arnold Schönberg, György Ligeti oder Alfred Schnittke werden in kleinen Schritten erkämpft. Unermüdlich werden einzelne Takte wieder und wieder geübt. Und genau das wollen die meist intellektuellen Sänger, wie Moritz Pitsch, 34 Jahre, Mikrobiologe.

Moritz Pitzsch: " Dieser Chor ist besonders gut, um sich weiter zu entwickeln. Ich hab gemerkt, dass man in anderen Chören so an die Grenzen stößt. Und da hab ich gemerkt, dass man in diesem Chor sehr gefordert wird, dass man sich zu Hause hinsetzen muss und was tun muss."

Zwei Stunden hat der Bass-Bariton am Wochenende geübt. Auch Hinrich Schmidt-Henkel, 48 Jahre alt und Literatur-Übersetzer hat seine Hausaufgaben gemacht. Seit 41 Jahren singt er regelmäßig im Chor – seit einem Jahr im Ensemberlino vocale. Und noch immer staunt er über die belebende Wirkung des gemeinsamen Singens.

Schmidt-Henkel: "Ich bin wie oft Montag abends um sieben – dass ich denke, oh man, jetzt könntste dich in die Sofaecke setzen und einen Wein trinken oder was Gutes lesen - und dann zur Probe und man ist müde – und schon nach dem Singen ist es anders, dann fängt man an zu proben und die Aufmerksamkeit wächst und die Konzentration wächst. Und hinterher hat man zwar viel geleistet – aber ist sehr viel frischer als vorher."

Müde hin - munter zurück. Ein Phänomen, das auch Ulrike Steureiter, 51 Jahre, Deutschlehrerin, bei jeder Probe neu erlebt:

Steureiter: "Das ist das Mysterium des Singens – einmal ist das für den Körper energiereich – es beseelt nicht nur, sondern man wird erfrischt – nicht nur im Geist – sondern auch im Körper und das ist unglaublich befriedigend – seelisch und körperlich gibt’s nichts Besseres."

Stimmbildnerin Susanne Bormann-Fortuzzi, die mit den Sängern bei jeder Probe einzeln die Stimme trainiert, hat die wissenschaftliche Erklärung dafür parat.

Bormann-Fortuzzi: "Singen fördert die Durchblutung. und das heißt – man ist körperlich wacher hinterher – man ist sogar, wenn’s gut gelaufen ist, etwas euphorisch – man schüttet Endorphine aus, deshalb wird Singen als Therapie empfohlen, zum Beispiel bei Burnout-Erscheinungen."

Es sind gleiche mehrere Geheimnisse, die den Erfolg des professionell klingenden Laienchors Ensemberlino vocale ausmachen: Ralf Sochaczewsky übt meist ohne Klavierbegleitung. Das schult das Intonationsvermögen. Und er achtet streng darauf. dass keiner sich hervortut.

Sochaczewsky: "Letztlich geht es darum dass man im Chor diese unterschiedlichen Qualitäten so zusammenbringt, dass ein homogenes Gemeinschaftserlebnis dabei herauskommt. Das ist im Mannschaftssport das Gleiche. Da bringt jeder seine Qualitäten ein und im Endeffekt versucht man zu gewinnen. Und der Gewinn ist bei uns, wenn wir merken, jetzt machts ‚Plopp’ und alle schwingen gleich und die Union mystiqua wird erreicht"

Inzwischen ist Ralf Sochaczewsky Assistent Conductor beim Royal Philharmonic Orchestra. Damit die Proben unter seinen London-Reisen nicht leiden, hat er sich mit Matthias Stoffels einen jungen Chorleiter an die Seite geholt, der ihn vertritt und unterstützt. Es ist sicher, dass man von Ralf Sochaczewsky mit, aber auch ohne das Ensemberlino Vocale noch öfter hören wird.

Sochaczewsky: " Das finde ich mit diesem Chor sehr schön, dass da sehr intensive Momente entstehen, wo man dann diese Welt verlässt für einen Moment – und das ist eigentlich dass worum es geht – letztlich…"