Singen macht glücklich

Von Hartwig Tegeler |
Die 30 Mitglieder des Lübecker Chors <papaya:link href="http://www.kammerchor-ivocalisti.de/" text="I Vocalisti" title="I Vocalisti" target="_blank" /> verbringen viele Stunden ihrer Freizeit damit, anspruchsvolle geistliche und weltliche Chormusik einzustudieren. Werke von Bach, Brahms und Mendelssohn gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie die Stücke zeitgenössischer Komponisten. Die Belohnung für ihre Mühen: ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Glück durch das gemeinsame Singen.
"Also, es ist so, als ob etwas einrastet."

So könnte man, meint Viola Wilde, 39, seit elf Jahren im Chor, das Singen bei I Vocalisti beschreiben.

"Es ist das Gefühl von, jawoll, es stimmt! In dem Moment auch das Gefühl von absolutem Vertrauen, meinem Umfeld gegenüber. Also, da kann jetzt also eine Bombe einschlagen. Die singen völlig unbeirrt und richtig und so weiter."

"Gut! Kann bitte Sopran II einsetzen. Takt neun. Wir sind Takt neun. Und Vorsicht beim Alteinsatz, dass ihr den gut trefft. Gar nicht zu laut, einfach nur treffen. Sopran II beginnt in Neun!"

Ganz so weit ist es bei den Proben zu einem Chor des lettischen Komponisten ...

"Der heißt Ugis Praulins!"

... noch nicht, mit der Unbeirrtheit und dem Richtigen. Chorleiter Hans-Joachim Lustig unterbricht. Aber immerhin:

"Wir sind auf einem guten Weg! Okay, jetzt sind wir auf dem ´Glo´ nicht schlecht, aber auf dem ´ria´ klingt es ein bisschen ... Dass nicht alle so gut diese Quinte treffen. Also noch mal ... Alt! ..."

An diesem Sonntagnachmittag haben die rund 30 Sängerinnen und Sänger von I Vocalisti schon Einiges hinter sich. Gestern Abend hat der Chor ein Konzert gegeben, am Morgen geprobt und jetzt, nach der Mittagspause, geht es weiter. Bis in den frühen Abend hinein.

1991 hat Hans-Joachim Lustig – Dirigent und Chorleiter – den Chor gegründet. Er besteht aus Laien-Sängerinnen und –Sänger; Neuzugänge müssen nach dem Vorsingen eine Probezeit absolvieren, um in der Praxis zu entscheiden, ob sich der ´Neue´ musikalisch und menschlich bei I Vocalisti einfügt? Der Chor tritt sich jedes dritte Wochenende in Lübeck oder Umgebung; übernachtet wird auch schon mal in einer Jugendherberge. Ansonsten geht es ums Singen, um das gemeinsame Singen. Wie man sich diese Gemeinsamkeit in einem Chor vorstellen kann? Viola Wilde:

"Ja, also ob es so ein Band gäbe. So wie Perlen auf der Schnur vielleicht."

Der Chor, ein gemeinsamer Körper, ein corpus. Im besten Fall. Was passiert ...

"Völlig unmusikalisch und körperlich gesprochen!"

... beim Chorsingen im Körper des Chorsängers? Christoph Behm, 22 Jahre alt, Bariton, seit 4 Jahren bei I Vocalisti.

"Ja, ein Corpus mit Gänsehaut. Ja, ganz platt gesagt, körperlich, wenn es funktioniert, und wenn es Momente gibt, wo es ´einrastet´, dann ist es schlicht und ergreifend Gänsehaut und ein Schauer, der einem über den Rücken geht."
"Zum Beispiel nach einem ganz besonders gelungenem Auftritt oder Wettbewerbsauftritt, wo man so innerlich mitgerissen wird und so ergriffen wird, dass wir alle raus kamen und alle angefangen haben zu weinen. Unabhängig voneinander hatte jeder dieses Gefühl."

Sind es Gefühle, sind es Momente von Glück, die die I-Vocalisti-Sänger mitunter erleben?

"Definitiv. – Ja! – Genau das ... – Ja, auf jeden Fall! - ... beschreibt es das."

Weiter geht es mit der Probe. Aufstehen. Die Noten in die Hand genommen.

"Okay! Von vorne! Im Stehen bitte! – Alle? – Alle mit Alle. Schnell noch einen Schluck nehmen und dann! Sopran! –Dankeschön! Dankeschön!"

I Vocalisti singen sowohl Klassik als auch Werke zeitgenössischer Komponisten: Vic Nees, Bernd Franke oder eben Ugis Praulins, den ´die Vokalisten´ an diesem Sonntag besonders üben. Der Lette Ugis Praulins war ursprünglich Rockmusiker. Viele Komponisten aus dem Baltikum haben ein, wie Hans-Joachim Lustig festgestellt hat, unverkrampftere Einstellung zu musikalische Genres. Da hat es nichts Anrüchiges, Pop- und klassische Musik zu komponieren.

"Die Stücke, die wir uns aussuchen, die haben eben immer auch musikantische Anteile. Das heißt, diese Art von Musik hat eben ihre Wurzeln teilweise, sei es harmonisch, oder auch rhythmisch oder von der Energie auf jeden Fall, auch in dieser Art von populärer Musik."

"Lasst uns bitte folgende Stelle einsteigen. Achtung, damit das gleich klappt. Einundzwanzig. Das ist der zweite Frauenstimmeneinsatz. Frauenstimmen hallo! Auch da linke Seite ..."

Hans-Joachim Lustig stellt seinen Chor übrigens nicht traditionell stimmlich separiert auf, sondern formiert im Gesamt-Chorraum mehrere ´Klein-Quartette´ aus Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Stimmen.
"Wenn man jetzt in dieser Formation sitzt und auch teilweise so probt – teilweise teilen wir den Chor auch auf, und die gehen in verschiedene Räume. Damit jeder weiß, wo er sich im Ganzen befindet."

Das Ziel: Gemeinschaftsgefühl und Lebendigkeit des Ausdrucks stärken. Lebendigkeit!

"Ich glaube, das früher, zu den Zeiten, in denen, ja, Musik von Mozart oder so entstanden ist, das Konzertleben ein sehr viel Lebendigeres war. Und heutzutage gilt es natürlich als verpönt, wenn man da nicht die ganze Zeit still sitzt. Da entgeht uns allen gemeinsam etwas, sowohl dem Publikum. Das nimmt man sich als klassischer Konzertbesucher häufig."

Das zweite Stück – neben dem des Letten Ugis Praulins -, das I Vocalisti an diesem Sonntag probt, stammt vom italienischen Komponisten Giovanni Gabrieli aus dem 17. Jahrhundert. Ein Doppelchor, ursprünglich gedacht für große Kirchen mit zwei Emporen; auf einer stand jeweils ein Chor. Der Raum im medizinisch-historischen Institut in Lübeck ist um – wenn man so will - ´um Jahrhunderte nüchterner´. Aber wenn man die Augen schließt ...

"Das hat schon eine tolle Wirkung. Wenn wir uns jetzt vorstellen, es wäre in einer großen italienischen Kirche, denn kann sich schon ein bisschen vorstellen, wie es damals geklungen haben mag. Chor 1 beginnt."

Ach ja, noch eins. Kann man Chor-Junkie werden?

"Ja, auf jeden Fall. – Sind wir hier alle, die wir hier singen, glaube ich. – Also, die haben alle jetzt eine arbeitsreiche Woche hinter sich. – Also, manchmal ist man körperlich erschöpft, weil das einfach körperlich anstrengend ist zu singen. Es nimmt ja den ganzen Menschen mit. Aber auf anderen Seite geht man raus und ist voller guter Energie, so aufgeladen für seinen Alltag."