Singen bis zur Gänsehaut

Von Gerrit Stratmann |
Der mittlerweile 40-köpfige Chor aus Essen nennt sich zwar Schräglage. Doch anders als der Name vermuten lässt, singt Schräglage weder schräg noch schief. Das Repertoire des seit 20 Jahren bestehenden Chors speist sich vor allem aus bekannten Pop- und Rocksongs.
Donnerstagabend im Gemeindezentrum der evangelischen Zionskirche in Essen-Horst. Seit 20 Jahren probt hier der Chor Schräglage. Die 20 Männer und Frauen nehmen Aufstellung im Halbkreis und wärmen sich auf.

Wegen der Sommerferien fehlt die Hälfte der Besetzung. Aber der erste Auftritt des neuen Programms „Fernwohl und Heimwehen“ steht vor der Tür und Chorleiter Oliver Noack möchte jede Gelegenheit nutzen, den 16 Liedern den letzten Schliff zu geben. Neben zwei Musiklehrern ist er der einzige mit einer musikalischen Ausbildung im Chor. Die restlichen Sängerinnen und Sänger im Alter zwischen 20 und 50 Jahren sind zwar nicht professionell geschult, aber begeistert bei der Sache.

„Schönheit der Stimme ist eigentlich erstmal zweitrangig, wichtiger ist die Musikalität, weil ich immer wieder auch die Erfahrung mache, es ist gar nicht das Wichtigste, dass die Leute gut singen, sondern dass sie regelmäßig zur Probe kommen. Das ist mir viel wichtiger.“

Oliver Noack ist seit 20 Jahren Chorleiter verschiedener Ensembles. 1996 hat er die Leitung von Schräglage übernommen. Seitdem widmet sich der Chor weniger den klassischen Werken, sondern studiert vermehrt Pop- und Rockstücke ein.

„Also Chormusik ist ja sowieso jetzt, also im Verhältnis zu vor 20 Jahren schon deutlich anerkannter und beliebter, aber es ist immer eigentlich noch so ein Stiefkind der Musik. Chormusik wird im Großen und Ganzen noch als ziemlich uncool angesehen.“

Der Eindruck fehlender Coolness wird bei Schräglage schnell zerstreut. Bewährte Popklassiker, von Oliver Noack mitreißend arrangiert und auf der Gitarre begleitet, bewegen nicht nur die Zuhörer auf Konzerten, Hochzeiten oder Kirchenfesten. Auch für die Sängerinnen und Sänger selbst sind die entstehenden Klangwelten oft ein Erlebnis. Rainer Führer, tätig bei einer Unternehmensberatung, ist als Gründungsmitglied von Anfang an dabei.

„Ja, manchmal kann man Gänsehaut sagen. Wenn ein von Oliver arrangiertes Stück zur Aufführung kommt und man steht da oben, im Saal ist es mucksmäuschenstill und alles guckt nach vorne und wartet auf den nächsten Ton... Und wenn der Ton dann kommt und der ganze Akkord stimmt, das ist dann schon Gänsehaut.“

Schräglage rockt, keine Frage. Ebenso viel Wert legt Oliver Noack in seinen Arrangements aber auch auf leise und differenzierte Begleitstimmen.

„Bei a cappella-Truppen ist es manchmal viel interessanter, darauf zu achten, was die Begleitstimmen machen, was für Silben die singen und wie die sich bewegen, rein musikalisch jetzt, das find ich immer sehr spannend und das ist natürlich für mich immer ein Riesenspaß, mir irgendwelche Silben zurecht zu scrabbbeln, die die dann singen müssen. Dana dschana hm pa pa, zum Beispiel."“

Auch deutsche Titel gehören zum festen Repertoire des Chores. Das Publikum, hat sich in der Vergangenheit gezeigt, hört gerne deutsche Sachen. Ein deutsches Lied entfaltet bei den Auftritten auch fast immer eine besondere Wirkung, nicht zuletzt, weil der Chor dabei die Zuhörer umzingelt und in die Mitte nimmt.

„Und Über sieben Brücken ist natürlich dadurch, dass wir fast im Publikum stehen, die sind mit im Chor. Also da werden viele Augen feucht. Wir haben schon die ein oder andern weinen sehen im Publikum. Das ist dann schon sehr ergreifend, dass dann in dem Moment zu singen. Und manchmal auch schwierig, dann noch weiterzusingen.“

Tanja Krüger ist die Vereinsvorsitzende des Chores. Wie viele andere ist sie durch eine Anzeige auf Schräglage aufmerksam geworden und dem Chor seither treu geblieben. Was die 28 Frauen und 12 Männer dort hält, sind aber nicht nur die gemeinsamen Lieder oder das alljährliche Übungswochenende in einer Jugendherberge. Das Singen erfüllt bei vielen eine ganze Reihe von Bedürfnissen.
„Das ist alles Mögliche in einem. – Irgendwie alles loslassen, finde ich. Entspannen. – Vor allem, wenn wir eine Harmonie treffen, nach fünf Versuchen und dann treffen wir die Harmonie, das ist fast Meditation, kann man sagen. – Aber auch Spaß haben einfach, ne, und viel Lachen bei uns. Was uns ja manchmal vorgeworfen wird, ne, uns im Alt.– Genau!“

Dass die Mitglieder jeden Donnerstag wieder gerne zur Probe kommen, liegt nicht zuletzt auch an Oliver Noack, der die richtige Mischung aus Freude, Disziplin und der nötigen Motivation findet.

„Es war hinreißend gesungen! – Aber leider zu tief ...“