Sinfonische Musik

Von Fjorden und Inseln

Kristjan Järvi
Kristjan Järvi, der Chefdirigent des MDR Sinfonieorchesters © MDR / Franck Ferville
21.12.2014
Es ist seine Spezialität - die Musik des Nordens. Der estnisch-amerikanische Künstlerische Leiter des MDR Sinfonieorchesters, Kristjan Järvi, dirigiert ein Programm ganz nach seinem Gusto.
Wie sein Vater Neeme und sein großer Bruder Paavo setzt sich auch Kristjan Järvi für das Werk seines estnischen Landsmanns Eduard Tubin ein. Was verbindet diesen vor der sowjetischen Besetzung nach Schweden geflohenen Künstler mit seinem norwegischen Zeitgenossen Geirr Tveitt? Ganz augenscheinlich das Interesse an der traditionellen Musik der jeweiligen Heimat.
Eduard Tubin ließ sich von der Sammelleidenschaft der beiden ungarischen Meister Zoltán Kodály und Béla Bartók anregen. Wie sie es auf dem Balkan und in Nordafrika getan hatten, erforschte Tubin die Volksmusik auf der estnischen Insel Hiiumaa und komponierte aus gefundenen Melodien klassische Stücke.
Geirr Tveitt wiederum ließ sich nach seinen Studien in Leipzig, Wien und Paris in der entlegenen Region Hardanger nieder und sammelte ebenfalls regionale Volkslieder - über eintausend soll er notiert haben. Gleich doppelt bezieht er sich auf die norwegische Kultur in seinen beiden sehr speziellen Solokonzerten: Nicht nur das musikalische Material, sondern gleich das ganze Soloinstrument hat er der regionalen Kultur entliehen: Die Hardangerfiedel, eine Geige, die außer vier Saiten noch weitere Resonanzsaiten besitzt, ähnlich wie die Viola d'amore.
Ganz anders sieht es mit Jean Sibelius aus, dessen 150. Geburtstag im kommenden Jahr nicht nur in Finnland groß gefeiert werden wird: Er interessierte sich zwar brennend für die Wurzeln der finnischen Kultur, wie sie zum Beispiel im Kalevala-Epos zum Ausdruck kommen. In seinen Werken vermied er aber stets Rückgriffe auf die Volksmusik. Und auch die Behauptung, Sibelius habe den idealen Soundtrack zur nordischen Landschaft verfasst, sollte man mit äußerster Vorsicht zur Kenntnis nehmen.
Sibelius' 5. Sinfonie steht besonders deutlich für den langen Selbstfindungsprozess des Vaters der finnischen Musikkultur: Sie wurde vor fast genau einhundert Jahren, als der Komponist 50 Jahre alt wurde, uraufgeführt. Es schien ihm beim Komponieren, als würde erst jetzt der echte "Jean Sibelius" entstehen. Das Werk gehört mit seinem sehnsuchtsvollen Hauptthema des vierten Satzes, der mit dem Südwärtsflug der Zugvögel im Herbst in Verbindung gebracht wurde, zu den schönsten Sinfonien des Jahrhunderts, das sich eigentlich als zu jung für diese Gattung fühlen sollte.
Neues Gewandhaus zu Leipzig
Aufzeichnung vom 6. Dezember 2014
Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82
Eduard Tubin
Suite über Estnische Tanzweisen für Violine und Orchester
Geirr Tveitt
Konzert für Hardangerfiedel und Orchester Nr. 2 op. 252 "Tri Fjordar"
Eldbjørg Hemsing, Violine
Ragnhild Hemsing, Hardangerfiedel
MDR Sinfonieorchester
Leitung: Kristjan Järvi