Sinfonische Musik

Celebrity-Raritäten

Blick vom Altstädter Brückenturm bei Sonnenuntergang über die Karlsbrücke auf die Prager Kleinseite mit der Prager Burg und dem Veitsdom
Prag bei Sonnenuntergang mit Blick vom Altstädter Brückenturm © picture alliance / ZB / Sebastian Kahnert
18.12.2014
Moderne menschliche Leistungen wie der Lindberghflug und atavistische tribale Verhaltensweisen wie die stampfenden Tänze heidnischer Völker, nicht zuletzt Breitbandsound eines jungen Zeitgenossen - all das findet sich in diesem Musikprogramm mit Raritäten aus Prag.
Das Sinfonieorchester des Tschechischen Rundfunks spielt regelmäßig und gern Raritäten. Das Programm vom vergangenen zehnten November aus dem Smetana-Saal der Stadthalle ist ein gutes Beispiel dafür. Neben dem Orchester-Allegro "La Bagarre" (Der Streit) von Bohuslav Martinů, in dem dieser die wogenden enthusiasmierten Massen nachzeichnet (oder eher vorzeichnet), die den Flieger Charles Lindbergh in Paris begrüßen, ist die festliche Orgeltoccata von Samuel Barber ein Werk, das sich in seinem feierlichen Grundton perfekt eignet, eine neue Orgel (in diesem Fall 1960 in Philadelphia) einzuweihen.
Ondřej Brousek wiederum ist jung und prominent im heutigen Tschechien. Er dürfte zu den wenigen Komponisten gehören, die auch ihr Geld als Schauspieler verdienen, oder sollte man ihn eher als komponierenden Leinwandstar bezeichnen? Auf jeden Fall genießt er in der Tschechischen Republik einige Prominenz. Seine Heirat mit der Kollegin und Kosmonautentochter Anna Remková (ihr Vater war der erste Mitteleuropäer im Weltraum) erregte Aufsehen. Er schreibt Filmmusik und seit einiger Zeit auch Werke für den Konzertsaal. Seine erste Sinfonie ist voll und ganz der Welt der Tonspuren verhaftet und versucht hie und da originelle Lösungen für eine Musik zu finden, die ohne sichtbare Bilder auskommen muss und allein auf die Bilder im Kopf ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer angewiesen ist. Dass im Kopf des jungen Komponisten vor allem die Klänge großer Vorgänger wie etwa Schostakowitsch und der Wiener Klassiker zu Haus sind, mag ihm als Jugendsünde durchgehen.
Sergej Prokofjew hatte ebenfalls mit einem Vorbild zu ringen, als er sich daranmachte, die heidnisch wilde Vergangenheit des großen Russland zu vertonen. Seine Version von Strawinskys "Le Sacre du Printemps" ist die Skythische Suite von 1915. Ursprünglich wollte eben jener Ballettmeister Diaghilew, der auch schon Strawinsky beauftragt hatte, vom jungen Petersburger Prokofjew ein ebenfalls barbarisches Ballett. Doch am Ende wurde nichts daraus, und unter den Händen Prokofjews wurde aus "Ala und Loli" eine Konzert-Suite, die die tribalen Riten der Skythen zu neuem Leben erweckt und erahnen lässt, warum Prokofjew lange Zeit den Ruf hatte, ein "enfant terrible" zu sein.
Stadthalle Prag, Smetana-Saal
Aufzeichnung vom 10. November 2014
Bohuslav Martinů
"La Bagarre" Allegro für großes Orchester H. 155
Ondřej Brousek
Sinfonie Nr. 1
Samuel Barber
Toccata festiva für Orgel und Orchester op. 36
Sergej Prokofjew
Skytische Suite op. 20
Kateřina Chroboková, Orgel
Tschechisches Rundfunk-Sinfonieorchester
Leitung: Jean-Michaël Lavoie