"Sind das vielleicht nur Riesendatenberge?"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Heidrun Wimmersberg und Ernst Rommeney · 02.10.2010
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat das Ende der Debatte um Online-Untersuchungen gefordert. Die bestehenden Möglichkeiten seien bisher in keinem einzigen Fall angewandt worden, erklärte die FDP-Politikerin.
Deutschlandradio Kultur: Wie fühlen Sie sich im Herbst 2010 - politisch gesehen natürlich?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich fühle mich als Ministerin im Kabinett wohl, denn ich kann eine erste gute Bilanz vorlegen nach einem Jahr im Amt. Wir beraten in den Ausschüssen des Bundestages Gesetzesänderungen, die zum Ziel haben, wieder stärker auf die Grundrechte, auf die Bürgerrechte zu achten. Und von daher fühle ich mich wohl.

Deutschlandradio Kultur: Und in Ihrer Partei? Sie sind ja wieder mal gefragt.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In meiner Partei fühle ich mich als Landesvorsitzende in Bayern natürlich nicht nur wohl, sondern auch gefordert. Die Partei hat ein ganz großes Bedürfnis zu diskutieren, auch über Fragen, die jetzt nicht aktuell auf der Tagesordnung stehen, sondern mit Zielrichtung auf die nächsten Jahre. Wie soll sich eine FDP in einem sich verändernden Parteienfeld positionieren, also, will auch sehr grundsätzlich debattieren. Da bringe ich mich gern ein und bin froh, dass der bayerische Landesverband so gut dasteht.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn den Eindruck, dass die FDP jetzt dabei ist, sich neu zu "erfinden", sich neu zu positionieren? Weil Sie sagen, Sie gucken ja auf die Zukunft und müssen sehen, wo man seinen Platz in der Parteienlandschaft findet. Ihrer Partei geht’s ja zur Zeit nicht so besonders gut.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP insgesamt, denke ich, konsolidiert sich im Moment. Jetzt nach der Sommerpause da geht’s uns deutlich besser als vor der Sommerpause. Wir haben wieder die politische Auseinandersetzung, wie sie in einer lebendigen Demokratie ganz normal ist, nämlich Regierungsfraktionen gegen Opposition. Das muss auch sein, weil sich so auch die Bürgerinnen und Bürger ein Bild machen können. Und gleichzeitig arbeitet die FDP an einem Grundsatzprogramm für die nächsten Jahre, was entscheidend von unserem Generalsekretär als Initiative gestartet worden ist. Und ich glaube, das alles zusammen kann uns als FDP auch wieder stärker in die Offensive bringen, kann auch wieder mit dazu beitragen, dass wir mehr Zustimmung bekommen als das sich aus den Umfragen der letzten Wochen ergibt.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist doch schon ein seltsamer Wandel. Sie sind Wortführerin der Linksliberalen in Ihrer Partei. Das ist plakativ gesprochen. Und zu gleicher Zeit sind Sie auf einmal im Gespräch, auch einmal Übergangskandidatin für den Parteivorsitz zu sein. Das ist doch für Sie persönlich auch eine beachtliche Wende. Und zugleich fragt man sich: Stimmt das mit der Partei überein? Die Bürgerrechtspartei FDP ist doch in der Versenkung verschwunden gewesen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das wird immer gerne behauptet und uns ja auch immer gerne entgegengehalten. Die FDP hat lange vor der Bundestagswahl auf ihren Bundesparteitagen ein ganz klares bürgerrechtliches programmatisches Profil beschlossen - und zwar diese Fragen mit überwältigender Mehrheit. Jetzt wird’s auch in der Regierung sichtbar, weil Korrekturen - Berufsgeheimnisträgerschutz, Pressefreiheit, Sicherungsverwahrung, auch solchen sensiblen Themen mit neuer Ausrichtung nähern wir uns - von der FDP vorgenommen werden. Und dass ich als Präsidiumsmitglied auch in der Partei durchweg eher positiv gesehen werde, bestärkt mich darin, alles zu tun, im Team für ein gutes Profil der FDP beizutragen.

Deutschlandradio Kultur: Welche Rolle nehmen Sie denn innerhalb der FDP ein? Sind Sie jetzt eine Mahnerin? Lassen Sie auch die alten Werte der FDP wieder aufleben?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP hat nicht alte Werte in 'ne Schublade versenkt, sondern die FDP hat die Werte Freiheit und Verantwortung, Selbstbestimmung des Einzelnen, aber auch genauso natürlich das Gemeinwohl sehend, in ihrem Programm. Und das macht sich natürlich aufgrund der aktuellen Politik immer an Einzelthemen dann mal besonders deutlich. Ich sehe meine Aufgabe darin, als eine von fünf FDP-Ministern und eine von vielen gewählten Präsidiumsmitgliedern der Bundespartei, das Profil eben der Innen- und Rechtspolitik mit meinen Möglichkeiten zu schärfen, sichtbar zu machen, aber auch konsensorientiert zu Ergebnissen zu kommen. Eine Koalition lebt davon, dass man auch Ergebnisse vorlegen kann, Kompromisse schnürt. Und auch darin sehe ich meine Aufgabe.

Deutschlandradio Kultur: Sind wir denn, wir feiern ja morgen den 20. Jahrestag der deutschen Einheit, sind wir denn in dieser Zeit als Gesamtdeutschland einer Bürgergesellschaft, wie Sie sie uns eben vorgestellt haben, näher?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: 20 Jahre Bilanz ziehen ist in meinen Augen auch eine Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass wirklich sehr, sehr viel erreicht wurde. Ich war selbst Ministerin '92 und habe mich die ganzen ersten Vermögensgesetze, Rehabilitierungsgesetze im Strafrecht, im Verwaltungsrecht, also auch den Versuch, sich mit dem Unrecht in der damaligen DDR zu befassen und ein Stück zu versuchen, Anerkennung zu geben, befasst.

Wir haben teilweise 20 Mal diese Gesetze im Lauf der letzten 20 Jahre geändert. Wir haben also unheimlich auch gelernt. Das möchte ich damit einfach einmal zum Ausdruck bringen. Denn vieles war so nicht sichtbar. Ich glaube nach wie vor, dass es wegen der ganz unterschiedlichen Biographien, aber natürlich auch wegen der demographischen Entwicklung immer noch zum Teil auch unterschiedliche Empfindlichkeiten gibt.

Wir haben junge Menschen, die haben kaum in der früheren DDR gelebt und leben jetzt in Sachsen-Anhalt, woanders auch immer. Ich bin auch dagegen, von "neuen Bundesländern" zu sprechen. Die sind hier fester Bestandteil der Bundesrepublik. Die sind natürlich voll angekommen und es gibt natürlich auch alle die, die einfach immer noch einen Blick auch in ihre frühere Biographie, die man nicht auswischen kann, haben.

Und von daher, denke ich, haben wir viel erreicht. Aber es gibt sehr wohl auch noch sehr unterschiedliche Herangehensweisen an Themenfelder, auch an Bewertungen. Und das sieht man ja auch an Untersuchungen.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn persönlich auch was von Menschen aus Ostdeutschland oder einfach vom Osten an sich in den letzten 20 Jahren, die Sie als Politikerin diesen Einheitsprozess auch begleitet haben, gelernt?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, ich habe einiges gelernt. Ich habe ja in den ersten Jahren der deutschen Einheit, also in den ersten 90er-Jahren, sehr, sehr viele Gespräche in Magdeburg, in Prenzlau, in Dresden, Erfurt, wo auch immer geführt. Und ich habe gesehen, wie wichtig Frauen zum Beispiel Betreuungseinrichtungen sind, und zwar fest angeboten, planbar, sicher. Das hat mich sehr geprägt. Und ich denke, es ist gut und es ist immer noch ein Stück zu spät, dass das auch jetzt ganz anders ein gesamtdeutsches Thema ist mit einem Riesennachholbedarf nach wie vor, gerade was auch Ganztagsbetreuungseinrichtungen angeht, auch in den Bundesländern, die eher finanziell gut dastehen.

Ich hab auch gelernt, dass es manchmal ganz gut ist, nicht sofort alles überstürzt einführen zu wollen, sondern in der Justiz haben wir Rechtsanpassungsgesetze gehabt. Wir haben manche Dinge bestehen lassen und gesagt, wir brauchen erst mal eine Zeit der Entwicklung. Ich glaub, das war richtig. Das beruhte darauf, dass man auch zugehört hat. Und von daher hab ich da viel mitgenommen, auch alles, was mit Stasiaufarbeitung, mit den Beratungen zum Stasiunterlagengesetz, mit strafrechtlicher Rehabilitierung bis heute, 20 Jahre danach, zusammenhängt und wie da immer noch eine Befindlichkeit ist, die ich so ernst nehme, dass ich sage: Jawohl, wir müssen auch noch weiter an unseren Gesetzen arbeiten, sie auch 20 Jahre nach der Einheit noch ein Stück anpassen.

Deutschlandradio Kultur: 20 Jahre deutsche Einheit, es gibt auch anderes, nämlich 30 oder 35 Jahre lebt das Land mit Terrorismus, gleich welcher Art. Und die Rechtspolitik versuchte das zu gestalten. Warum ist der liberale Bürgersinn immer noch in Gefahr durch dieses Thema?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Gefahren für das Leben von Menschen, Unsicherheiten, Ängste, mögliche Bedrohungen sind immer Anlass für auch emotionalisierte Debatten: Wie wehrhaft ist unser Rechtsstaat, wie handlungsfähig? Und wie stark sind davon Rechte des einzelnen Bürgers berührt?

Da hat sich viel verändert, aber gerade durch auch Veränderung von Kommunikation, Digitalisierung von Kommunikation hat sich auch die Möglichkeit, Informationen zu bekommen – für den Staat, aber auch für große Wirtschaftseinheiten –, total verändert. Das ist ja eine Revolution. Und von daher haben wir heute das Thema natürlich genauso in diesem Spannungsfeld, teilweise mit etwas anderen Herausforderungen und Gestaltungen wie auch vor 20 oder 30 Jahren. Wir haben natürlich den RAF-Terrorismus gehabt. Da ist reagiert worden mit Gesetzen. Und wir haben jetzt immer noch natürlich die Unsicherheit, wie entwickelt sich auch die Bedrohungslage von außen. Der islamistische Fundamentalismus, Al Kaida sind ja da wirklich nicht nur Schlagworte, sondern sehr wohl auch Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Und von daher ist das immer wieder eine Debatte mit aktuellen Akzenten, aber im alten Spannungsfeld.

Deutschlandradio Kultur: Vielleicht ist es ein Unterschied, dass zum Beispiel die Antiterrorgesetze ja befristet worden sind, weil man aus der Erfahrung früherer Zeiten gedacht hat, wir gucken jetzt erst mal. Wir müssen uns aktuell schützen. Aber nach einem bestimmten Ablauf werden wir das auf den Prüfstand stellen.
Sie haben ja jetzt gesagt, dass man gucken muss, auch bei den Antiterrorgesetzen, was man – oder die laufen ja aus, wenn nichts anderes passiert – was man da vielleicht abspecken oder auch auslaufen lassen kann. Woran denken Sie da konkret?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es sind ja die Terrorismusgesetze, die als Reaktion auf den 11. September 2001 verabschiedet wurden. Und da sind Teile von befristet. Die sind schon mal verlängert worden. Das ist alles Gesetzgebung aus dem Jahre 2002/ 2005, also, auch gerade Gesetze von SPD und Grünen mit deutlicher Stärkung der Eingriffsbefugnisse eben grad auch von Verfassungsschutz, Nachrichtendienst und militärischer Abschirmdienst.

Da geht es jetzt wirklich darum, auch mal zu untersuchen: Wie weit haben denn Zugriffe auf Riesendatenbestände von Unternehmen, Luftgesellschaften, Reisebüros, gerade aber auch bei Geldinstituten etwas gebracht? Sind das vielleicht nur Riesendatenberge, wo man die Stecknadel so im Heuhaufen sucht und eigentlich der Output wirklich eher gering ist? – Denn das ist ja eine rechtstatsächliche Grundlage für dann auch eine rechtspolitische Bewertung. Und da gibt es eine Fülle von Einzelaspekten, auf Verkehrsdaten noch viel stärker zuzugreifen, auf Kontodaten in größerem Umfang, auf auch andere Buchungsstellen von Luftverkehrsgesellschaften usw. mehr. Hier geht es darum: Brauchen das auch grad die Sicherheitsbehörden?

Es ist ja damals auch immer die Kritik gewesen: Wie ist das noch mit einer Trennung zwischen Polizei und Sicherheitsbehörden, was ja ein wichtiger rechtspolitischer Grundsatz in der Bundesrepublik nach 1945 ist. Und wie ist das, wenn man das jetzt noch viel weiter verschärft? Denn es gibt ja auch so ne Überlegungen, diese Befugnisse weiter auszudehnen. Und von daher muss man da sehr genau hinsehen.

Wir stehen jetzt am Anfang dieses Evaluierungsprozesses. Und dass wir als Liberale da, die wir diese Gesetze, auch grade das zweite Paket, ja im Bundestag abgelehnt hatten, da auch mit einer sehr kritischen, distanzierten Grundeinstellung herangehen, das ist klar nachlesbar aus unseren Positionierungen in den letzten Jahren. Aber wir wollen auch eben wissen: Was hat was gebracht, was nicht?

Ich brauche doch keine neue Verwertungsbefugnisse für Erkenntnisse aus einer Onlinedurchsuchung, wenn ich überhaupt gar keine Onlinedurchsuchung habe.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist doch der springende Punkt. Die Arbeitsmarktreformen werden seit jeher wissenschaftlich begleitet. Die Rechtstatsachenforschung, von der Sie eben sprechen, ist doch eine trübe Geschichte. Sie argumentieren doch immer aus dem Nebel heraus.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist in den letzten Jahren eigentlich stärker schon in den Mittelpunkt gerückt. Denn es gibt jetzt ganz konkrete auch Vorschläge, wie man evaluieren kann. Es werden auch immer wieder mal wissenschaftliche Gutachten in Auftrag gegeben dazu. Und deshalb haben wir ja auch die Vorstellung, dass wir gerne eine eben in diesem Punkt auch vertieftere Evaluierung haben würden. Wir haben jetzt ja auch noch Zeit. Von daher wird das jetzt auch ein, denk ich, wichtiges Thema.

Deutschlandradio Kultur: Wird die mal im Gesetz stehen, dass es Pflicht wird?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es steht jetzt im Gesetz schon eine Evaluierungsformulierung. Auch darüber kann man streiten. Aber das hat sich schon, sag ich mal, etwas verbessert gegenüber früheren Zeiten. Da hatte man einfach eine Befristung. Und normalerweise war es ja doch so, egal welchen Bereich es betroffen hat, dann hat man kurz vor Ablauf der Frist gesagt, jetzt wird die halt wieder mal verlängert.

Deutschlandradio Kultur: Sie liegen ja öfter natürlich mit dem Bundesinnenministerium auch überkreuz. Was haben Sie denn eigentlich gehen die Ideen, jetzt auch die letzten, die jetzt vom Bundesinnenministerium von Herrn De Maiziere vorgebracht worden sind, wo es darum geht, die Sicherheitsgesetze zu verschärfen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Also, es ging ja um die Überlegungen im Innenministerium, die ich auch für normal halte, dass sie angestellt werden, zusätzlich zu dieser Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes ein weiteres Sicherheitspaket zu schnüren mit anderen Forderungen, die jetzt nichts mit der Evaluierung zu tun haben. Das sind auch Forderungen, die teilweise schon Gegenstand der Beratungen der letzten Legislaturperiode waren, als Herr Schäuble Innenminister gewesen ist. Und wir haben ja auch in den Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht: Mit uns gibt es kein neues drittes Paket. Es steht ja auch dazu kein Wort, dass wir etwas prüfen oder etwas in Angriff nehmen in der Koalitionsvereinbarung, die ja sonst nicht ganz arm an Prüfungsaufträgen ist, auch dem Bereich der Rechts- und Innenpolitik.
Und wir halten das eben für überhaupt nicht geboten. Da geht es um Vorschläge im Strafgesetzbuch, aber auch um die Quellen-TKÜ, also, Telefonüberwachungsmaßnahmen am Computer, die ja technisch ganz nah immer an der Onlinedurchsuchung ist. Und da sehen wir sowieso angesichts der Nichtanwendung der Onlinedurchsuchung wirklich jetzt auch keine Notwendigkeit, halten das auch nicht für geboten. Und ich denke, es ist normal, dass das in einer Koalition dann auch so gesagt wird.

Deshalb haben wir jetzt auch vereinbart, wir konzentrieren uns auf das, was jetzt auch hier vorliegt und was wir bis Januar 2012, dann laufen die Befristungen aus, in der Koalition erledigen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Warum ist die Rechtspolitik, die deutsche Rechtspolitik nicht in der Lage, mal den Ausnahmezustand zu beenden? Wozu brauchen Sie Begriffe wie "terroristische Vereinigung"? Warum reicht nicht auch "kriminelle Vereinigung"? Was unterscheidet die Mafia von Terrorgruppen zum Beispiel? Oder wozu "politische Straftaten", die im Grunde kriminell sind oder nicht?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Na, in dem Sinne, so haben wir ja auch nicht politische Straftaten. Wir haben ein paar Staatsschutzstraftatbestände, die aber eigentlich nicht die entscheidende Rolle spielen. Und sonst haben wir ja den Landfriedensbruchtatbestand, der in seiner Ausgestaltung vom Bundesverfassungsgericht jetzt noch mal als vertretbar angesehen wurde. Aber sonst haben wir in dem Sinne nicht politisches Strafrecht. Dass wir Gesetze haben, grade bezogen auch darauf, wie zum Beispiel organisiert Verstöße begangen werden, also, sich über unsere Regeln hinweggesetzt wird, liegt natürlich daran, dass wir immer auch wieder andere Formen von Zusammenschlüssen haben. Ich glaub, wir haben uns nie vorstellen können, dass es so Gruppen wie Al Kaida, nicht richtig fest hierarchisch organisiert, gibt, anders als die Mafia oder andere Formen solcher Zusammenschlüsse, sondern unabhängig voneinander agieren, aber leider mit hochgefährlichem Potenzial. Und dass auch darum sich der Gesetzgeber zu kümmern hat, das, denke ich, ist klar. Das liegt auf der Hand. Und von daher sind wir ja in dem Bereich finde ich, deutlich besser aufgestellt als vielleicht ein Blick in manch andere europäische Mitgliedsstaaten es zeigt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben schon das Stichwort geliefert. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also die Überwachung von Internet, Telefonaten, die wird ja auch an anderen Ländern diskutiert. In den USA ist derzeit ein Gesetz dazu in Vorbereitung. Heutzutage im globalen Zeitalter ist es ja so, dass ja auch länderübergreifend ermittelt wird. Und da gibt’s ja bestimmt auch mal ne Anfrage. Wie wird denn da Deutschland kooperieren zum Beispiel, wenn jetzt die USA fragt, können wir da und da dann halt die Telefone überwachen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Also, dass von außen die USA hier nicht im Land, in Deutschland, auf unserem Territorium Telefone überwachen können, das, glaube ich, ist klar. Es darf ja auch nicht die Polizei aus den Vereinigten Staaten von Amerika oder FBI hier in Deutschland agieren. Dass es auch Informationsaustausch auf der Ebene der Sicherheitsbehörden, also, Verfassungsschutzbehörden, Nachrichtendienste, gibt und dazu auch bei uns in Deutschland ja gesetzliche Grundlagen bestehen, ist ein Punkt, der stattfindet. Da geht’s eigentlich immer darum zu sehen, das darf auf keinen Fall zu sehr ausufern, was ist verwertbar, was nicht. Das sind immer ganz heikle Fragen und Situationen, die da stattfinden. Aber natürlich werden innerhalb auch der Europäischen Union ja überall diese Fragen debattiert.

Denn angesichts dieser Formen von Digitalisierung der Kommunikation geht ja alles viel schneller über Landesgrenzen hinweg. Alles, was national gemacht wird, hat ja nur eine begrenzte Wirkung. Wir sehen das bei dem spannenden Thema "Löschen von Inhalten im Internet", verbotswidrige Inhalte, Kinderpornographie, Rassismus. Das muss man natürlich über Grenzen hinweg auch versuchen, erfolgreich anzugehen. Und da ist national der Blick eigentlich schon fast zu klein. Und das führt uns natürlich immer wieder auch zu Debatten, dass andere Länder immer kein Problem mit manchen Befugnissen haben, wo wir hier – auch mit unserer Geschichte, aber auch wie wir es debattieren – uns ganz, ganz schwer tun.
Und so ist es ja auch mit der Vorratsdatenspeicherung. Da kann man manches Mal nicht verhindern, EU-weit. Manches kann man versuchen, minimalinvasiv umzusetzen, um eben auch hier unseren Grundrechtsschutz zu erhalten, sehr wohl aber auch die Dinge zu tun, von denen man meint, dass sie grundrechtsverträglich dann auch verantwortbar sind. – Und das hört nicht auf.

Deutschlandradio Kultur: Na, dann sagen Sie uns doch mal: Wenn denn auch das Internet ein Tummelplatz für Kriminelle ist, warum sollen die Polizei und die Geheimdienste nicht auch in der Internettelefonie unterwegs sein, nicht auch Onlinedurchsuchungen machen dürfen oder gar auf die Vorratsdaten zurückgreifen? Wo ist da für Sie die Grenze?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Also, ich denke, das sind sehr unterschiedliche natürlich Aspekte. Dass einmal, auch heute schon im geltenden Recht, es natürlich überhaupt kein Problem ist, Inhalte zu löschen. Das passiert im Wirtschaftsbereich mit großem Erfolg. Und das muss natürlich dann auch zum Beispiel bei Kinderpornographie mit einer ganz anderen Intensität betrieben werden. Von daher sage ich: Onlinedurchsuchung wird in Deutschland keinmal angewandt. Beenden wir die Debatte über die Notwendigkeit der Onlinedurchsuchung!
Und wenn wir sehen, wie wir die Digitalisierung in allen Bereichen haben, dann müssen wir auch sehen, wie die User damit umgehen, und zwar millionenfach. Und wollen wir denn dazu beitragen, dass es massivste Verunsicherungen gibt, und das ist ja die Debatte um die Sperreninfrastruktur, die wir als Liberale eher nachteilig und ablehnend sehen, weil damit natürlich auch mehr gemacht werden kann als sich vielleicht auf einen ganz kleinen Bereich zu beziehen. Weil, wenn man dort Erkenntnisse hat, warum soll das dann auch nicht in ganz anderer Form stattfinden? – Und dann ist man bei der Überwachung von eben Inhalten und schon ganz anders in einer Kontrolle. Und deshalb hat ja das Bundesverfassungsgericht sich bei diesen Entwicklungen auch eigentlich als Hüterin verstanden unserer Grundrechte. Das wird schwieriger bei dieser Digitalisierung. Aber von daher sagen wir: Wir wollen in dieser Form eine Quellen-TKÜ, die eben quasi so, wie sie auch geplant ist, mit einem Zugriff auf Inhalte des Computers verbunden ist, eben nicht.

Und wir sagen auch: Wir sind der Auffassung, dass ohne eine gesetzliche Änderung aber sie auch jetzt nicht mal so eben mit der Grundlage, die wir für Telefonabhörmaßnahmen in der Strafprozessordnung haben, mal auch eben eingesetzt werden kann. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es ja darum, einmal zu sehen, was bleibt von der EU-Richtlinie, die derzeit auch noch mal geprüft wird, am Ende übrig. Und wenn die Bundesregierung dann als Mitgliedstaat der Europäischen Union verpflichtet ist, verpflichtet bleibt, hier etwas umzusetzen, dann werden wir natürlich auch auf dem Level, wie das Bundesverfassungsgericht ihn in einigen Teilen beschreibt, aber auch in sehr engem Umfang, möglichst mit kaum anlassbezogener Speicherung, sondern mit anderen Möglichkeiten dann auch hier agieren. Jedenfalls ist das die Vorstellung des Justizministeriums.

Aber da gibt’s natürlich sehr wohl unterschiedliche Vorstellungen auch in der Koalition. Aber ich bin der Auffassung, der ursprüngliche Anlauf für eine Vorratsdatenspeicherung ist kläglich beim Verfassungsgericht gescheitert, und zwar weil 33.000 Bürgerinnen und Bürger geklagt haben. Ich war eine von denen mit vielen FDP-Abgeordneten zusammen. Und dann muss doch wohl klar sein, dass – wenn dann die Verpflichtung noch bleibt, einen Rest umzusetzen – dass das dann auch wirklich beschränkt wird.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt natürlich auch andere Institutionen, die viele Daten sammeln, wie zum Beispiel der Internetkonzern Google, mit Google Street View zum Beispiel. Und wenn man jetzt von der zivilrechtlichen Seite noch mal darauf schaut: Brauchen wir denn da eine Lex Google?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte nicht viel davon, Gesetze zu machen, die einen Konzern oder einige Geschäftsmodelle betreffen, die sich ja auch ständig weiterentwickeln. Aber Google Street View war nur der Anlass, jetzt doch mal etwas grundsätzlicher zu debattieren, und zwar in weiten Teilen unserer Gesellschaft, darüber, was für Daten fallen mit welchen Geschäftsmodellen von Anbietern an? Und da ist mit Sicherheit die Hauswand das Unproblematischste. Das ist ein Geodatum. Und das ist natürlich auch heute sehr wohl verwendbar und speicherbar. Es geht ja immer nur darum, was für personenbezogene Daten entstehen – auch vielleicht gar nicht für den einzelnen Benutzer sichtbar. Wie können sie verknüpft werden? Wie kann man Profile machen, Persönlichkeitsprofile? Damit müssen wir uns befassen, und zwar unabhängig von einem Unternehmen. Das machen wir jetzt. Da sind wir uns einig in der Koalition, dass wir parallel fahren wollen, einmal sehr wohl auch Selbstverpflichtungen der Unternehmen einfordern auf der einen Seite, und zwar von allen, nicht nur von einem, und auf der anderen Seite aber auch eine Gesetzgebung ins Auge zu nehmen, die sehr wohl einige Grundpositionen, dann auch Rechtestärkung des Nutzers festschreibt, aber auch sehr wohl darauf achtet, dass innovative Geschäftsmodelle nicht letztendlich unmöglich werden. Dann würden wir uns auch absolut isolieren. Und ich glaube nicht, dass wir als technikfreundliches Land das wollen.

Deutschlandradio Kultur: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich.