Sigrid Löffler über V.S. Naipaul

"Er hatte immer Angst davor, herabgewürdigt zu werden"

Der Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul
Der Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul © picture alliance / empics / Chris Ison
Moderation: Birgit Kolkmann · 12.08.2018
Er habe ihr die Augen geöffnet, sagt die Literaturkritikerin über den verstorbenen V.S. Naipaul: Ein meisterlicher Autor sensibler, vielschichtiger Porträts, der seine Furcht vor Ausgrenzung hinter Hochmut und Sarkasmus verbarg.
Der verstorbene Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul war für die Literaturkritikerin Sigrid Löffler ein "Impulsgeber, Augenöffner und Kronzeuge für eine neu entstehende globale Literatur". Er habe ihr in seinen Erzählungen, Romanen und Essays erstmals einen Eindruck von der Entwurzelung gegeben, mit der Migranten sich auseinanderzusetzen haben. Er selbst sei "ein Heimatloser" gewesen: Geboren in Trindidad/Tobago als Sohn indischer Zwangsarbeiter, sei er später nach England migriert und versuchte sich dort zu integrieren – immer auf der Suche nach Anerkennung.

Er versteckte sich hinter Hochmut und Sarkasmus

Sigrid Löffler sagt: "Das ist ihm in seinem literarischen Werk ganz wunderbar gelungen. Es ist eine sensationelle Erfolgsgeschichte – er wurde geadelt, Sir Vidiadhar Naipaul, er hat den Nobelpreis bekommen und zahllose andere Preise. Aber irgendwo war er dann doch nicht wirklich integriert oder hat sich so gefühlt. Er hatte immer die Angst davor, herabgewürdigt zu werden aufgrund seiner Hautfarbe. Das hat ihn verunsichert. Gegen diese Verunsicherung hat er sich abgeschottet durch Hochmut, durch Sarkasmus und Ironie."
Literaturkritikerin Sigrid Löffler zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Literaturkritikerin Sigrid Löffler traf Naipaul Anfang der 90er-Jahre.© Deutschlandradio / Cornelia Sachse

Nach außen schroff, in seinen Werken feinfühlig

Für Letzteres war Naipaul berüchtigt, auch für seinen nicht immer feinen Umgang mit den Frauen in seinem Leben. Und dennoch passt es für Löffler zusammen: Sein Verhalten nach außen einerseits und seine feinfühlige Beschreibung von Figuren in einem vielschichtigen und differenzierten Werk andererseits.
"Ich denke, dass er in seinem Schreiben seine ganze Sensibilität hat ausleben können, die er sich in seinem persönlichen Leben versagt hat", fasst die Literaturkritikerin ihre Eindrücke von Naipaul zusammen, den sie Anfang der 90er-Jahre für ein Interview traf.
Wie hat sie sich im Gespräch gegen diesen nicht einfachen Gesprächspartner, der in dem Ruf stand, Journalisten auch gerne mal rauszuschmeißen, behaupten können? "Ich habe mich einfach gut vorbereitet – wir sind uns von gleich zu gleich begegnet", sagt Löffler.

Dokumente existenzieller Krisen

Es sind vor allem zwei Bücher Naipauls, die es ihr besonders angetan haben: In "Ein Haus für Mr. Biswas" habe Naipaul die Geschichte seines eigenen, vergeblich um Integration und Anerkennung ringenden Vaters verarbeitet – als liebevolles Porträt, voll Empathie. Als Meisterwerk bezeichnet Löffler "Das Rätsel der Ankunft": Das Buch sei ein Dokument von Naipauls eigener existenzieller Krise, in welchem er sein eigenes ambivalentes Verhältnis zu England geklärt habe – "in einer wunderbaren melancholischen Weise – ein Abgesang auf das ländliche England, auf die verblichene Glorie des britischen Empire".

Von Literaturkritikerin Sigrid Löffler empfohlen:

V.S. Naipaul, "Ein Haus für Mr. Biswas" (1961), aus dem Englischen von Sabine Roth, Fischer Taschenbuch, 2012, 736 Seiten.

V.S. Naipaul, "Das Rätsel der Ankunft" (1987), dtv, 1996, 446 Seiten.

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