Siegtrud sucht ihre Geschichte
Dies ist die Geschichte einer Befreiung. Eine Frau, nicht mehr jung, kommt aus dem Nichts und sucht ihre Herkunft. Es ist kein Ausbruch, keine Revolution. Sondern mähliche Veränderung durch sanften Starrsinn und ein liebenswertes, aber unermüdliches Durchsetzungsvermögen.
Kristin Steinsdottir ist in Island als Jugendbuchautorin bekannt geworden. Das schlägt sich in ihrem Roman nieder: Die Hälfte des Buches ist aus kindlicher Perspektive geschrieben, es gibt bis auf eine Ausnahme keine bösen Figuren, und wenn das Großvaterporträt an der Wand zu sprechen anfängt, erinnern sich alle Andersen-Freunde an dessen Geschichte "Ole Luköie". Und die Heldin Siegtrud selbst hat sich auch als Erwachsene eine gewisse kindliche Naivität bewahrt, die sich als Stärke entpuppt. Zunächst ist sie die nette Nassauerin, die Beerdigungen und Vernissagen besucht, weil es dann Schnittchen und Getränke gibt. Aber bald merkt man, dass Siegtrud dies auch aus staunender Neugier tut, es ist ein Teil ihrer eigenen Befreiung.
Sie ist elternlos und fern von allem aufgewachsen. Ihre Mutter Petrina, Magd auf einem Hof im Norden Islands, starb bei der Geburt, der Vater ist verschollen. Glücklicherweise ist die Hofherrin Hallfridur eine hilfsbereite Frau, keine böse Stiefmutter. Geerbt hat Siegtrud von Petrina nur deren Koffer, darin das Bild des Großvaters, ein französischer Seidenschal und ein Fotoalbum, darauf groß LA FRANCE. Großvater Magnus soll Franzose gewesen sein.
Siegtrud fängt an zu forschen, und en passant lernt man ihr Leben kennen, das Niederschläge und traurige Ereignisse kannte, es war ein demütiges Leben. Sie hatte eine kurze Leidenschaft mit einem zärtlichen Gymnasiasten, aber das Kind, das daraus entstand, wurde tot geboren. Und sie hatte eine lange Ehe mit dem kräftigen, raueren Tomas, aber der konnte keine Kinder zeugen.
Aber die Heldin, in der Schule wegen einer missgebildeten Flossenhand gehänselt, hat früh gelernt, sich zu behaupten. Verbittert ist sie nicht – weil sie bewusst trauert und tatkräftig handelt. Siegtrud wirft die Möbel der Schwiegermutter aus der Wohnung, um leichter atmen zu können, und in allerlei Archiven betreibt sie Ahnen- und Familienforschung.
Das unterscheidet das Buch auch von Brechts bekannter Erzählung "Die unwürdige Greisin". Die beiden Frauen sind ferne Schwestern, aber Brechts Greisin, fünf Kinder, hat das lange aufgestaute Bedürfnis, sich von ihrer Familie zu lösen, um endlich zu ihrer Identität zu finden. Bei Siegtrud, der Kinderlosen, ist der Fall umgekehrt: Um sich zu retten und eine Identität zu finden, muss sie sich gerade auf die Suche nach ihrer Familie machen.
Ein ruhiges, tröstliches Buch, das vor allem keine pseudophilosophischen Phrasen braucht, um von literarischem Wert zu sein.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Kristin Steinsdottir: Eigene Wege
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
Verlag C.H. Beck, München 2009
127 Seiten, 14,90 Euro
Sie ist elternlos und fern von allem aufgewachsen. Ihre Mutter Petrina, Magd auf einem Hof im Norden Islands, starb bei der Geburt, der Vater ist verschollen. Glücklicherweise ist die Hofherrin Hallfridur eine hilfsbereite Frau, keine böse Stiefmutter. Geerbt hat Siegtrud von Petrina nur deren Koffer, darin das Bild des Großvaters, ein französischer Seidenschal und ein Fotoalbum, darauf groß LA FRANCE. Großvater Magnus soll Franzose gewesen sein.
Siegtrud fängt an zu forschen, und en passant lernt man ihr Leben kennen, das Niederschläge und traurige Ereignisse kannte, es war ein demütiges Leben. Sie hatte eine kurze Leidenschaft mit einem zärtlichen Gymnasiasten, aber das Kind, das daraus entstand, wurde tot geboren. Und sie hatte eine lange Ehe mit dem kräftigen, raueren Tomas, aber der konnte keine Kinder zeugen.
Aber die Heldin, in der Schule wegen einer missgebildeten Flossenhand gehänselt, hat früh gelernt, sich zu behaupten. Verbittert ist sie nicht – weil sie bewusst trauert und tatkräftig handelt. Siegtrud wirft die Möbel der Schwiegermutter aus der Wohnung, um leichter atmen zu können, und in allerlei Archiven betreibt sie Ahnen- und Familienforschung.
Das unterscheidet das Buch auch von Brechts bekannter Erzählung "Die unwürdige Greisin". Die beiden Frauen sind ferne Schwestern, aber Brechts Greisin, fünf Kinder, hat das lange aufgestaute Bedürfnis, sich von ihrer Familie zu lösen, um endlich zu ihrer Identität zu finden. Bei Siegtrud, der Kinderlosen, ist der Fall umgekehrt: Um sich zu retten und eine Identität zu finden, muss sie sich gerade auf die Suche nach ihrer Familie machen.
Ein ruhiges, tröstliches Buch, das vor allem keine pseudophilosophischen Phrasen braucht, um von literarischem Wert zu sein.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Kristin Steinsdottir: Eigene Wege
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
Verlag C.H. Beck, München 2009
127 Seiten, 14,90 Euro