Siegfried Lenz

Hamburg nimmt Abschied von seinem Ehrenbürger

Nach der Trauerfeier für den verstorbenen Schriftsteller Siegfried Lenz in der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg wird am 28.10.2014 der mit weißen Blumen geschmückte Sarg aus der Kirche getragen
Bewegende Trauerfeier für den verstorbenen Schriftsteller Siegfried Lenz © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Axel Schröder · 28.10.2014
Die Stadt Hamburg hat eine Trauerfeier für ihren Ehrenbürger Siegfried Lenz ausgerichtet: In der Hauptkirche St. Michaelis hatten sich rund 2.000 Menschen versammelt, darunter Günter Grass, Wolf Biermann und Helmut Schmidt.
Die Hamburger Michaelis-Kirche, der Michel, war heute bis auf den letzten Platz besetzt. Unter den Gästen Günter Grass, Wolf Biermann, Klaus Staeck und Friede Springer. Thomas Ganske von Lenz Verlag Hoffmann und Campe und der Theatermacher Jürgen Flimm. Hauptpastor Alexander Röder hielt die Predigt.
Alexander Röder: "Als wir, liebe Frau Lenz, über einen passenden Psalm für diese Trauerfeier sprachen, zögerten sie, als ich jenen vorschlug, in dem der Beter zu Gott sagt: 'Ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.' – So hätte er nicht von sich gesprochen. Siegfried Lenz war bescheiden. Bescheiden, wenn es um seine Person ging. Und darin wohl liegt der Ursprung seiner Größe als Mensch und als Schriftsteller: dass er alles, was ihm an Talenten gegeben war, nutzte und pflegte, um es mit anderen zu teilen."
Sein Leben lang, so der Pastor, hätte sich Lenz diese Bescheidenheit, das eigene Zurücktreten und die Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen bewahrt. Geehrt wurde der am 7. Oktober im Alter von 88 Jahren verstorbene Schriftsteller auch von Tomasz Andrukiewicz, dem Stadtpräsidenten von Lenz Geburtsstadt, die ihm vor drei Jahren die Ehrenbürgerschaft verliehen hatte. Ehrenbürger war Lenz auch von Schleswig-Holstein und Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz erinnerte in seiner Rede an die Kraft, die Siegfried Lenz Gedanken nicht trotz, sondern wegen seiner ruhigen, bedachten Art entfalten konnte:
Olaf Scholz: "Seine Erzählungen haben die Kraft, uns vor allzu einfachen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu schützen. Sie zwingen uns zum genauen Blick und mahnen uns, einander zu zu hören. Denn die Wahrheit kommt nicht dröhnend daher, sondern meistens leise. Das wird uns bewusst, wenn wir wieder einmal eine ihrer großen Stimmen verstummen sehen. Aber der Nachhall gerade der leisen Wahrheit ist oftmals groß und bisweilen gar anschwellend. Der Autor dieser leisen Wahrheiten wird uns fehlen! Seine Worte und seine Werke werden bleiben."
Der Schriftsteller Siegfried Lenz raucht am 08.02.2011 während eines Interviews in Hamburg seine Pfeife.
Der Schriftsteller Siegfried Lenz zählte zu den bedeutendsten Autoren der Nachkriegsliteratur.© pa/dpa/Bimmer
"Siggi war ein Mann mit einem großem Einfühlungsvermögen"
Nach Olaf Scholz und Torsten Albig hielt noch ein dritter Sozialdemokrat eine sehr persönliche Trauerrede. Helmut Schmidt und Siegfried Lenz bereisten schon Mitte der Siebzigerjahre Lenz alte Heimat in Polen. Die beiden wurden Freunde, debattierten über Philosophie, Religion, natürlich auch über Politik, so Helmut Schmidt. Auch ihn beeindruckte die Integrität des Schriftstellers, seine Geradlinigkeit:
Helmut Schmidt: "Siggi war ein Mann mit einem großem Einfühlungsvermögen. Er war ein Mensch von großer Freundlichkeit. Und von großer Bescheidenheit. Für mich blieb er ein Mann ohne erkennbare Schwächen. Ich werde ihn sehr vermissen!"
Heimat - wo man nie gewesen ist
Auf Wunsch von Lenz Frau Ulla hielt Karl-Heinz Ott die letzte Trauerrede. Die beiden Schriftsteller waren seit zehn Jahren eng befreundet. Und schon vor Jahrzehnten war es Siegfried Lenz, der dem jungen Süddeutschen Karl-Heinz Ott den Norden, seine Landschaften und Charaktere nahebrachte:
Karl-Heinz Ott: "Man liebt sofort, was dort beschrieben wird. Die Landschaften, die Leute, die Stimmungen. 'Heimat', heißt es bei Lenz einmal, 'könne auch dort sein, wo man nie gewesen ist!' Als ich mit dreizehn die 'Deutschstunde' las – es war mein allererster Roman überhaupt – hatte ich noch nie mit eigenen Augen das Meer gesehen. Und ich wusste natürlich auch nicht, wie ein gefrorenes Haff oder ein von Prilen durchschnittenenes Watt aussieht. Doch ich war sofort daheim, vom ersten Satz an. Ich sah diese Welt nicht nur vor mir, sondern war mitten in ihr drin und radelte mit dem Polizisten Richtung Husumer Chaussee und schaute vom Zellenfenster seines Sohnes auf die Elbe und die vorbeiziehenden Schiffe. Ich mochte sie auch alle, diese Figuren. Selbst jene, die man nicht nur mögen konnte.
Karl-Heinz Ott erinnerte heute auch an den politischen Siegfried Lenz. Den, der sich für die Aussöhnung mit den Polen einsetzte. Den, der den israelischen Schriftsteller Amos Oz davon überzeugte, seine Weigerung, jemals Deutschland zu besuchen, aufzugeben.
Karl-Heinz Ott: "Du warst einer der liebenswürdigsten Menschen, die mir je begegnet sind. Man fühlte sich nicht an einem Tisch mit Dir aufgehoben, an dem man saß, sondern auch im Leben überhaupt. Zumindest solange wie Du in der Nähe warst. Ich hatte sogar das Gefühl, man könnte, würde man nur oft genug mit Dir zusammen sitzen, selbst ein wenig großzügiger werden. Ich danke Dir!"
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