Siedler dokumentiert sich selbst
Wolf Jobst Siedler hat "Wider den Strich gedacht". Das Buch versammelt die wichtigsten Essays anlässlich des 80. Geburtstages des Verlegers, der die Bücher oftmals mehr liebte als ihre Autoren. Siedler vermeidet es, sich selbst zum Denkmal zu machen. Er bleibt er selbst.
Er ist schon fast wie eine Figur aus einer anderen Zeit, ein Herr und ein Bürger, ein Essayist und ein Verleger, der die Bücher oftmals mehr liebte und liebt als ihre Autoren. Der mit Schadow und Fontane lebt, Ernst Jünger und Golo Mann, als hätten sie gerade erst das Zimmer verlassen, wo man zuvor angeregt plauderte über Preußen, Deutschland und Europa, Ost und West, über die heruntergekommene Stadt Berlin, die gemordete Stadt und die Geburt der Hässlichkeit, über Gott und die Welt.
Wolf Jobst Siedler, Essayist und Verleger, wird dieser Tage 80 Jahre alt. Er ist selbst schon fast in die Geschichte entrückt, in die des deutschen Bürgertums, des weiland Dritten Reiches, wo er zum Tode verurteilt wurde und zur Strafkompanie kommandiert wurde, in die Geschichte des zertrümmerten Berlin, des Bundes für Geistesfreiheit, des Propyläen Verlags im Hause Springer, und dann sein eigener Verlag, angelehnt an das Haus Bertelsmann, das sich wohl ein Jahrzehnt lang wunderte, wie zu einer großen Bücherfabrik ein elitärer Verlag passen wollte.
Siedler erinnert sich. Nicht nur vor Jahren schon in zwei viel gelesenen und mit recht gerühmten Bänden von Gedanken und Erinnerungen, sondern nun auch mit einem Band von Essays, Betrachtungen zu Architektur und Geschichte, Briefen und Gegenbriefen. Er dokumentiert sich gewissermaßen selbst:
"Wie hat man auf die Sensationen und Revolutionen der Zeit reagiert, was hat einen zum Nachdenken gebracht, ist man von den vorübergehenden Aufgeregtheiten abhängig gewesen, oder ist es gelungen, einen Standort außerhalb der Debatte einzunehmen?"
Siedler verrät, wie jeder Autor, damit etwas über sich selbst, den unerfüllbaren Wunsch nämlich, beides zugleich zu sein, aufgeklärter Akteur und distanzierter Beobachter. In seinem Reihenhaus in Berlin-Dahlem hat er das immer wieder versucht, nicht nur als Großverleger im Hause Springer, sondern auch später, als man sich getrennt hatte und es im eigenen Verlag mehr um Klasse als um Masse ging und gehen musste. Immer suchte er einen Standpunkt aristokratischer Intellektualität. Siedler spricht, als sei es selbstverständlich, im Vorwort von sich, dem Schreiber, in der dritten Person Singular:
"Wenn er selber schrieb, ging der Autor über das meiste hinweg, was gerade literarisch Furore machte."
Und er bekennt auch offen, dass ihm Autoren wie Böll und Grass fern blieben, auch wenn er sie verlegte, ja sie blieben ihm verschlossen. Sie interessierten ihn letztlich nicht besonders:
"Ganz anderen Vorgängen als dem Kommen und Gehen von Büchern galt seine Aufmerksamkeit. Die untergegangenen Provinzen im Osten, das Leiden auf den endlosen Trecks, wo mehr als eine Million Flüchtlinge ihr Ziel nicht erreichten, und in gleicher Intensität die Untaten der Gewaltherrschaft."
Es sind die Untergänge, die Siedler faszinieren. So geht es immer wieder um das die preußische und deutsche Geschichte durchziehende Grundgefühl von Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. Er ist ein elegischer Konservativer und kann sich, nach der Jugendzeit in den Kellern der Gestapo, seinen Konservatismus leisten. Zugleich aber ist er ein Realist, der weiß, dass das Vergangene vergangen ist. Unwiederbringlichkeit, wie bei dem von ihm geschätzten Gottfried Benn. So schrieb er in einem Essay im Epochenumbruch des Jahres 1989:
"Der Osten wird der Westen sein, oder er wird gar nicht sein. Das ist die tiefere Bedeutung der Ereignisse, die Europa und mit ihm Deutschland im Jubiläumsjahr der Französischen Revolution noch einmal umstürzten."
Es ist dieser unverkennbare "Siedlersound", der diesem Buch seinen Reiz, seine Anziehungskraft und wahrscheinlich auch seine Leser gibt. Da schreibt Siedler über die Kriegskonferenzen von Jalta und Potsdam und darüber, wie wenig die Sieger begriffen, was sie da gerade anrichteten.
Siedlers große Themen – wie Leitmotive ziehen sie sich durch sein Denken und finden sich selbstverständlich auch in dieser Auswahl: der 20. Juli 1944 – was ist davon geblieben? Ja, in der Tat, was blieb von alle dem? Jährliche würdige Feiern von Politikern, die zum Pflichttermin eilen.
Keiner hat so wie Wolf Jobst Siedler seit den 50er Jahren den Blick noch einmal auf die zerstörten deutschen Städte gelenkt – zwei Mal zerstörten Städte: das erste Mal durch die Bomben der Kriegszeit, das zweite Mal durch den Abriss der Nachkriegszeit und nirgendwo deutlicher und gehirnloser als in Berlin.
Dies ist ein Buch für Siedler-Verfallene. Sie erkennen wieder den melancholischen Grundton, die konservative Gelassenheit, den Sound des Bildungsbürgers, der beim Leser stilles Einverständnis voraussetzt, dass die Geschichte wichtig ist, die Lebenszeit gemessen, und die Zukunft wenngleich nicht vielversprechend, wenigstens offen. Siedler vermeidet es, sich selbst zum Denkmal zu machen, obwohl die Versuchung groß ist. Er bleibt stattdessen er selbst: Widersprüchlich, eigenwillig, elegant und selbst im vorgerückten Alter ein Beispiel, wie der Geist sich über die Materie erhebt.
Wolf Jobst Siedler: Wider den Strich gedacht
Siedler Verlag, München, 2006
Wolf Jobst Siedler, Essayist und Verleger, wird dieser Tage 80 Jahre alt. Er ist selbst schon fast in die Geschichte entrückt, in die des deutschen Bürgertums, des weiland Dritten Reiches, wo er zum Tode verurteilt wurde und zur Strafkompanie kommandiert wurde, in die Geschichte des zertrümmerten Berlin, des Bundes für Geistesfreiheit, des Propyläen Verlags im Hause Springer, und dann sein eigener Verlag, angelehnt an das Haus Bertelsmann, das sich wohl ein Jahrzehnt lang wunderte, wie zu einer großen Bücherfabrik ein elitärer Verlag passen wollte.
Siedler erinnert sich. Nicht nur vor Jahren schon in zwei viel gelesenen und mit recht gerühmten Bänden von Gedanken und Erinnerungen, sondern nun auch mit einem Band von Essays, Betrachtungen zu Architektur und Geschichte, Briefen und Gegenbriefen. Er dokumentiert sich gewissermaßen selbst:
"Wie hat man auf die Sensationen und Revolutionen der Zeit reagiert, was hat einen zum Nachdenken gebracht, ist man von den vorübergehenden Aufgeregtheiten abhängig gewesen, oder ist es gelungen, einen Standort außerhalb der Debatte einzunehmen?"
Siedler verrät, wie jeder Autor, damit etwas über sich selbst, den unerfüllbaren Wunsch nämlich, beides zugleich zu sein, aufgeklärter Akteur und distanzierter Beobachter. In seinem Reihenhaus in Berlin-Dahlem hat er das immer wieder versucht, nicht nur als Großverleger im Hause Springer, sondern auch später, als man sich getrennt hatte und es im eigenen Verlag mehr um Klasse als um Masse ging und gehen musste. Immer suchte er einen Standpunkt aristokratischer Intellektualität. Siedler spricht, als sei es selbstverständlich, im Vorwort von sich, dem Schreiber, in der dritten Person Singular:
"Wenn er selber schrieb, ging der Autor über das meiste hinweg, was gerade literarisch Furore machte."
Und er bekennt auch offen, dass ihm Autoren wie Böll und Grass fern blieben, auch wenn er sie verlegte, ja sie blieben ihm verschlossen. Sie interessierten ihn letztlich nicht besonders:
"Ganz anderen Vorgängen als dem Kommen und Gehen von Büchern galt seine Aufmerksamkeit. Die untergegangenen Provinzen im Osten, das Leiden auf den endlosen Trecks, wo mehr als eine Million Flüchtlinge ihr Ziel nicht erreichten, und in gleicher Intensität die Untaten der Gewaltherrschaft."
Es sind die Untergänge, die Siedler faszinieren. So geht es immer wieder um das die preußische und deutsche Geschichte durchziehende Grundgefühl von Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. Er ist ein elegischer Konservativer und kann sich, nach der Jugendzeit in den Kellern der Gestapo, seinen Konservatismus leisten. Zugleich aber ist er ein Realist, der weiß, dass das Vergangene vergangen ist. Unwiederbringlichkeit, wie bei dem von ihm geschätzten Gottfried Benn. So schrieb er in einem Essay im Epochenumbruch des Jahres 1989:
"Der Osten wird der Westen sein, oder er wird gar nicht sein. Das ist die tiefere Bedeutung der Ereignisse, die Europa und mit ihm Deutschland im Jubiläumsjahr der Französischen Revolution noch einmal umstürzten."
Es ist dieser unverkennbare "Siedlersound", der diesem Buch seinen Reiz, seine Anziehungskraft und wahrscheinlich auch seine Leser gibt. Da schreibt Siedler über die Kriegskonferenzen von Jalta und Potsdam und darüber, wie wenig die Sieger begriffen, was sie da gerade anrichteten.
Siedlers große Themen – wie Leitmotive ziehen sie sich durch sein Denken und finden sich selbstverständlich auch in dieser Auswahl: der 20. Juli 1944 – was ist davon geblieben? Ja, in der Tat, was blieb von alle dem? Jährliche würdige Feiern von Politikern, die zum Pflichttermin eilen.
Keiner hat so wie Wolf Jobst Siedler seit den 50er Jahren den Blick noch einmal auf die zerstörten deutschen Städte gelenkt – zwei Mal zerstörten Städte: das erste Mal durch die Bomben der Kriegszeit, das zweite Mal durch den Abriss der Nachkriegszeit und nirgendwo deutlicher und gehirnloser als in Berlin.
Dies ist ein Buch für Siedler-Verfallene. Sie erkennen wieder den melancholischen Grundton, die konservative Gelassenheit, den Sound des Bildungsbürgers, der beim Leser stilles Einverständnis voraussetzt, dass die Geschichte wichtig ist, die Lebenszeit gemessen, und die Zukunft wenngleich nicht vielversprechend, wenigstens offen. Siedler vermeidet es, sich selbst zum Denkmal zu machen, obwohl die Versuchung groß ist. Er bleibt stattdessen er selbst: Widersprüchlich, eigenwillig, elegant und selbst im vorgerückten Alter ein Beispiel, wie der Geist sich über die Materie erhebt.
Wolf Jobst Siedler: Wider den Strich gedacht
Siedler Verlag, München, 2006