"Sie müssen kämpfen"
"Luxuriös, unmäßig und raffiniert" sollten Katharina und Eva Wagner sein, rät Hans Neuenfels dem neuen Führungsduo auf dem Grünen Hügel. Bei den Bayreuther Festspielen inszeniert der Opernregisseur den "Lohengrin".
Katrin Heise: Jürgen Liebing stellte uns den Opernregisseur Hans Neuenfels ein bisschen genauer vor, und er hatte auch die Gelegenheit, mit Neuenfels vor dessen Premiere am kommenden Sonntag zu sprechen. Er erinnerte Neuenfels an dessen Essayband "Wie viel Musik braucht der Mensch?" und wollte genau diese Frage auch beantwortet haben: Wie viel Musik braucht der Mensch, wenn das in weniger als 250 Seiten möglich ist.
Hans Neuenfels: Natürlich, wenn man die unmittelbare Bedürfnishaftigkeit des Menschen zur Musik betrachtet, dann singt er einfach, manchmal flötet er, wenn er verliebt ist, manchmal singt er in der Badewanne, manchmal, ja, hört er Musik und setzt sich abends mit einem Glas Cognac hin und raucht eine Zigarette oder nicht.
Jürgen Liebing: Nun sind wir hier in Bayreuth, die Frage etwas anders gestellt: Wie viel Wagner braucht der Mensch?
Neuenfels: Na ja, Wagner ist eben ein großer, wichtiger, zu entdeckender Komponist, und vor allen Dingen, ich glaube, das Wichtige an Wagner ist, dass er zu entdecken ist. Also ich glaube, dass Wagner einer der wenigen Komponisten ist, von denen allgemein behauptet wird, er sei bekannt. Ich denke, er ist es nicht. Also ich glaube, die Verdis, die Mozarts, die Richard Straussens und wie sie heißen sind bekannter als die Wagner. Bei Wagner hat man ein bestimmtes umrissenes Verhältnis, und dieses Verhältnis, denke ich, ist falsch, bezüglich festgelegt. Und damit haben wir jetzt zurzeit zu tun.
Liebing: Nun waren Ihre Hausgötter, Ihre musikalischen, waren Verdi und Mozart. Was unterscheidet Wagner, den Sie ja für sich relativ spät entdeckt haben, von diesen beiden?
Neuenfels: Also erstens Mal ist Wagner ein Deutscher, und ich will damit sagen, er ist einer der empfindlichsten, gründlichsten, genauesten, kritischsten Deutschen. Und er hat etwas gemacht, was ich sensationell finde: Indem er nämlich nach der Antike gewissermaßen, also nach den Griechen, die Begriffe des Deutschen gesammelt hat, also die abendländischen Begriffe des Denkens hat er instrumentalisiert und definiert, und zwar musikalisch. Also er hat wie Goethe, wie Schiller – um bei den großen Klassikern zu bleiben – hat er musikalisch bearbeitet, er hat die (…) der Welt im Sinn, und weitergehend bis Kant, bis zu den großen deutschen Philosophen hat er in die Musik gebracht, was noch nie jemand gemacht hat. Und er hat sie auch beantwortet.
Liebing: Die Frage nach dem Sinn, wenn man jetzt Ihren Lohengrin nimmt, mit dem Sie hier auf dem Hügel debütieren im Alter von 69 Jahren, den haben Sie als eine Art Laborsituation dargestellt, und man fragt sich: Gibt es für Sie noch einen Sinn?
Neuenfels: Natürlich. Es gibt den Sinn des Lebens zu versuchen, trotz aller Unmöglichkeit, wie das auch Wagner meint, und gerade indem wir die Ränder berühren, indem wir die Unmöglichkeit herausfordern und die Träume absolut behaupten, kommen wir zu Ergebnissen von erstaunlicher Art.
Liebing: Die zentrale Frage im Lohengrin ist ja die, die eben nicht gestellt werden darf. Ist es eigentlich eine Zumutung, Menschen in eine solche Situation zu bringen, dass er den Menschen, den er liebt, nicht fragen darf, wer er ist?
Neuenfels: Es ist eine Zumutung, es ist eine Unmöglichkeit, und es ist ein Wagnis, so, wenn man sagt, nie sollst du mich befragen, frage ich natürlich sofort, aber ich muss dich fragen. Das Verbot der Frage erzwingt gleichzeitig eine Antwort. Also die Antwort ist im Verbot der Frage impliziert. Und indem ich sie stelle, gibt es mehrere Möglichkeiten, aber es geht immer um die Frage der Identität. Aber indem diese radikale Frage auftaucht, frage ich die Welt. Und das ist das, was Wagner will.
Liebing: Dies ist einerseits eine Liebesgeschichte, andererseits ist es auch ein Historiendrama, denn Heinrich ruft die Leute zusammen, auf dass das Reich wieder stark werde, und so kann man diese Geschichte ja auch sehen und auch inszenieren. Hat Sie dieser Aspekt eigentlich interessiert?
Neuenfels: Nein, überhaupt nicht, sondern die Gesellschaft hat uns interessiert. Das, was um diese private Frage passiert, und das ist die Situation, dass die ganze Gesellschaft nur eins will: Wie will ich mich verankern in dieser Welt der Unsicherheit, der Fragwürdigkeit und so weiter, durch Besitz, indem ich (…) kämpfe, siege, andere besiege, unterdrücke und herrsche?
Liebing: Sie haben den Chor angesprochen und haben die Prinzipien beschrieben, nach denen diese Menschen leben, und Sie haben diesen Chor zu Ratten gemacht. Stehen die für genau dieses, fürs Kämpfen, fürs Überleben, für Gier und Habsucht?
Neuenfels: Absolut. Und für die Flüchtigkeit in der vorgegebenen Existenz, indem sie nichts anderes machen, als dass sie das Leben so nehmen, wie es ist.
Liebing: Nun ist auch im Graben, in diesem unsichtbaren, ein Debütant, ein sehr junger, Andris Nelsons, 31 Jahre alt, er könnte Ihr Enkel sein, und er hat eine ganz andere Geschichte mit Wagner – er kommt aus Riga –, als wir sie haben. Wie kommen Sie mit ihm und seiner Sicht aus?
Neuenfels: Blendend, weil er zwar eine unglaubliche Vorsicht hat mit Tradition, aber gleichzeitig eine sagen wir mal auf sich besinnende Skepsis. Das heißt, er misstraut den Traditionen, aber nicht, indem er sie wegwirft, sondern indem er sie überprüft.
Liebing: Nun sind Sie noch engagiert worden von Wolfgang Wagner und Gudrun, seiner Frau. Wolfgang hat wirklich geherrscht auf dem grünen Hügel, er war immer bei allen Proben dabei, er war auch so, wie soll man sagen, der gute Geist. Wie empfinden Sie die neue Situation auf dem grünen Hügel?
Neuenfels: Na, die ist natürlich vollkommen anders, und ich finde es spannend, weil ich die zwei Schwestern – wie ich immer sage –, also Katharina und Eva, (…) finde, was im Widerspruch sich findet. Und das bedeutet, sie sind im Aufbruch. Sie müssen ausprobieren, sie müssen kämpfen und eins sein und sich einigen, und das tun sie ja auch. Und sie sind suchend, also sie sind auf keinen Fall stagnierend.
Liebing: Welchen Rat würden Sie ihnen geben für die Zukunft von Bayreuth?
Neuenfels: Na ja, also auf jeden Fall so rücksichtslos und hinterhältig, listig, gemein, anspruchsvoll, luxuriös, unmäßig und raffiniert zu sein wie er, Richard.
Homepage der Bayreuther Festspiele
Link bei dradio.de:
Der Herrscher des Grünen Hügels ist tot
Hans Neuenfels: Natürlich, wenn man die unmittelbare Bedürfnishaftigkeit des Menschen zur Musik betrachtet, dann singt er einfach, manchmal flötet er, wenn er verliebt ist, manchmal singt er in der Badewanne, manchmal, ja, hört er Musik und setzt sich abends mit einem Glas Cognac hin und raucht eine Zigarette oder nicht.
Jürgen Liebing: Nun sind wir hier in Bayreuth, die Frage etwas anders gestellt: Wie viel Wagner braucht der Mensch?
Neuenfels: Na ja, Wagner ist eben ein großer, wichtiger, zu entdeckender Komponist, und vor allen Dingen, ich glaube, das Wichtige an Wagner ist, dass er zu entdecken ist. Also ich glaube, dass Wagner einer der wenigen Komponisten ist, von denen allgemein behauptet wird, er sei bekannt. Ich denke, er ist es nicht. Also ich glaube, die Verdis, die Mozarts, die Richard Straussens und wie sie heißen sind bekannter als die Wagner. Bei Wagner hat man ein bestimmtes umrissenes Verhältnis, und dieses Verhältnis, denke ich, ist falsch, bezüglich festgelegt. Und damit haben wir jetzt zurzeit zu tun.
Liebing: Nun waren Ihre Hausgötter, Ihre musikalischen, waren Verdi und Mozart. Was unterscheidet Wagner, den Sie ja für sich relativ spät entdeckt haben, von diesen beiden?
Neuenfels: Also erstens Mal ist Wagner ein Deutscher, und ich will damit sagen, er ist einer der empfindlichsten, gründlichsten, genauesten, kritischsten Deutschen. Und er hat etwas gemacht, was ich sensationell finde: Indem er nämlich nach der Antike gewissermaßen, also nach den Griechen, die Begriffe des Deutschen gesammelt hat, also die abendländischen Begriffe des Denkens hat er instrumentalisiert und definiert, und zwar musikalisch. Also er hat wie Goethe, wie Schiller – um bei den großen Klassikern zu bleiben – hat er musikalisch bearbeitet, er hat die (…) der Welt im Sinn, und weitergehend bis Kant, bis zu den großen deutschen Philosophen hat er in die Musik gebracht, was noch nie jemand gemacht hat. Und er hat sie auch beantwortet.
Liebing: Die Frage nach dem Sinn, wenn man jetzt Ihren Lohengrin nimmt, mit dem Sie hier auf dem Hügel debütieren im Alter von 69 Jahren, den haben Sie als eine Art Laborsituation dargestellt, und man fragt sich: Gibt es für Sie noch einen Sinn?
Neuenfels: Natürlich. Es gibt den Sinn des Lebens zu versuchen, trotz aller Unmöglichkeit, wie das auch Wagner meint, und gerade indem wir die Ränder berühren, indem wir die Unmöglichkeit herausfordern und die Träume absolut behaupten, kommen wir zu Ergebnissen von erstaunlicher Art.
Liebing: Die zentrale Frage im Lohengrin ist ja die, die eben nicht gestellt werden darf. Ist es eigentlich eine Zumutung, Menschen in eine solche Situation zu bringen, dass er den Menschen, den er liebt, nicht fragen darf, wer er ist?
Neuenfels: Es ist eine Zumutung, es ist eine Unmöglichkeit, und es ist ein Wagnis, so, wenn man sagt, nie sollst du mich befragen, frage ich natürlich sofort, aber ich muss dich fragen. Das Verbot der Frage erzwingt gleichzeitig eine Antwort. Also die Antwort ist im Verbot der Frage impliziert. Und indem ich sie stelle, gibt es mehrere Möglichkeiten, aber es geht immer um die Frage der Identität. Aber indem diese radikale Frage auftaucht, frage ich die Welt. Und das ist das, was Wagner will.
Liebing: Dies ist einerseits eine Liebesgeschichte, andererseits ist es auch ein Historiendrama, denn Heinrich ruft die Leute zusammen, auf dass das Reich wieder stark werde, und so kann man diese Geschichte ja auch sehen und auch inszenieren. Hat Sie dieser Aspekt eigentlich interessiert?
Neuenfels: Nein, überhaupt nicht, sondern die Gesellschaft hat uns interessiert. Das, was um diese private Frage passiert, und das ist die Situation, dass die ganze Gesellschaft nur eins will: Wie will ich mich verankern in dieser Welt der Unsicherheit, der Fragwürdigkeit und so weiter, durch Besitz, indem ich (…) kämpfe, siege, andere besiege, unterdrücke und herrsche?
Liebing: Sie haben den Chor angesprochen und haben die Prinzipien beschrieben, nach denen diese Menschen leben, und Sie haben diesen Chor zu Ratten gemacht. Stehen die für genau dieses, fürs Kämpfen, fürs Überleben, für Gier und Habsucht?
Neuenfels: Absolut. Und für die Flüchtigkeit in der vorgegebenen Existenz, indem sie nichts anderes machen, als dass sie das Leben so nehmen, wie es ist.
Liebing: Nun ist auch im Graben, in diesem unsichtbaren, ein Debütant, ein sehr junger, Andris Nelsons, 31 Jahre alt, er könnte Ihr Enkel sein, und er hat eine ganz andere Geschichte mit Wagner – er kommt aus Riga –, als wir sie haben. Wie kommen Sie mit ihm und seiner Sicht aus?
Neuenfels: Blendend, weil er zwar eine unglaubliche Vorsicht hat mit Tradition, aber gleichzeitig eine sagen wir mal auf sich besinnende Skepsis. Das heißt, er misstraut den Traditionen, aber nicht, indem er sie wegwirft, sondern indem er sie überprüft.
Liebing: Nun sind Sie noch engagiert worden von Wolfgang Wagner und Gudrun, seiner Frau. Wolfgang hat wirklich geherrscht auf dem grünen Hügel, er war immer bei allen Proben dabei, er war auch so, wie soll man sagen, der gute Geist. Wie empfinden Sie die neue Situation auf dem grünen Hügel?
Neuenfels: Na, die ist natürlich vollkommen anders, und ich finde es spannend, weil ich die zwei Schwestern – wie ich immer sage –, also Katharina und Eva, (…) finde, was im Widerspruch sich findet. Und das bedeutet, sie sind im Aufbruch. Sie müssen ausprobieren, sie müssen kämpfen und eins sein und sich einigen, und das tun sie ja auch. Und sie sind suchend, also sie sind auf keinen Fall stagnierend.
Liebing: Welchen Rat würden Sie ihnen geben für die Zukunft von Bayreuth?
Neuenfels: Na ja, also auf jeden Fall so rücksichtslos und hinterhältig, listig, gemein, anspruchsvoll, luxuriös, unmäßig und raffiniert zu sein wie er, Richard.
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Der Herrscher des Grünen Hügels ist tot