"Sie können mich ansprechen, aber nicht mit Namen"

21.02.2011
Vor zehn Jahren "verschwand" der dänische Künstler Claus Beck-Nielsen. Jetzt ist er wieder da - ohne Namen. Wie es sich anfühlt, einen für tot Erklärten zu interviewen und zu hören, lesen sie hier.
Katrin Heise: Vor zehn Jahren verschwand der dänische Künstler Claus Beck-Nielsen, ein bisschen so wie Stiller in Max Frischs Roman "Stiller". Nur gab sich der danach einen anderen Namen, nannte sich White, aber der dänische Künstler, einst Claus Beck-Nielsen, hat keinen neuen Namen. Wie es sich anfühlt, einen für tot Erklärten zu interviewen und zu hören, das werden Sie gleich erleben, denn der Namenlose war bei uns zu Gast.
Ja und nun ist er mein Gast, mein Gast hier im "Radiofeuilleton", schönen guten Tag!

Claus Beck-Nielsen: Guten Tag!

Heise: Sie sind nicht tot, aber es gibt Sie auch nicht mehr. Jetzt sind Sie aber hier. Mit wem spreche ich jetzt eigentlich, wie kann ich Sie ansprechen?

Beck-Nielsen: Ja Sie können mich ansprechen, aber nicht mit Namen.

Heise: Also tatsächlich als der Namenlose?

Beck-Nielsen: Auch nicht als der Namenlose. Sie können Du sagen, aber nur keinen Namen. Sie können mich beschimpfen, aber auch ohne Namen.

Heise: Namenlos, genau ohne Namen, ohne irgendeine ... Gut, ich werde es versuchen. Warum eigentlich wurde vor zehn Jahren entschieden, den Künstler Claus Beck-Nielsen verschwinden zu lassen?

Beck-Nielsen: Ich glaube, es war ein Versuch herauszufinden, ob es möglich ist, jenseits dieser verdammten Identität zu leben. Denn die Menschen heutzutage kümmern sich mehr denn je darum eine Identität zu haben, wer bin ich, sein Ich, sein immer größeres ich zu produzieren, jeden Tag, durch Facebook, durch Talentshows im Fernseher, durch alle möglichen ...

Heise: ... und gleichzeitig wahrscheinlich durch den Staat, der halt bürokratische und durchorganisierte Grenzen setzt und ...

Beck-Nielsen: ... genau ...

Heise: dadrin ist man eben eine Identität, wenn man eine solche Nummer hat, wenn man einen Pass hat.

Beck-Nielsen: Ja genau.

Heise: Das Ganze geht dann ja nicht mehr, wenn man quasi gestorben ist, dann hat man diese Identität ja nicht mehr. Welche Folgen hat denn das dann fürs eigene Leben, wenn man aber weiterlebt?

Beck-Nielsen: Das wurde für mich sehr problematisch. Das größte Problem ist, dass der Staat und die einzelnen Menschen sehr gut zusammenarbeiten. Das ist nicht, die Menschen gegen den Staat, sondern das war Menschen und Staat gegen mich, in dem Sinne, dass jedes Mal ich dem Staat gegenüberstehe oder auch Menschen. Dann geht alle Kommunikation kaputt, weil ich nicht diese Identität habe. Und deshalb bin ich für manche Menschen so spukhaft, glaube ich.

Heise: Wie haben denn eigentlich Familie und Bekanntenkreis reagiert, denn als Person, als Körper sind Sie ja noch da?

Beck-Nielsen: Das ist auch problematisch, aber ich glaube für die Familie nicht so problematisch, denn sie fühlen, sagen eher da, ach wir kennen dich doch! Dazu sollen sie auch frei sein, ich will keine Diktatur über die Menschen.

Heise: Also nicht diktieren, was sie über Sie zu denken haben. Auf jeden Fall haben Sie ein Zeichen gesetzt, so ein innerdänisches, aber auch vielleicht sogar innereuropäisches Zeichen, was einem passieren kann in einem bürokratisierten Staat, dass man als Mensch ohne Identität sozusagen durchs Raster fallen kann und dass das eben tatsächlich auch Folgen für das Leben da haben kann, selbst in einem Staat, wo man glaubt, überall immer aufgefangen zu sein. Aber es ging Ihnen ja nicht nur um inländische sozialkritische Zeichen. Sie sind 2004 in den Irak gereist mit einem Koffer, auf dem stand: The democracy, destination Iraq. Sie wollen also die Demokratie bringen, Sie wollten dort die Demokratie hinbringen. Das ist ja ein ganz schön vermessenes Anliegen?

Beck-Nielsen: Ja ich glaube, das war, weil die Amerikaner, also die neokonservativen Amerikaner und das Bush-Zeitalter, damals haben die Amerikaner viel gewollt und viel gemacht, sie waren irgendwie Idealisten. Und die Europäer waren damals immer nur Skeptiker. Und die Amerikaner haben alles gemacht und dann dachten wir, wir wollen zu keiner Demonstration gehen, wir wollen mitmachen. Und dann dachten wir, okay, wir nehmen die Amerikaner beim Wort und dann gehen wir tatsächlich mit der Demokratie in den Irak hinein.

Heise: Wir, das Beckwerk. Sie sind dann mit dem Koffer hingegangen, haben auf Plätzen Ihr Zelt aufgebaut und zum Gespräch eingeladen. Wie haben die Iraker denn auf Sie, Ihren Koffer und Ihr Zelt und das Gesprächsangebot reagiert?

Beck-Nielsen: Also sehr, sehr positiv. Weil es war Januar, Februar 2004 und es war immer noch so Nachkrieg. Alle die Menschen, all die Iraker, die zivilen Iraker, die wir getroffen haben, hatten keine zivilen Westlinge aus dem Westen getroffen. Wir waren die Ersten. Die haben nur diese 18-, 19-, 20-jährigen paranoiden Soldaten aus den USA oder die Briten oder Deutsche oder Dänen getroffen.

Heise: Und Sie sind ins Gespräch gekommen?

Beck-Nielsen: Ja, ja. Weil wir denen ... Aus Prinzip sind wir ohne Waffe, ohne Bewachung immer viel gegangen, also aus dem Auto in den Straßen herumgegangen mit europäischem Anzug und Krawatten, was niemand im Irak tut. Und deshalb waren wir so besonders, dass wir überall aufgefallen sind.

Heise: Im "Radiofeuilleton" zu Gast der Namenlose, ein Repräsentant des Beckwerk, unterwegs um die Biografie des toten Beck-Nielsen durch Kunstaktionen, wie es heißt, mit der Weltpolitik zu verknüpfen. Sie, der Namenlose, sind dann 2008 nach Kabul gereist und haben dort Ihr Theaterstück "Das Parlament" im Nationaltheater aufgeführt. Da geht es um ein Weltparlament, also auch wieder politisch. Sie haben dann Ihre Anwesenheit aber auch gleich für eine andere Kunstperformance genutzt, Sie sind nämlich mit einer weißen Fahne durch Kabul gelaufen. Was wollten Sie da zeigen?

Beck-Nielsen: Diese weiße Fahne ist mit einem Lock im Zentrum, wo normalerweise das Hakenkreuz oder was auch immer ist, so ein Zeichen von Das Beckwerk. Und im Irak war es die Flagge der Demokratie, im Iran war es die Flagge der Revolution oder des Neuen, und in Kabul soll es dann die Flagge der Freundschaft sein. Aber dann stellte sich heraus, dass ... Wir dachten immer, weiße Flagge, das ist Frieden! Aber ...

Heise: ... ja, ich komme in friedlicher Mission oder Absicht ...

Beck-Nielsen: ... aber in Afghanistan stellte sich heraus, die weiße Flagge ist die Flagge der Taliban.

Heise: Das heißt, wie waren die Reaktionen? Sie sind mittenrein gekommen in ein Pulverfass!

Beck-Nielsen: Ja, aber die Vorreaktionen waren, die Afghanen hatten mir gesagt, das dürfen Sie nicht tun! Und dann habe ich es getan und es waren ganz viele verschiedene Reaktionen. Aber vor allem waren die Leute so überrascht, dass sie mich haben passieren lassen. Also es ging. Und wir haben darüber einen Film gedreht mit jungen afghanischen Filmmachern, die eigentlich auch nicht mitmachen wollten. Ich habe die eine Woche lang bearbeitet!

Heise: Sie riskieren ja tatsächlich eben auch Ihr Leben. Sie haben auch gerade gesagt, dass Sie darauf auch angesprochen wurden, mach das nicht, du riskierst dein Leben! Was ist das jetzt eigentlich, Politik oder Kunst?

Beck-Nielsen: Das weiß ich nicht. Aber eher Politik, glaube ich. Wenn ich und wir das machen, denken wir nicht, wir sind Künstler. Wir sind nur Menschen.

Heise: Nur Menschen, aber offenbar mit einer Mission. Also wenn man jetzt mal überlegt, in den letzten Wochen wurde viel diskutiert über den Aufruf von Stéphane Hessel, "Empört Euch". Ist das auch so ein bisschen Ihr Credo, Ihre Mission, die Leute aufzurufen sich zu empören oder miteinander zu reden? Was ist da?

Beck-Nielsen: Also das ist Provokation, aber so im lateinischen Sinne, dass man die Leute, provoca ... , also man bringt die Leute zum Hervortreten, aus sich herauszukommen. Was wir machen, ist natürlich idealistisch und ambitiös und viel, viel zu ambitiös. Also weil, wenn man sagt, ich will jetzt eine Revolution im Iran machen oder Demokratie im Irak einführen, das ...

Heise: ... na oder eine Revolution in Kairo, Sie waren ja auch in Kairo im November, vor der Revolution ...

Beck-Nielsen: ... ja! ...

Heise: ... und keiner wollte mit Ihnen reden.

Beck-Nielsen: Nein. Als wir zurückkamen, dachte ich, okay, hier wird es nie Revolution geben, denn wir haben alles versucht im Iran auch und wurden da auch viel verhaftet von den vielen verschiedenen Sicherheitspolizeien oder Geheimdiensten oder was auch immer. In Kairo haben die Bürger und die verschiedenen Polizei- und Geheimdienste so schön zusammengearbeitet, die Ägypter haben sich selbst so gut überwacht, die wollten mit uns nichts zu tun haben. Auch nicht ...

Heise: ... auch Künstler, Intellektuelle nicht ...

Beck-Nielsen: ... auch nicht die Künstler. Also die wollten gerne mit uns reden so zu Hause, aber nicht im öffentlichen Raum, und vor allem wollten sie nicht mit uns zusammenarbeiten.

Heise: Warum müssen Sie oder sind Sie für Ihre Mission, für das, für was Sie sich einsetzen, für diesen Dialog, warum müssen Sie da jemand sein, der keinen Namen hat?

Beck-Nielsen: Um irgendwie als ein möglicher neuer Mensch aufzutreten. Nicht, dass alle Menschen so aussehen sollen wie ich, aber das ... In diesem Zeitalter, wo globale Gesellschaft mehr und mehr eins wird, aber gleichzeitig sieht man überall diesen verdammten Nationalismus und dass jeder Mensch oder Gruppe von Menschen, die Menschen machen Gruppen und sagen, ja ich bin nur wie der, aber gar nicht wie der ... Daraus entstehen so viele Konflikte, die eigentlich nur aus Angst kommen. Die Menschen haben Angst, dass sie nicht wissen, wer sie sind. Und deshalb wollen wir irgendwie zeigen, dass, okay, ich will das Unmögliche machen, ich will Leben ohne Identität und ich will nicht ein Missionar sein, aber doch jemand, der eine Tür öffnet, durch die die Menschheit rausgehen und in einer neuen Welt auskommen kann.

Heise: Keine kleine Aufgabe, die Sie sich gestellt haben!

Beck-Nielsen: Nein, das ist natürlich unmöglich! Aber wir versuchen es!

Heise: Ich wünsche Ihnen noch viel Glück dabei, vielen Dank!

Beck-Nielsen: Vielen Dank!

Heise: Und ich habe jetzt, na ja, irgendwie das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich Sie jetzt verabschieden soll, denn einen Namen haben Sie nicht, wollen Sie nicht mehr haben. Vor zehn Jahren waren Sie der Künstler Claus Beck-Nielsen, der sind Sie nicht mehr.

Beck-Nielsen: Jetzt bin ich nur eine Stimme und wenn diese Stimme nichts sagt, dann ist nichts da.