"Sie kann schreiben mit nahezu nichts"

Von Michaela Gericke |
Ihre ersten Aufnahmen machte sie von Fenstern. Menschen zu fotografieren traute sie sich damals noch nicht. Das änderte sich schließlich, wenngleich der Respekt gegenüber den Menschen, die sie aufnimmt, immer der gleiche geblieben ist. Sibylle Bergemann fotografierte in der DDR, und sie war nach der Maueröffnung eine der Mitbegründerinnen der Fotoagentur Ostkreuz.
Franziska ist Königin. Auf dem Polaroid-Foto von Sibylle Bergemann trägt sie - die Lippen samtrot - ein golden glänzendes Kleid, ihre Lider schimmern golden; die Krone - eigentlich eine Mütze - ist ebenfalls mit Gold durchsetzt - die blaue Feder über der Stirn wirkt wie ein Juwel. Franziska ist mongoloid und sie gehört zur Theatergruppe Ramba Zamba. Auf dem leicht unscharfen Foto von Sibylle Bergemann, sitzt sie aufrecht mit stolz erhobenem Kopf – eine Königin eben, wenn auch nur für kurze Zeit. Das Polaroid, so klein es ist, wirkt wie ein impressionistisches Gemälde, das der Porträtierten einen spürbaren Zauber verleiht.

Sibylle Bergemann: "Nach dem ersten Foto war ich sehr aufgeregt, weil ich gesehen hab, was da auf einmal passiert: Dass da diese Verzauberung drin ist, die ich auch empfinde bei den Leuten. Dass es sie verwandelt, und ich finde das sind faszinierende Leute und durch die Weichheit dieser Polaroidfarben ... kam dem das sehr entgegen - ich hab’s auch mit Kleinbild fotografiert - sieht scheußlich aus."

Als die Fotografin Sibylle Bergemann Ende der 90er Jahre die Mitglieder der Theatergruppe Ramba Zamba fotografiert, ist sie längst über Berlin hinaus bekannt: für ihre Schwarz-Weiß-Bilder, die auf melancholisch-realistische Weise das Ostberlin der 70er und 80er Jahre zeigten. Verboten wurde damals keines ihrer Fotos, manche wurden nur nicht gedruckt, sagt Sibylle Bergemann lakonisch. Wenn im Hintergrund eines Modefotos ein Schornstein schwarz rauchte oder junge Mädchen in schwarzen Kleidern vor bröckelnden Fassaden mit ernstem Blick in ihre Kamera schauten, erntete die Modefotografin der Zeitschirft Sibylle gelegentlich Kritik: sogar von Kollegen im Verband Bildender Künstler.

"Die haben gesagt: Wir sind Friedhofsfotografen, weil das alles so trist war und wir nicht Friede, Freude, Eierkuchen gemacht haben."

Aus heutiger Sicht strahlen einige ihrer Bilder etwas Humorvolles aus. Die Serie über die Entstehung des monumentalen Marx-Engels-Denkmals gehört dazu. Elf Jahre lang dokumentierte Sibylle Bergemann die Arbeit des Bildhauers Ludwig Engelhard. Von der Insel Usedom bis nach Berlin mussten die großen Philosophen transportiert werden. Ihre Körper: kopflos; auf einigen Bildern mit Drahtseilen festgezurrt, über ihren Unterkörpern ziehen - wie auf einem surrealen Bild von Magritte – dunkle Wolken am Himmel. Auf einem anderen Foto sind die Augen verbunden.

"Ich habe nur fotografiert, was ich da gesehen habe - und das Komische, das da reinkommt, das kommt daher, dass man weiß, das sind Marx und Engels, und die haben da Scheuerlappen auf’m Kopf, das ist ja, damit der ton nicht austrocknet oder der gips nicht - wir haben natürlich beim fotografieren, wenn ich da hoch kam, der Ludwig Engelhard und ich - wir haben gelacht, ich wollte nie dem irgendwas Böses oder wollte mich nie über seine arbeit lustig machen. Aber is schon komisch ... natürlich in so ner knappen Auswahl ist es bisschen überspitzt."

Mit einem Foto aus dieser Serie beginnt das Katalogbuch der Edition Braus, das die Ausstellung begleitet. Der Schriftsteller Cees Noteboom würdigt darin besonders Sibylle Bergemanns Reise-Fotografien.

"Fotografen sind Jäger. Sie erkennen früher als andere Reisende die Möglichkeiten von Licht, Pathos, einer Geschichte ohne Worte, von dem einen, unteilbaren Augenblick, in dem diese Geschichte erzählt wird. Das alles gehört zur Grammatik des Fotografierens, damit wird geschrieben. Sibylle Bergemann weiß das wie niemand sonst. Sie kann schreiben mit nahezu nichts."

Soll heißen: selbst in der Wüste, in kargen, armen Landstrichen, erzählt sie auf ihren Fotos Geschichten. Schafft Atmosphäre, wie es sonst nur ein Poet mit Worten kann. Wenn Sibylle Bergemann in fernen Ländern fotografiert, ist es, als ziehe sie den Betrachter unmittelbar in ihre Umgebung hinein: in den hellgelben Wüstensand von Mali beispielsweise, der auch in der Luft schwebt und die junge Frau im roten, fliegenden Kleid umwirbelt. Sie steht im Mittelpunkt, während im Hintergrund Kamele ziehen und eine Tempelruine aus dem Sand zu wachsen scheint.

Auch in Dakhar hat Sibylle Bergemann Frauen und Männer in farbenfrohen Gewändern fotografiert. Immer wieder ist es der fließende, der geraffte oder eng anliegende Stoff, der die Weiblichkeit stolzer Afrikanerinnen unterstreicht. Die Hintergründe: abblätternde Farben an Fassaden, korrespondieren mit den Farben der Kleider und des Schmucks. Sie gehören bei Sybille Bergemann eindeutig zur Bildkomposition. Und beeindrucken umso mehr, als Sibylle Bergemann lange Zeit ausschließlich Schwarz-Weiß fotografierte:

"Das war ja ein erzwungener Wechsel - die Aufträge waren fast nur noch in Farbe und - bei den Reisen: als ich angefangen habe, Farbe zu vergrößern, das war nach der ersten großen Auslandsgeschichte für Geo diese Jemenreise. Es war klar, ich muss das jetzt selber machen, weil es sind sonst nicht meine Bilder - und da hab ich angefangen, ich hab einfach angefangen Farbe zu vergrößern, hab viel material verbraucht, aber es ging. Ich kann die farben so ausfiltern, wie ich die empfunden habe vor Ort, und wenn ich die vergrößern lasse im Labor, dann wird es neutral ausgefiltert und das entspricht nicht dem, was ich gesehen und mir vorgestellt habe."

Sibylle Bergemann: eine Magierin, die jetzt zu Recht in der Akademie der Künste Berlin Brandenburg für ihr bisheriges Lebenswerk gewürdigt wird. Eine Künstlerin, die mit ihren stimmungsvollen Bildern berühmt wurde und gleichwohl bis heute zurückhaltend wirkt:

"Also ich find es schön, dass so ne Anerkennung da ist - aber dass ich mir das gewünscht hätte ?- Ich komm mir manchmal eher vor wie ne Hochstaplerin. Ich freu mich, wenn den Leuten das gefällt - dass das interesse so groß ist, freut mich natürlich sehr."


Service:
Die Ausstellung "Sibylle Bergemann. Photographien" ist bis zum 14. Januar 2007 in der Akademie der Künste in Berlin zu sehen.