"Sie haben nicht den Dreh unterbrochen"

Gerhard Meixner und Roman Paul im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.08.2012
Der Spielfilm "Wadjda" erzählt die Geschichte eines Mädchens, das verbotenerweise in Saudi-Arabien Radfahren lernen will. In dem arabischen Land zu drehen, mit deutschen und saudi-arabischen Mitarbeitern und einer häufig präsenten Religionspolizei sei nicht einfach gewesen, erzählen die Produzenten Gerhard Meixner und Roman Paul. Der erste in Saudi-Arabien gedrehte Spielfilm wird bei den Festspielen in Venedig gezeigt.
Matthias Hanselmann: "Paradise now", ein Film über zwei palästinensische Selbstmordattentäter, und der Animationsfilm "Waltz with Bashir", der zahlreiche internationale Preise bekam und sogar für den Oscar nominiert war, sind zwei Filme, mit denen die Firma Razor Film Furore gemacht hat. Hinter dieser Erfolgsgeschichte stecken Gerhard Meixner und Roman Paul. Jetzt sind sie mit ihrer neuen Produktion "Wadjda" in Venedig. Wieder ein Film, der im arabischen Raum spielt, und wieder ein Film, der eine kleine Sensation mitbringt. Es ist nämlich der erste Film, der je in Saudi-Arabien gedreht wurde. Wohl gemerkt: Dort gibt es keine Kinos! "Wadjda" erzählt die Geschichte eines Mädchens, dessen seligster Wunsch es ist, Fahrrad zu fahren. Nur, das ist in Saudi-Arabien für Mädchen und Frauen schlicht verboten! Ich habe vor der Sendung mit den beiden Produzenten gesprochen und Gerhard Meixner und Roman Paul gefragt, warum sie denn nun ausgerechnet in einem Land drehen mussten, in dem Kinos verboten sind?

Gerhard Meixner und Roman Paul: Gezwungen hat uns keiner dazu, das haben wir freiwillig getan. Und natürlich hat uns das fasziniert, da im wahrsten Sinne des Wortes kinematografisches Neuland zu betreten. Die Regisseurin und Autorin Haifaa Al-Mansour ist per E-Mail an uns mit diesem Projekt herangetreten und wir haben dann mit ihr diskutiert, ob man diesen Film auch in Saudi-Arabien drehen kann. Und ihre salomonische Antwort war damals: Es ist nicht nicht verboten.

Hanselmann: Dann, denke ich mal, mussten einige Hürden überwunden werden, wenn das der erste in Saudi-Arabien gedrehte Film werden sollte. Welche waren das?

Meixner und Paul: Na ja, also, der Punkt ist natürlich, wenn man in so einem Land dreht, dann stellt man fest, es gibt dort überhaupt keine Struktur des Filmschaffens oder auch keine Tradition. Das heißt, in Saudi-Arabien werden so Art Telenovelas gedreht, das ist das Einzige, was dort gemacht wird. Und die werden innerhalb von kürzester Zeit, in wenigen Tagen abgedreht. Und deswegen kennen die überhaupt nicht die Sorgfalt, mit der man einen Spielfilm herstellt, dass man Szenen erst mal groß etabliert, dann immer näher an die Szene herangeht mit anderen Linsen, anderen Objektiven, dass man den Ton ganz genau und sorgfältig separat aufnimmt, diese Tradition des Filmemachens und diese Kunst auch des Filmemachens, die beherrscht man dort gar nicht. Das heißt, es gab ein deutsches Team und es gab ein saudisches Team und die Saudis mussten von den Deutschen lernen, aber auch die Deutschen mussten sehr viel von den Saudis lernen, nämlich dass dort eine andere Herangehensweise an das tägliche Arbeiten besteht. Das war schon mal eine große Hürde.

Hanselmann: Haben Sie denn zum Teil auch an belebten Plätzen gedreht?

Meixner und Paul: Ja.

Hanselmann: Dann interessiert mich natürlich die Frage, wie hat denn da die Öffentlichkeit reagiert, wie haben die Menschen dort auf diesen großen Kinoaufwand reagiert?

Meixner und Paul: Na ja, das war natürlich schon neu für die, und gleichzeitig war es auch für uns nicht so ganz einfach. Denn in Saudi-Arabien ist es ja so, dass Frauen in der Öffentlichkeit komplett verschleiert auftreten, dass sie von Männern getrennt sind, nicht Männer und Frauen gemeinsam arbeiten außer, ich glaube, in Krankenhäusern ist das der Fall. Aber ansonsten ist da eine strikte Geschlechtertrennung. Und bei unserem Film war es natürlich so, dass wir hatten eine Regisseurin, die mit Männern zusammengearbeitet hat an öffentlichen Plätzen, und da muss man natürlich ein bisschen vorsichtig sein, damit man auch die Gegebenheiten des Landes respektiert und denen nicht zu nahe tritt, wenn man diese Konventionen auf einer gewissen Art und Weise sprengt. Die Haifaa hat dann viel aus dem Van - wir haben so einen Mini-Van an diesen öffentlichen Plätzen gehabt -, hatte sie zwei Monitore drin, auf die das Bild der beiden Kameras eingespielt wurde, und von dort aus konnte sie das dann einigermaßen kontrollieren. Aber natürlich lässt sich ein Film nicht so inszenieren. Das heißt, man muss zu den Schauspielern raus, man muss ihnen Anweisungen geben, man muss mit dem Team sprechen. Und die Haifaa, wenn man sie kennt, dann weiß man, sie hält das nicht lange aus und immer wieder ist sie natürlich rausgesprungen, auf die Straße gegangen, und wir haben dann versucht, so gut wie möglich das auch abzuschirmen. Also, das war schon alles andere als leicht, muss man sagen.

Meixner und Paul:Man muss auch schnell lernen zu durchschauen, was das jetzt für eine Situation ist. Also, teilweise muss man sehr schnell drehen und man muss lernen, darauf zu reagieren, was dort jetzt vorgeht. Ob vielleicht Gefahr in Person der Religionspolizei im Verzug ist oder ob das eher neugierige Leute sind, die eigentlich gar nichts dagegen haben.

Hanselmann: Ist denn die Religionspolizei mal eingeschritten?

Meixner und Paul: Wir konnten immer das drehen, was wir wollten. Manchmal mussten wir das schneller drehen, als wir das wirklich vorhatten, und manchmal wurde es etwas schwieriger, das zu drehen, und hat etwas länger gedauert.

Hanselmann: Na ja, ich kann mir diese ...

Meixner und Paul: Aber sie haben nicht den Dreh unterbrochen.

Hanselmann: Ich kann mir diese einigermaßen restriktive Drehsituation schon ganz gut vorstellen, weil, Sie erzählen ja die Geschichte des Mädchens Wadjda, das ist ein Mädchen, das alles daran setzt, Rad fahren zu dürfen, obwohl in Saudi-Arabien für Frauen das Radfahren grundsätzlich verboten ist. Hat man das einfach so durchgehen lassen?

Meixner und Paul: Es geht ja hier um ein Mädchen an der Schwelle zum Teenager, also, es geht um ein Kind, das hier im Mittelpunkt steht. Sodass man sich dort von der Geschichte her in einer Art Grauzone befindet. Also, man zeigt sozusagen die Gegebenheiten des Landes durch die Augen eines Kindes, was dann, sagen wir mal, etwas unschuldiger ist, als wenn das jetzt ein Erwachsener erzählen würde. Und auch die Art, wie der Film das beschreibt, ist eigentlich eine relativ subtile Art.

Hanselmann: Diese junge Schauspielerin, von der Sie gesprochen haben, was ist das für ein Mädchen, wo haben Sie es her?

Meixner und Paul: Ein sehr aufgewecktes Mädchen. Wir haben ein Casting in Riad durchgeführt. Um dort nicht zu sehr anzuecken, haben wir das aber nicht über Facebook oder Casting-Agenturen, die es in diesem Sinne nicht gibt, durchgeführt, sondern das ging über Mund-zu-Mund-Propaganda, hat sich das rumgesprochen. Und mutige Mädchen sind vorbeigekommen. Und als die Waad in den Raum kam, haben die Haifaa und ich uns angeguckt. Und ich glaube, das wird ja immer gesagt, oh, beim Casting haben wir gedacht, das ist sie, aber in diesem Fall war es auch wirklich so: Sie kam rein mit, in so einem 80s-Look mit High-Tops, ein bisschen Stone-washed-Jeans und dicken, fetten Kopfhörern auf den Ohren. Und dann dachten wir, wer ist das denn? Und wir waren der Meinung, die könnte das spielen! Und die Waad ist auch dabeigeblieben. Weil, das ist schon eine mutige Entscheidung auch von der Familie, dort Frauen und auch Mädchen zu finden, die schauspielen. Weil, das gilt nicht als schicklich.

Hanselmann: Sie hatten mit "Paradise now" einen sehr bewegenden Spielfilm über zwei Selbstmordattentäter, Sie sind auch mit dem viel gepriesenen "Waltz with Bashir" in Nahost geblieben, jetzt also Saudi-Arabien. Was hat denn diese Region schon vor dem Arabischen Frühling für Sie so attraktiv gemacht?

Meixner und Paul: Die Themen und ganz spezifisch die beiden Filme, die wir dort vorher produziert haben. Wir wählen unsere Filme in unserer Firma danach aus, ob die Themen uns faszinieren und, ja, unser drittes Projekt jetzt im Nahen Osten ist "Wadjda" in Saudi-Arabien.

Hanselmann: Man spricht bereits jetzt über einen Meilenstein der Geschichte, weil es eben der erste jemals in Saudi-Arabien gedrehte Film ist. Sind Sie so ein bisschen die olympischen Typen mit Ehrgeiz auf die höchste Treppenstufe?

Meixner und Paul: Ja! We go for gold! - Nein, also, in erster Linie zählt für uns natürlich auch immer, was erzählen wir hier für eine Geschichte, und ist es eine Geschichte, die es wert ist, auch ins Kino gebracht zu werden. Und bei "Wadjda" waren wir davon also total überzeugt. Und natürlich, ja, hilft es einem auch, wenn man sagen kann, es ist der erste Film, der in Saudi-Arabien gedreht wurde, und noch dazu von einer Frau inszeniert. Das sind natürlich dann noch zusätzliche Punkte, an denen man hinterher auch in der Auswertung ansetzen kann. Aber in erster Linie zählt für uns immer: Worum geht es in dem Film, ist es eine berührende Geschichte und möchte man die auf der großen Leinwand auch sehen?

Hanselmann: Der Film wird ja im saudi-arabischen Kino nicht gezeigt werden, weil es dort keine Kinos gibt. Wo wird er denn dort zu sehen sein?

Meixner und Paul: Also, ein Partner von uns ist Rotana, und das ist der größte panarabische Sender. Und die sind mit als Koproduzenten hier bei dem Film dabei.

Meixner und Paul: Das heißt, die strahlen den Film im Fernsehen aus, also eben im saudi-arabischen Fernsehen. Es wird aber davor eine Auswertung geben in den Kinos, in den Golfstaaten, also in Kuwait, in Bahrain, in Dubai, in den Emiraten. Und es ist so, dass die Saudis, weil sie eben zu Hause nicht ins Kino gehen können, in ihrem eigenen Land, ganz viel an den Wochenenden in diese Länder fahren. Die fahren da hin zum Einkaufen, dort gibt es auch Alkohol, und sie gehen dort vor allem aber ins Kino und schauen sich dann zum Teil drei, vier Filme hintereinander an und fahren dann wieder nach Hause! Und in diesen Ländern eben werden wir diesen Film auch zeigen und hoffen, dass ihn möglichst viele Saudis auch sehen können.

Hanselmann: Was würden Sie sagen, ist es mutig gewesen von den Fernsehleuten sozusagen mit Ihnen in ein Boot zu steigen?

Meixner und Paul: Ja, auf jeden Fall! Die Finanzierungsphase bei diesem Film war ausgesprochen schwierig. Investoren aus dem Raum kamen und gingen, wahrscheinlich auch, weil Menschen, die die Verhältnisse dort unten genauer kennen, ernsthaft daran gezweifelt haben, dass wir diesen Film wirklich zu Ende drehen können, und irgendwann immer kalte Füße bekamen, dass sie da womöglich auf einer filmischen Bauruine am Schluss sitzen bleiben. Also, von daher ist es für Leute in der Region schon ein großes Ereignis, dass dort wirklich ein Spielfilm jetzt doch endlich gedreht werden konnte!

Hanselmann: Gerhard Meixner und Roman Paul waren das von Razor Film über ihr Projekt "Wadjda", das bei den Filmfestspielen in Venedig gezeigt wird, die gerade begonnen haben und von wo uns die beiden auch zugeschaltet waren.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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