"Sie dürfen von einer Kasse nicht abgewiesen werden"

16.05.2011
Viele Versicherte der bankrotten City BKK werden von anderen Kassen abgewiesen. Doris Pfeiffer vom GKV-Spitzenverband hält solche Vorfälle für "untragbar" - und rät Betroffenen, auf ihren Anspruch auf Versicherungsschutz zu pochen.
Ute Welty: Heute ist es dann so weit, der erste richtige Arbeitstag von Gesundheitsminister Daniel Bahr. Und wenn er denn heute als Minister, nicht als Staatssekretär ins Amt kommt, dann wartet auf ihn schon jede Menge Ärger. Denn Versicherte der insolventen CITY BKK haben zum Teil große Schwierigkeiten, eine neue Krankenversicherung zu finden. Sie seien zu alt oder zu krank, heißt es. Die Interessen der gesetzlichen Krankenkassen vertritt der GKV-Spitzenverband, und dessen Verbandsvorsitzenden Doris Pfeiffer, der wünsche ich jetzt einen guten Morgen!

Doris Pfeiffer: Schönen guten Morgen ebenfalls!

Welty: Haben Sie eine Erklärung für das Verhalten mancher Kassen? Denn dass das nicht rechtens ist, ist ja einigermaßen erwiesen.

Pfeiffer: Na ja es gibt Schwierigkeiten. Also zunächst mal ist es eine logistische Frage, eine Geschäftsstelle einer Kasse hat normalerweise nicht 300 Menschen vor der Tür stehen. Das ist sicherlich eine Situation, wo Personal dann auch heftig belastet ist. Wie wir hören, ist es auch so, dass viele Versicherte auch Fragen haben, also dass es nicht nur darum geht, irgendeinen Mitgliedschaftsantrag zu bekommen oder auszufüllen, sondern die möchten wissen, ob sie denn ihre Pflegeleistung weiter bekommen, ob sie in den Chronikerprogrammen weiterhin untergebracht sind und so weiter und so fort. Und das ist natürlich auch Beratungsbedarf. Das heißt also, das erfordert Zeit, und deshalb geht das nicht so schnell.

Welty: Aber würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, eigentlich liegt es doch im Interesse der Kassen, möglichst viele Versicherte zu haben, denn pro Versichertem gibt es Geld aus dem Gesundheitsfonds und es gibt auch mehr Geld, wenn es sich um alte und kranke Menschen handelt?

Pfeiffer: Das ist richtig. Dieser Aufwand, der da notwendig ist, rechtfertigt auch auf keinen Fall eine Abweisung von Versicherten. Damit wir da keine Missverständnisse aufkommen lassen, diese Verhaltensweisen sind nicht korrekt. Die Kassen haben ein Interesse, Versicherte aufzunehmen. Das Problem bei der CITY BKK war ja – und das gilt natürlich dann auch für die anderen Kassen –, dass dieser Ausgleich, die Zahlungen aus dem Gesundheitsfonds nicht berücksichtigen und nicht berücksichtigen sollen, wie hoch die Kosten für einen Versicherten sind. Das heißt, es wird zwar berücksichtigt, ob jemand alt oder krank ist, aber die besonders hohen Kosten, die beispielsweise in Großstädten wie Berlin oder Hamburg anfallen, spielen keine Rolle. Nun hat die CITY BKK eben ganz besonders viele Versicherte in den Städten in den Städten wie Berlin und Hamburg und hat damit eben auch große finanzielle Schwierigkeiten gehabt.

Welty: Heißt das, die Pleite der CITY BKK wird dazu genutzt, am Wasser des ungeliebten Gesundheitsfonds zu graben? Denn damit würden Sie ja dem neuen Gesundheitsminister eine große Freude bereiten, Daniel Bahr von der FDP gehört ja zu den bekanntesten und schärfsten Kritikern dieser Einrichtung.

Pfeiffer: Also es gibt schon einige Stimmen, die genau dieses tun. Man muss auch sehen, dass die Entwicklung bei der CITY BKK in den letzten Monaten gezeigt hat, dass die Versicherten sehr massiv auf die Erhöhung der Zusatzbeiträge reagiert haben. Die Differenz, die zu anderen Kassen jetzt mit 15 Euro entstanden ist durch den Zusatzbeitrag, ist wesentlich geringer als der Beitragssatz, den die Versicherten der CITY früher gezahlt haben. Das heißt also, hier ist die Spürbarkeit für die Versicherten sehr viel stärker, obwohl der Betrag geringer ist, sodass man also hier sehen kann, wie ganz andere Wirkungen erzielt werden.

Welty: Was für eine andere Wirkung?

Pfeiffer: Ja, dass eben wesentlich mehr Versicherte die Kasse verlassen haben aufgrund dieses Zusatzbeitrages. Also früher hatte die CITY BKK den Höchstbeitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherungen und hat dann damit, was die Kosten anging, eine wesentlich höhere Belastung für die Versicherten als die 15 Euro, die jetzt die Versicherten zahlen müssen. Also die Spürbarkeit ist für die Versicherten eine andere, und die Wirkung ist eben auch eine andere, die massive Wanderungsbewegung, die da eingesetzt hat, war auf diesen Zusatzbeitrag zurückzuführen. Und das hat eben auch zur Folge, was wir seit Monaten oder seit Beginn des Fonds beobachten, dass die Kassen nach Möglichkeit jeden Zusatzbeitrag vermeiden, weil dann eben diese Wanderungsbewegungen ausgelöst werden.

Welty: Tatsache ist ja, das Geld aus dem Fonds reicht bei vielen Kassen nicht, diese Kassen erheben dann eben diese Zusatzbeiträge, und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält es für wahrscheinlich, dass die Zusatzbeiträge auf 50 bis 70 Euro pro Monat steigen werden in den nächsten Jahren. Was halten Sie von dieser These?

Pfeiffer: Entscheidend dafür ist natürlich die Frage, wie die Ausgaben steigen. Die letzte Reform hat ja festgelegt, dass der prozentuale Beitragssatz, also der von Arbeitgeber und Versicherten bezahlt wird, nicht mehr angepasst wird, und damit alles an zusätzlichen Ausgaben für Ärzte, Krankenhäuser und andere im Gesundheitswesen über Zusatzbeiträge finanziert werden muss. Das heißt also, die ganze Dynamik, die im Gesundheitswesen steckt und die auch ja durch die Politik befördert worden ist – man erinnert sich an große Steigerungen für Ärzte und Krankenhäuser –, die müssen dann über Zusatzbeiträge finanziert werden. Und von daher ist über Jahre hinweg natürlich auch eine solche Größenordnung denkbar und auch von der Politik gewollt.

Welty: Was können denn die Versicherten der CITY BKK jetzt tun? Schließlich besteht in Deutschland seit zwei Jahren die Pflicht, sich krankenzuversichern.

Pfeiffer: Also den Versicherten der BKK möchte ich noch mal sagen, dass es keinen Grund gibt, sich verunsichern zu lassen. Sie dürfen von einer Kasse nicht abgewiesen werden, sie müssen bis Ende Juni beziehungsweise noch zwei Wochen danach, Mitte Juli, sich bei einer Kasse gemeldet haben, um eine neue Mitgliedschaft zu bekommen. Sie sollten darauf bestehen, dass sie ein Recht darauf haben. Sie werden aber auch, wenn sie dann noch keine Kasse gewählt haben, von ihrem Arbeitgeber, von ihrem Rentenversicherungsträger dann einer Kasse zugewiesen. Also von daher, es wird eine Regelung geben, die Versicherten brauchen auch keine Sorgen um ihre Leistungen zu haben, also die Behandlungen, die schon begonnen worden sind, ob im Krankenhaus, ob bei niedergelassenen Ärzten, beim Zahnersatz, werden weiter finanziert.

Es brauchen aber auch die Anbieter keine Sorgen zu haben, also Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker bekommen auch ihr Geld, dafür sorgt der GKV-Spitzenverband, hier werden ab 1. Juli, ab dem Zeitpunkt der Schließung, dann sämtliche Forderungen abgewickelt. Das heißt also, wir sorgen dafür, dass das Geld dann auch gezahlt wird. Das gilt auch für Krankengeldzahlungen und so weiter. Also von daher ist kein Grund hier für Unruhe. Aber klar ist auch, die Kassen müssen sich an Recht und Gesetz halten, deshalb sollten die Versicherten sehr deutlich machen, dass sie einen Anspruch darauf haben und sich gegebenenfalls bei der Aufsicht, das ist das Bundesversicherungsamt, beschweren. Aber ich hoffe ...

Welty: ... und inwieweit können Sie darauf Einfluss nehmen als GKV-Spitzenverband, dass sich Ihre Mitglieder wieder an Recht und Gesetz halten?

Pfeiffer: Also wir haben in der vergangenen Woche schon die Kassen darauf hingewiesen, dass hier offenbar solche Fälle vorgekommen sind und dass die Vorstände doch dafür sorgen sollten, dass das Recht angewandt wird. Wir werden auch in dieser Woche mehrere Gespräche mit Kassen und Vertretern der Kassenverbände führen, um auf die Problematik der Abwicklung und der Verteilung noch mal einzugehen, damit hier vernünftige Lösungen gefunden werden. Ich halte es für untragbar für eine gesetzliche, eine solidarische Krankenversicherung, dass solche Vorfälle aufkommen, und wir wollen das auch ganz schnell lösen, damit diese Geschichte aus der Welt kommt.

Welty: Na dann man tau! Doris Pfeiffer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, ich danke fürs Gespräch und wünsche einen guten Tag noch!

Pfeiffer: Danke, gleichfalls, gern!

Links bei dradio.de:
Interview: "Das war politisch so gewollt"
Gesundheitsexperte zur Insolvenz der City BKK (DKultur)

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