Der schießt zurück!
Forscher der ETH Zürich haben eine spezielle Folie für Geldautomaten entwickelt. Wird sie zerstört, kommt eine chemische Kettenreaktion in Gang: Es knallt und schäumt und zischt. Das Prinzip haben sich die Forscher von einem Käfer abgeschaut.
Tatort Bankautomat. Harald Reiners, Polizeipräsidium Konstanz:
"Wir stehen hier an einem Geldautomaten, einem ausrangierten Geldautomaten. Und wir haben das auch schon gehabt, dass so ein Automat, ein Geldautomat, der aus der Verankerung gerissen worden ist. Das kommt immer wieder vor, mit brachialer Gewalt, teilweise mit Maschinen wird der Bancomat regelrecht aufgebrochen und abtransportiert."
Das passiert nach offiziellen Statistiken europaweit um die 1000 Mal pro Jahr. Geschätzter Schaden: Rund Zehn Millionen Euro. Die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Allerdings werden sich Panzerknacker, die sich mit Stemmeisen und Spezialwerkzeug an Bancomaten zu schaffen machen, zukünftig in Acht nehmen müssen. Denn: Der Bankomat schießt zurück!
"Aus der Sicht des Täters ist das so: Er schlägt vielleicht von außen mit dem Brecheisen auf einen Bankomaten drauf. Das zischt, das schäumt. Es spritzt unter Umständen dann auch, wenn die Reaktion heftig wird. Es signalisiert sicher schon einmal: Da passiert etwas. Das Zeugs ist farbig, was immer schon mal eine optische Abschreckung erzeugt."
Wasserstoffperoxid + Mangandioxid = Explosion
Erklärt Professor Wendelin Stark, der am Department Chemie und angewandte Biowissenschaften der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Zürich an einem einzigartigen Projekt forscht: Er hat eine Spezialfolie entwickelt, die die Geldautomaten der Zukunft sicherer machen soll gegen Angriffe von außen – eine Folie, die bei Gewaltanwendung nicht nur knallt, wie bei einem Schuss oder bei einer Explosion, sondern die gleichzeitig auch noch eine giftig aussehende Gaswolke erzeugt und einen klebrig, unappetitlichen Schaum nach außen quellen lässt. Johannes Halter, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projektteam:
"Das ist eine Folie, die aus zwei Schichten besteht. Die eine Schicht beinhaltet das Wasserstoffperoxid. Während die andere Schicht das Mangandioxid enthält. Getrennt sind die Beiden Schichten durch eine dünne Klarlackschicht."
Wasserstoffperoxid und Mangandioxid sind zwei Substanzen, von denen jeder Chemiker auf Anhieb weiß: Kommen sie zusammen, gibt’s eine Explosion, bei der sehr viel Energie frei wird.
"Wenn es da zu einem Schlag von außen auf diese Folie kommt, dann mischen sich die beiden Materialien. Und die Reaktion fängt an. Es fängt an zu schäumen, es wird heiß. Und wenn da noch Farbpartikel drin sind, färbt das dann die Banknoten…."
...die damit für den Dieb, der durch die Verpuffung ohnehin einen Schreck fürs Leben bekommt, unbrauchbar gemacht werden. Hinzu kommt noch eine weitere Substanz, die die Forscher in die Folie eingearbeitet haben: Winzig kleine Kügelchen mit künstlichem, unverwechselbarem Erbgut. Wendelin Stark:
"Der DNA-Trick ist ein alter Traum, nicht. Die Tatsache, dass man die Sache markieren will auf eine sehr sichere, sehr nachweisbare Art, ist eins ehr alter Traum."
Denn: Durch die Explosion der Folien werden die Täter mit den winzig kleinen Erbgut-Spuren, mit dem bloßen Auge nicht erkennbar, regelrecht bespritzt. Die Idee dahinter ist: Kommen die Täter später einmal in eine Fahndung, können sie anhand der DNA-Spritzer, die man für jeden Geldautomaten unverwechselbar modifizieren kann, überführt werden. Aber so einfach, wie sich das auf den ersten Blick anhört, ist es dann doch nicht.
"Das Problem ist eben: Die DNA ist nicht stabil. Sie geht relativ schnell kaputt. Sobald sie nicht mehr in unserem Körper drin ist oder in einer Pflanze oder so, zerfällt sie."
Den Täter mit kleinsten Kügelchen markieren
Die Züricher Forscher arbeiteten angestrengt an einer Lösung des Problems. Zu verlockend erschien ihnen die Aussicht, in die explosive Folie für den Bankomaten unverwechselbare DNA-Spuren so zu integrieren, dass diese auch noch Wochen nach einem Aufbruchversuch nachweisbar sind.
"Da war die Lösung eben, dass man eine kleine fossile DNA machen konnte, die geschützt ist, die man in einen Kunststoff hinein machen kann, die dort ein paar Monate, ja sogar Jahre drin ist, und die dann immer noch funktioniert."
Die Züricher Experten verpackten daher die jeweiligen DNA-Spuren in winzig kleine Kunststoff-Kügelchen, die in die explosiven Folien eingearbeitet wurden – Kügelchen, die ein Bankomat-Knacker niemals bemerken kann.
"Die sind wirklich klein. Die sind kleiner als ein Mikrometer. Das ist ein Fünzigstel eines Bakteriums. Das sind sehr, sehr kleine Kügelchen. Auch mit dem Lichtmikroskop kann man die nicht mehr sehen."
In dem Szenario der Züricher Forscher nisten sich die winzig kleinen Kügelchen auf der Haut des Täters ein, über Monate hinweg. Der kann sich duschen und waschen, so oft er will:
"Abwaschen, kann er machen. Aber er kriegt nie alles weg. Und juristisch gesehen, ist es sehr schwierig, einem Tatverdächtigen irgendetwas nachzuweisen nur auf der Basis eines Farbflecks. Aber der DNA-Vaterschaftstest ist etabliert in der westlichen Welt. Und wir haben eigentlich den DNA-Vaterschaftstest in diese Farbe oder in den Schaum hineingetan. Und jetzt sollte eine Überführung des Täters sehr viel einfacher sein."
Das Vorbild: der Bombardierkäfer
Damit erfüllt das Verfahren der Züricher ETH-Forscher, das Geldautomaten sicherer machen soll, gleich mehrere Funktionen: Die Abschreckung der Täter durch Verpuffung sowie Gas- und Schaumentwicklung. Die Einfärbung der Banknoten durch einen Farbstoff. Und die Kennzeichnung des Täters mit winzigen DNA-Kügelchen. Dreh- und Angelpunkt bleiben jedoch die beiden Folien mit jenen Substanzen, die, wenn sie zusammenkommen, heftig miteinander reagieren und explodieren. Diesen Trick haben die Wissenschaftler aus der Schweiz von der Natur abgeguckt – genauer gesagt: Von einem nur wenige Zentimeter großen Zeitgenossen. Projektmitarbeiter Johannes Halter:
"Da ist ein Insekt, der Bombardierkäfer. Das kommt in Mitteleuropa ziemlich häufig vor. Das hat einen ausgeklügelten Abwehrmechanismus gegen andere Insekten. Und zwar im Hinterteil, in zwei separaten Kammern, hat es Wasserstoff-Peroxid und Hydrochinon. Und wenn der jetzt angegriffen wird, dann quetscht der diese Kammer zusammen. Und dadurch wird eine sehr schnelle, sehr heftige Explosion katalysiert. Und so kann er explosionsartig giftige, ätzende Substanzen von sich lassen."
Mit anderen Worten: Der Bombardier-Käfer führt zwei Substanzen, die ebenfalls explosiv miteinander reagieren, in seinem Allerwertesten zusammen: Durch den Knall aus dem Hinterteil schlägt er seine natürlichen Feinde in die Flucht.
"Er kann Ameisen vertreiben oder sogar töten und auch sogar Schnecken und Frösche vertreiben."
Das, was der Bombardierkäfer in der Natur zu Stande bringt, sollen zukünftig auch Bancomaten können. Statt Ameisen und Frösche gilt es, Diebe und Panzerknacker in die Flucht zu schlagen. Ansonsten bleibt das Prinzip dasselbe – mit dem einen Unterschied: Statt dem in künstlicher Herstellung teuren Hydrochinon verwenden die Experten Wasserstoff-Peroxid. Das lässt sich günstiger herstellen, reagiert aber mit dem Wasserstoff-Peroxid genauso heftig. Das Beispiel zeigt nach Ansicht von Wendelin Stark, beim Tüfteln an technischen Problemen öfters mal auf die Natur zu schauen:
"Wenn wir sehen, wie elegant die Natur sehr komplexe Sachen macht, dann fragen wir uns oft, warum wir in der technischen Welt manchmal sehr schwerfällige Methoden haben, um ein Problem zu lösen. Die Verwendung von natürlichen, eleganten Lösungen in technischer Umgebung – das ist ein Thema, das uns schon seit langem beschäftigt. Und da haben wir schon oft erstaunliche Phänomene in der Natur studiert und uns gefragt: Kann man damit etwas machen, was wir sonst brauchen."
Intensiv studierten die Züricher Wissenschaftler Verteidigungsstrategien in der Natur – und wurden nicht nur in der Tier-, sondern auch in der Pflanzenwelt fündig, erinnert sich Johannes Halter:
"Da war die Idee mit dem Kohl, der ja, wenn er angepickt wird von Vögeln, auch senfartige Substanzen frei, die denn diese Vögel vertreiben. Dann haben wir uns überlegt: Das ist vielleicht nicht eine heftige Reaktion. Wo gibt es etwas, was ein bisschen heftiger ist? Und so sind wir dann auf den Käfer gekommen."
Anwendung in Fußballstadien denkbar
"Bitte ziehen Sie Ihre Schutzbrille an. Das ist das Wabenmuster, das in der Folie benutzt wurde. Durch einen Stahlzylinder wird der Schlag ausgelöst. Und dann fängt die Folie an zu reagieren und auch zu schäumen."
Unterwegs in den Labors der ETH-Zürich, in denen Wendelin Stark und sein Team tagtäglich mit der explosiven Folie experimentieren. Bei den Versuchen geht es auch darum, ob sich die explosiven Folien nicht nur in Geldautomaten, sondern auch anderswo einbauen lassen. Wendelin Stark nennt ein denkbares Szenario gegen Vandalismus in Fußballstadien.
"Wenn ich jetzt beispielsweise an Stühle oder Einrichtungen von Stadien denke…Wenn da jetzt jemand mutwillig, also mit massiver Kraft das Inventar versucht zu beschädigen, dass dann kleine Mengen dieser Flüssigkeiten austreten und auf dem Schuh oder Messer oder was auch immer sich ablagern und so eben den Täter überführbar machen später."
Bis das Verfahren serienreif wird, dürften noch Jahre vergehen. Dass es letztlich kommen wird, steht für Wendelin Stark außer Zweifel:
"Ich habe auch gesehen, das ein großes Interesse da ist an solchen Systemen. Wir haben den einen oder anderen guten Kontakt schon gehabt in den letzten Tagen. Aus Vertraulichkeitsgründen darf ich da keine Namen nennen. Das ganze Geldgeschäft ist eine sehr dezente Angelegenheit. Und es wird sehr interessant zu sehen in den nächsten Jahren, was die Privatindustrie aus solchen Konzepten macht."