Sicherheitspolitik

"Man muss die Selbstzensur bekämpfen"

Stark bewaffnete Polizisten in Wolgograd.
Nicht nur mit sichtbaren Maßnahmen, wie etwa der Verstärkung des Sicherheitspersonals, rüstet Russland auf, sondern auch mit versteckten Aktionen im Internet. © dpa/ITAR TASS/Dmitry Rogulin
Moderation: Katrin Heise · 16.01.2014
Wäre Totalüberwachung eine olympische Disziplin hätte Russland Chancen auf Gold. Vor den Winterspielen in Sotschi vermisst der Journalist Andrej Soldatow eine öffentliche Debatte über die Sicherheitsmaßnahmen.
Katrin Heise: Dass man sich im Kreml Olympische Spiele in Sotschi wünscht ohne Zwischenfälle, natürlich sicher, ohne Anschläge, aber auch ohne Protestaktionen, ohne Demonstrationen, das kann man sich eigentlich leicht vorstellen. Um das zu gewährleisten, läuft der Sicherheitsapparat heiß, nicht nur was Polizei und Luftüberwachung angeht, sondern natürlich auch sämtliche Kommunikationswege. Vor den Winterspielen wird das Internet kontrolliert, E-Mails und Chat-Foren werden gezielt nach unliebsamen Inhalten durchsucht und gefiltert. – Andrej Soldatow ist Journalist und beschäftigt sich seit Jahren mit den Geheimdiensten und ihren Aktivitäten.
Zusammen mit seiner Frau hat er vor drei Jahren ein Buch über den FSB, den föderalen Sicherheitsdienst, Nachfolger des KGB, geschrieben, und auf Einladung von "Reporter ohne Grenzen" ist er momentan für kurze Zeit in Berlin. Ich konnte ihn vor der Sendung sprechen. Herzlich willkommen, Herr Soldatow. – Wie ist denn eigentlich die Entwicklung, was die Überwachung, die Ausspähung von Kritikern und Journalisten angeht, jetzt kurz vor den Olympischen Winterspielen? Wie stellt sich das jetzt dar?
Andrej Soldatow: Ich würde sagen, dass die Geheimdienste zurzeit eine Art Doppelstrategie fahren. Einerseits machen sie etwas, was ich als sowjetisch bezeichnen würde. Andererseits machen sie etwas, dass sie die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel alle ausnutzen, die schon sehr, sehr gut sind. Was ich mit sowjetisch meine, ist ganz einfach: Es gibt Ausweiskontrollen plötzlich, Leute werden auf der Straße kontrolliert, man klingelt bei Leuten, man erstellt zurzeit schwarze Listen von sogenannten Extremisten. Und wenn ich jetzt von der technischen Überwachung rede, dann setzt man da wirklich hoch professionelles Equipment ein, beispielsweise Drohnen oder auch Sound-Systeme, die normalerweise U-Boote orten können.
Heise: Sie sprechen sicherlich genauso, wenn Sie über die technischen Voraussetzungen sprechen für diese Überwachung, auch von den Dingen, die im Internet abgefasst werden.
Soldatow: Ja. Was wir beobachten ist etwas, was nicht nur in der Gegend um Sotschi stattfindet, dort natürlich ganz besonders mit einer absoluten Hochtechnologie, dass die Eingriffe auch in die Privatsphäre ganz eklatant sind. Sie müssen einfach davon ausgehen, wenn Sie nach Sotschi fahren in naher Zukunft, dass nicht nur das, was Sie in Facebook von sich geben, sondern auch Ihre gesamten Telefonate, Ihr E-Mail-Kontakt, alles wird für die russischen Geheimdienste transparent sein.
Heise: Auf welcher Basis wird das eigentlich gemacht? Wie ist das gesetzlich abgesichert und was wird mit den Daten passieren?
Soldatow: Das Problem ist, dass die russischen Gesetze und auch die Legislative sehr viel mehr eingreifen kann, als das hier im Westen üblich ist. Hier im Westen ist es beispielsweise so: Wenn die Polizei oder die Geheimdienste jemanden überwachen wollen, dann brauchen sie eine richterliche Erlaubnis dafür. Die wird wiederum an den Provider geschickt. Der führt das aus und schickt es dann wieder zurück an die Polizei oder an die Geheimdienste. In Russland ist das anders und da wird man sich noch auf Gesetze berufen, die noch aus der Sowjetunion stammen, die noch aus den 80er-Jahren stammen.
Da ist es einfach so, dass jetzt der FSB, der wichtigste und größte Geheimdienst des Landes, ganz spezielle Leitungen installiert, mit denen er dann alle abhören kann, und die Telefongesellschaften beispielsweise, die Provider, die dürfen überhaupt nicht wissen, was dort geschieht. Der riesengroße Unterschied ist: In beiden Systemen braucht man richterliche Befugnisse, aber in Russland ist es so, dass der FSB nicht einmal das Recht hat, dass irgendjemandem anders zu zeigen. Das wird alles intern verhandelt.
Journalisten werden gezwungen, Kontakte abzugeben
Heise: Diese Überwachung, die Sie gerade schildern, betrifft ja jeden. Aber vor allem fühlen sich natürlich Journalisten, Blogger überwacht. Was hat das eigentlich für Sie beispielsweise für konkrete Auswirkungen für Ihre Arbeit? Will überhaupt noch irgendjemand mit Journalisten sprechen?
Soldatow: Nein. Das ist wirklich eine sehr, sehr schwierige Lage, weil im November letzten Jahres hat Medwedew ein Gesetz unterschrieben, was es erlaubt, Metadaten abzufassen für die Olympischen Spiele oder während der Olympischen Spiele, und das betrifft nicht nur die Sportler, sondern auch alle anderen Begleiter, aber natürlich auch Journalisten, die nach Sotschi kommen. Das stellt vor allen Dingen für Journalisten ein Riesenproblem dar, weil diese Metadaten, das beinhaltet auch, dass alle Kontakte, die man hat, alle Quellen, die man hat, dadurch transparent werden. Das heißt: Man würde diese Quellen sozusagen offenlegen, und das ist ein Riesenproblem.
Heise: Jetzt kann man ja diese Riesenüberwachung mit Sicherheitsvorkehrungen begründen, und das wird ja sicherlich auch gemacht: strenge Überwachung aus Sicherheitsinteressen, gerade nach den Anschlägen natürlich auch zu verstehen. Wie reagieren denn eigentlich die russischen Bürger darauf? Fühlen sie sich sicherer, oder fühlen sie sich vom Staat bedroht und überwacht? Interessiert das überhaupt jemanden, was da passiert?
Soldatow: Es findet wirklich keine öffentliche Debatte zu diesem Thema statt. Das ist das ganz große Problem. Die Russen denken einfach noch, wenn es um Überwachung geht, an Sowjetzeiten zurück. Sie sind in gewisser Weise auch noch daran gewohnt und das ist nichts, was man in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit ausdrückt. Das findet einfach nicht statt.
Das Resultat von diesen terroristischen Attacken, von diesen terroristischen Attentaten, wie zum Beispiel jetzt in Wolgograd, ist, dass die Zivilgesellschaft, die russische Gesellschaft dann auch wirklich härtere Sicherheitsvorkehrungen möchte. Sie möchten auch ein brutaleres Vorgehen den Terroristen gegenüber. Wie effektiv das ist, sei vollkommen dahingestellt. Aber es ist einfach so, dass die Gesellschaft selber, die russische Gesellschaft, auch nach mehr Härte verlangt.
Heise: Überwachungsmaßnahmen in Russland – der Journalist Andrej Soldatow informiert im „Radiofeuilleton“ über die Verschärfung und die Folgen daraus. – Herr Soldatow, jetzt ist man ja, was Ausspähen der Bevölkerung angeht, durch die Snowden-NSA-Enthüllungen immer noch vielleicht geschockt, aber auf jeden Fall ist man ja auch einiges gewöhnt, auch im Westen. Dass in Russland abgehört und mitgelesen wird, das überrascht einen eigentlich nicht so richtig, ehrlich gesagt. Oder sehen Sie Unterschiede zwischen dem, was Sie in Russland erleben, und dem, was wir über NSA gehört haben?
Soldatow: Das ist eine wirklich sehr interessante Frage, weil was dabei herausgekommen ist, bei dieser Art, wie die NSA überwacht, ist, dass das eigentlich immer mehr dem ähnelt, was in Russland stattfindet. Das heißt, die NSA durch Programme wie Prism schafft es, auch flexibler zu werden, und, indem man sich der russischen Seite annähert, auch effektiver zu werden.
Balkanisierung des Internet
Heise: Das Internet war ja früher Hoffnung oder Rückzugsort für Kritiker, für Journalisten, um sich zu informieren, um sich auszutauschen. Hat sich das, würden Sie sagen, durch all diese technischen Dinge oder Gegebenheiten, Entwicklungen, die Sie jetzt geschildert haben, hat sich das quasi ins Gegenteil verkehrt? Ist es eigentlich ein total gefährliches Terrain geworden?
Soldatow: Nein, das glaube ich nicht. So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, das ist sozusagen die letzte Bastion auch für eine sehr positive Form der Globalisierung, und so soll es, bitte schön, auch bleiben, weil sonst haben wir eine Art Balkanisierung des Internets, wo nationale Regierungen ihre eigenen nationalen Internet erstellen, die dann natürlich auch von den Regierungen kontrolliert werden, und das kann ja nicht die Lösung sein.
Heise: Ich nehme ja auch an, diese ganze Technologie, die Sie jetzt beschrieben haben, diese ganzen „Fortschritte“, die jetzt im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen eingesetzt werden, die werden ja nicht wieder abgebaut. Diese Überwachungsapparate sind doch dann da. Wie sehen Sie die Zukunft?
Soldatow: Nein, das ist natürlich unsere größte Angst, die wir haben, dass das, was man jetzt in der Sotschi-Region macht, dass das ausgeweitet wird auch auf andere Regionen, und leider gibt es dafür auch schon erste Anzeichen. Vor genau zwei Tagen hat die Duma mehrere Gesetzesänderungen verabschiedet, die darauf abzielen, dass das Internet noch weiter kontrolliert wird, noch weiter überwacht wird. Man begründet das natürlich mit den terroristischen Angriffen und natürlich muss man auch was gegen den Terrorismus tun. Das steht außer Frage. Aber hier geht es wohl doch um etwas anderes, weil beispielsweise alle Internet-Provider gezwungen werden, alle Daten, die sie zur Verfügung haben, sechs Monate lang online zu stellen.
Heise: Haben Sie Angst bei Ihrer Arbeit, gerade auch was die Zukunft angeht?
Soldatow: Ich glaube, die größte Gefahr für den Journalismus besteht in der Selbstzensur, und natürlich gibt es Bedrohungen. Die gibt es durchaus. Das andere Problem ist auch: die Regeln sind unklar, was nun wirklich gestattet ist und was nicht gestattet ist, was erlaubt ist und was nicht. Das muss man so ein bisschen erraten. Aber wie gesagt: Ich glaube an die Integrität von Journalisten, und da muss man vor allen Dingen die Selbstzensur bekämpfen.
Heise: Danke schön, Andrej Soldatow, Journalist, über die Geheimdienstaktivitäten jetzt zu den Winterspielen in Sotschi und darüber hinaus in Russland. Jörg Taschmann hat übersetzt. Ich danke schön!
Soldatow: Danke schön.
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