Sich küssende Männer, sich küssende Frauen

Von Dirk Fuhrig · 27.05.2008
Der Betonklotz wirkt, als könnte er aus dem Stelenfeld gegenüber stammen. Das dänisch-norwegische Künstlerpaar Ingar Dragset und Michael Elmgreen bezieht sich mit seinem Denkmal bewusst auf das Holocaust-Mahnmal. Allerdings gibt es hier auf einer Videoprojektion zwei küssende Männer zu sehen. Alle zwei Jahre im Wechsel küssen sich zwei Frauen.
Auf den ersten Blick wirkt der Betonklotz im Berliner Tiergarten wie ein vereinzeltes Absprengsel des "großen" Holocaust-Mahnmals. Wie zufällig auf der anderen Straßenseite gelandet. Der Würfel ist auch im selben Grauton gestrichen wie die Eisenman-Stelen gegenüber.

Indem sich das dänisch-norwegische Künstlerpaar Ingar Dragset und Michael Elmgreen mit seinem Entwurf bewusst auf das Mahnmal für die Juden bezieht, schafft es eine sinnfällige Verbindung zwischen den Opfergruppen. Eine gemeinsame Gedenkstätte für alle NS-Opfer – also etwa auch für Sinti und Roma – hatte sich politisch nicht durchsetzen lassen.

Albert Eckert, Sprecher der Initiative "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken", lobte bei der Einweihung die Künstler: " Sie kaperten gleichsam eine Stele des Eisenmanschen Denkmals für die ermordeten Juden Europas und füllten sie mit zusätzlichem Gehalt. Diese durchtriebene Form künstlerischer Aneignung, "appropriation" wie sie es nennen, scheint zu sagen: "Wir sind gleich und doch anders." "

Etwas anders ist das Mahnmal: Der Kubus steht leicht schräg, und er hat ein Fenster. Darin läuft eine Videoprojektion in Endlosschleife, auf der sich zwei junge Männer küssen. Gegen rein männliche Darstellung von Homosexualität hatten Frauen protestiert, sehr pointiert unter anderem Alice Schwarzer. Als politisch korrekter Kompromiss wird nun das Video alle zwei Jahre ausgetauscht. Einmal küssen Männer, dann Frauen und so fort.

Im Dritten Reich wurden mehrere 1000 Homosexuelle in den Lagern gedemütigt ermordet. Auf einer Gedenktafel wird die Geschichte der Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich, aber auch die anhaltende Unterdrückung im Deutschland der 50er- und 60er-Jahre dokumentiert.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: " Dies ist symptomatisch für eine Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland, die hier eine Opfergruppe einfach verschwiegen hat. Die selber noch dazu beigetragen hat, dass diese Opfer zweimal diskriminiert worden sind. Die nicht die Unrechtsurteile aufgehoben hat, sondern sie teilweise noch weiter vollstreckt hat. Die Menschen nicht anerkannt hat als Opfer des Nationalsozialismus, weil damals dieses gestörte Verhältnis zur Homosexualität in weiten Gesellschaftsschichten in der BRD bis in nicht allzu lange zurückliegende Zeit vorgeherrscht hat, im Übrigen in der DDR genauso. "


Wowereit eröffnete die Gedenkstätte gemeinsam mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann,der zugestand, dass Deutschland sich mit dem Gedenken an diese Opfergruppe lange Zeit gelassen hat.

Neumann: " Wenn wir heute im Jahre 2008, 63 Jahre nach Ende NS-Herrschaft inmitten der Hauptstadt ein Denkmal für die im Nationalsozialisten verfolgten Homosexuellen einweihen, in der Tat sehr spät, so ist das nicht nur Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit, es ist auch und vor allem Zeichen einer gereiften demokratischen Gesellschaft und Ausdruck der Überzeugung, dass in unserem Land Diskriminierung und Vorurteile und Ressentiments gegenüber Lesben und Schwulen, gegenüber anders Denkenden und anders Lebenden keinen Platz haben dürfen."

Abgesehen von Bernd Neumann war zur Denkmal-Einweihung kein weiteres Mitglied der Bundesregierung erschienen. Einige Bundestagsabgeordnete waren jedoch unter den mehreren 100 Eröffnungsgästen.

Die in einem heute veröffentlichten Zeitungsinterview von Michael Elmgreen und Ingar Dragset erhobenen Vorwürfe gegen den Kulturstaatsminister, er habe die Verwendung des Bilds der küssenden Männer auf der Einladungskarte zur heutigen Eröffnungszeremonie untersagt, wollten weder die beiden Künstler noch die Sprecher der Mahnmal-Initiative gegenüber Deutschlandradio Kultur kommentieren.

Erst 2003 hatte der Bundestag mit den Stimmen der rot-grünen Regierung den Bau dieser Gedenkstätte beschlossen. Die CDU-Fraktion hatte damals dagegen gestimmt.

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte sich zuvor der "Lesben- und Schwulen-Verband Deutschland", LSVD, sowie die Initiative "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" für das Denkmal eingesetzt.

Günter Dworek, Sprecher des LSVD: " Das ist ein sehr wichtiges Zeichen. Denn homosexuelle NS-Opfer wurden jahrzehntelang aus der offiziellen Gedenkkultur ausgegrenzt, ausgeblendet. Nicht nur vergessen, sondern man wollte sie wirklich nicht dabei haben."
Rund 600.000 Euro hat der Bund für den Bau des Mahnmals aufgewendet. Betreut wird es von der "Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas", deren Name, so forderte Albert Eckert, diese erweiterte Aufgabe in Zukunft anklingen lassen sollte. Das Denkmal in Deutschlands und Berlins politischer Mitte, zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, möchte Eckert ständige Mahnung für Akzeptanz und Toleranz verstehen:

" Zuletzt ein offenes Wort an all jene, die es für skandalös halten, dass der Bund und das Land Berlin hier an das Unrecht erinnern, das Homosexuellen angetan wurde, die es für unerhört halten, dass der Staat ein kraftvolle Zeichen gegen Intoleranz gegenüber Schulen und Lesben setzt, und die es widerlich finden, wenn ein gleichgeschlechtliches Paar sich küsst. Ihnen rufe ich zu: Auch und gerade für Sie ist dieses Denkmal gebaut! Wenn es stört, umso besser. "