Sich immer wieder neu erfinden

Von Gerrit Stratmann · 06.11.2013
Kristina Kruttke ist eine Frau, die gerne die Rollen wechselt. Sie begann ihre Laufbahn als Sängerin, machte Musikcomedy und tritt mittlerweile als Kabarettistin auf. Mit dem Rollenwechsel verfolgt sie auch einen heimlichen Wunsch.
Kristina Kruttke: "Die Diva sitzt zu Hause, ist eine vermeintliche großartige Person und redet darüber, wie toll es wäre, Erfolg zu haben. Ich meine, das ist schon ziemlich privat. Und dabei aber mit erhobenem Haupt da zu sitzen, sagen: Ja, ich bin aber trotzdem super! Das ist schon sehr … hat auch was von mir."

Kristina Kruttke serviert Kaffee und Pflaumenkuchen auf ihrem Balkon in Köln-Ehrenfeld.

"Sieht ein bisschen aus wie Sägemehl, ist aber brauner Zucker."

Bei sich zu Hause ist sie nicht "Diva La Kruttke", diese Kunstfigur, der sie ihren ersten Soloerfolg verdankt. Hier ist sie einfach nur Kristina, 41 Jahre alt, ledig, ein bisschen albern und sehr selbstkritisch. 2010 ist sie der Liebe wegen von Hamburg an den Rhein gezogen. Aber so ganz angekommen ist sie hier noch nicht.

Kruttke: "Hier in Köln fühl‘ ich mich noch nicht so richtig zu Hause. Ich fühl‘ mich in dieser Wohnung auch noch nicht so richtig zu Hause. Also es ist noch nicht so, dass ich sage, ich bin ein häuslicher Typ, weil ich hier noch nicht so genau weiß, wo ich in meiner Wohnung gerne bin. Das ist einfach noch so relativ neu."

Als Kabarettistin und Sängerin ist sie viel unterwegs. Das war schon früher so. Als Kind ist sie mit ihren Eltern und den zwei Geschwistern von Stadt zu Stadt gezogen, des Vaters wegen.

Kruttke: "Mein Vater war bei der Bundeswehr, leider. Deswegen sind wir alle drei Jahre umgezogen, und deswegen habe ich weder von Rendsburg noch von anderen Städten unbedingt viel mitbekommen."

Neuanfang als Diva La Kruttke
In Rendsburg im hohen Norden, da ist sie geboren. Lange gelebt hat sie dort nicht. Hamburg hingegen, 100 Kilometer weiter südlich, ist für sie noch heute eine wichtige Stadt. Hier lebte ihre Oma, hier arbeitete sie nach einem abgebrochenen Gesangsstudium einige Zeit in einer Internetagentur, hier gründete sie mit zwei weiteren Frauen eine Formation, die ihrem Leben eine neue Richtung gab: die SwingChix.

Die drei Frauen singen und swingen sich mit ihren Ukulelen in die Herzen der Zuschauer. Noch heute wird das Trio gerne für Firmenfeiern oder Kreuzfahrten gebucht.

Kruttke: "Durch diese SwingChix eigentlich hab' ich gemerkt, dass ich einen Humor habe, der nicht nur meine Familie, Freunde, Bekannte amüsiert und unterhält, sondern dass das was wirklich Bühnentaugliches ist. Und das war schön. Und dadurch ist die Diva La Kruttke entstanden."

Die Diva war für Kristina ein Neuanfang. Das erste Mal alleine auf der Bühne mit altbekannten Songs, zu denen sie neue Texte schrieb. Seit 2009 schlüpft sie in die Rolle der "La Kruttke". Nach drei Jahren war klar, dass die Figur gut auf der Bühne funktionierte. Aber statt ein weiteres Programm für die Diva zu erfinden, will sie sich lieber weiterentwickeln.

Kruttke: "Ich hab mir für mein zweites Programm alles aufgeschrieben, wovor ich Angst habe. Und deswegen ist der Gesang größtenteils rausgeflogen, weil ich weiß, wenn ich singe, da bin ich gut, da bin ich sicher, da weiß ich, dass ich unterhalten kann und dass es die Leute berührt."

Auch das knallrote und tief ausgeschnittene Abendkleid der Diva bleibt für das neue Programm im Schrank. "i, Kruttke" heißt der aktuelle Abend. Hier tritt sie privater auf in Jeans und T-Shirt und erzählt von den Peinlichkeiten der Jugend, denkt sich Methoden zum Ausweichen unbequemer Fragen aus oder träumt von Heimwerkermärkten speziell für Frauen.

"Humor ist wirklich was ganz Schwieriges"
"Dann wäre zum Beispiel auch endlich mal alles gut beschriftet für uns Frauen. Gang 1: Dings, Gang 2: Bumms, Gang 3: Pinökel, Gang 4: Hat Gabi auch eins von. Einfach, aber übersichtlich!"

Kruttke: "Humor ist wirklich was ganz Schwieriges. Ich hab‘ ja angefangen klassischen Gesang zu studieren, und da berührst du die Menschen auf eine Art und Weise, dass du irgendwie durch den Gesang, durch deine Stimme, durch die Musik, durch die Harmonien die Menschen berührst. Und das ist irgendwie so was Göttliches - Musik an sich.

Und dann zu sagen: Ich bin aber so komisch, dass ich damit die Menschen unterhalte, das finde ich immer noch schwierig. Ich trau‘ immer noch nicht so ganz meinem Witz übern Weg, ob das jetzt komisch ist oder nicht."

Gerade in ihrem zweitem Programm zelebriert Kristina Kruttke auf skurrile Weise den Umgang mit den eigenen Selbstzweifeln. Ihr Kernproblem: ein Kruttke zu sein.

"Kruttke Komma das: menschenähnliche Kreatur mit besonderer Vielfalt an persönlichen Insuffizienzen. Typische Eigenschaften: Hang zur Paranoia, sprunghaftes Verhalten, Minderwertigkeitskomplex gepaart mit Größenwahn ..."

Kruttke: "Die Frage ist: Warum steh‘ ich da? Was hab‘ ich eigentlich zu sagen? Das frage ich mich tatsächlich immer. Und das muss ja einen Rahmen haben. Und dieser Rahmen, der hat sich dann durch den Kruttke ergeben. Und dass wir alle ein bisschen Kruttke sind, ist ja dann auch offensichtlich. Und damit ist es ja dann von mir gelöst, sondern wird zu einem allgemeinen Problem."

Der Kuchen ist gegessen und die Sonne hinter den Häusern verschwunden. Kristina hat noch einen Termin, und hat auch sonst noch viel vor.

Kruttke: "Eigentlich finde ich es schön, wenn man sich immer weiter entwickelt. Mein Ziel ist eigentlich, am Ende, mit 60 oder 70, wirklich eine große Entertainerin zu werden."

Das Selbstbewusstsein dafür hat sie auf der Bühne auf jeden Fall heute schon.

"So wahr der, so wahr der / so wahr der Hund nicht miaut, sondern bellt / gehört der Frau die ganze Welt. / Und nicht dem Mann, und nicht dem Mann. / Die Welt gehört - genau! - der Frau."