Sich endlich mal sattsehen

Na, Appetit vergangen?
Na, Appetit vergangen? © picture alliance /dpa/Romain Fellens
Von Udo Pollmer · 09.11.2013
Allein das Betrachten von Bildern mit leckeren Speisen soll satt machen – so das Ergebnis einer Forschungsarbeit von US-Universitäten, die es damit bis in die Publikumsmedien geschafft haben. Wir haben unseren Skeptiker Udo Pollmer gefragt, ob das auch bei ihm wirken würde. Hier sein Kommentar.
Endlich ist eine Diät gefunden, die ganz ohne Nahrung auskommt – nein, nicht die Nulldiät, die wohl nur deshalb so heißt, weil sie ohne Sinn und Verstand ist, sondern eine, die jetzt sogar wissenschaftliche Weihen erfahren hat. Forscher haben nämlich durch Versuche am Menschen herausgefunden, dass diese nach dem Betrachten bunter Bilder mit salzigen Snacks weniger gesalzene Erdnüsse naschen als bei anderen Speisebildfolgen.

Für die erfahrenen Marketing-Psychologen zweier US-Universitäten ein klarer Fall von "optischer Sättigung". Die Bilder würden auf das Gehirn so wirken, als habe es all die Mahlzeiten tatsächlich geschmeckt. Noch dazu gelte der Übersätti-gungseffekt nicht nur für einzelne Speisen, sondern gleich für die ganze Ge-schmacksrichtung, so der Versuchsleiter Professor Ryan Elder.

Das ist ein tiefer Einschnitt in unser Menschenbild. Vor dieser Studie lief uns beim Anblick leckerer Speisen noch das Wasser im Mund zusammen, jetzt klebt die Zunge am Gaumen. Welch fatale Wirkung wird dann die Bierwerbung im abendlichen Fernsehprogramm entfalten, wenn verzückte Herren an einem Glas Bier nuckeln: Flugs lassen die Zuschauer ihr Pils stehen und nippen verlegen am Wasserglas. Stimmt die These der Verbraucherpsychologen, dann ließe sich mit Zigarettenwerbung das Rauchen verleiden. In der Tat empfehlen die Forscher den Marketing- und Werbeprofis, die Nahrungsmittel ja nicht zu oft abzubilden. Sonst könnten die Kunden schon vor dem Einkauf satt sein.

Bevor wir uns diese These zu eigenen machen, werfen wir noch schnell einen Blick in die Studie: Als Testpersonen wurden 63 zufällig anwesende Studenten rekrutiert. Denen zeigten die Verbraucherpsychologen erst viele Fotos mit Chips und Salzbrezeln und setzten ihnen dann ein Schälchen gesalzener Erdnüsschen vor. Der erste Gedanke eines halbwegs munteren Studenten ist doch, aha, die wollen testen, ob ich Erdnüsse esse, wenn ich vorher ein Dutzend Fotos mit Chips gesehen habe. Wie blöd! Da lass ich man lieber die Finger von. Dass der Effekt bei 60 Bildern stärker war als bei 20, kommt nicht sehr überraschend, denn nach 60 Bildern überwiegt der Ärger über den nervigen Psycho-Test-Quatsch.

Wie es der Zufall will, findet sich in der aktuellen Ausgabe jener Fachzeitschrift, die den genannten Versuch veröffentlicht hat, ein neckisches Editorial. Darin beklagt der Autor, ein Wirtschaftsexperte, die erschreckende Bedeutungslosigkeit der Verbraucherforschung. Bis heute habe sie kaum etwas Ernstzunehmendes zuwege gebracht. Aber vielleicht wollten die Psychologen nur testen, wer alles auf diesen Unfug reinfällt. Schließlich fanden viele Medien den Versuch famos und das Ergebnis einleuchtend, schließlich könne man sich auch an einer Tapete sattsehen. Alsbald machten Meldungen die Runde wie "Foto-Diät: Schlank durch Essensbilder" oder "Fotos als Appetitzügler".

Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde jedenfalls erfolgreich geweckt. Auch die Experten für Diäten und gesunde Ernährung waren gleich zur Stelle. Ein Team aus Ökotrophologinnen und Fachärzten stellte postwendend einen praktischen Tipp ins Netz: "Sündigt man gerne bestimmte Lebensmittel wie Süßigkeiten oder Knabbereien, kann es helfen, sich diese auf zahlreichen Bildern anzuschauen und den Verzehr damit zu mindern oder gar zu stoppen." Als armer Sünder frage ich mich, ob die Experten schon erwogen haben, mittels geeigneter Bilder auch noch andere sündige Gedanken zu befriedigen?

Zumindest eines hat der eigenwillige Versuch der Verbraucherpsychologen ge-zeigt: Es ist ihnen gelungen experimentell nachzuweisen, dass eine Studie noch so absurd sein kann, unsere Diätexperten schnappen dankbar nach jedem Wurstzipfel, der vor ihrer Nase baumelt. Mahlzeit!


Literatur:

Pham MT: The seven sins of consumer psychology. Journal of Consumer Psycho-lo-gy 2013; 23: 411-423

Saße D: Foto-Diät: Schlank durch Essensbilder. Berliner Zeitung 9.10.2013

Larson JS et al: Satiation from sensory simulation: Evaluating foods decreases en-joyment of similar foods. Journal of Consumer Psychology 2013; epub ahead of print
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