Sibylle Anderl: "Das Universum und ich"

Die Sterne und Galaxien kann man nicht anfassen

Sibylle Anderls "Das Universum und ich" erzählt mit vielen Anekdoten von den Methoden der Astrophysiker und der Zuverlässigkeit ihrer Untersuchungen.
Sibylle Anderls "Das Universum und ich" erzählt mit vielen Anekdoten von den Methoden der Astrophysiker und der Zuverlässigkeit ihrer Untersuchungen. © Hanser Verlag
Von Gerrit Stratmann  · 18.08.2017
Das größte Problem der Astrophysiker ist, dass ihre Forschungsobjekte so weit weg sind. Für Sibylle Anderl ist aber eine beobachtende Wissenschaft nicht schlechter als eine experimentierende. Mit "Das Universum und ich" hat sie eine Liebeserklärung an die Astrophysik geschaffen.
Astrophysiker reden oft von Dunkler Materie und Schwarzen Löchern. Aber woher wissen wir eigentlich, ob es diese Dinge überhaupt gibt? Für Sybille Anderl ist Astrophysik eine ganz besondere Wissenschaft. In ihrem anekdotenhaltigen Bericht "Das Universum und ich" reflektiert sie, mit welchen Methoden Astrophysiker arbeiten und wie zuverlässig die Erkenntnisse astrophysikalischer Untersuchungen sind.

Die Nöte der Astrophysiker

Dabei geht es ihr weniger um aktuelle Ansichten und Fragen der Astrophysik, als um ihre grundsätzliche Erkenntnisfähigkeit. Welche Mittel stehen Astrophysikern zur Verfügung? Wie leistungsfähig sind ihre Methoden? Wo haben sie ihren Grenzen? Das Schöne daran: Mit einem Abschluss in Philosophie und einem Doktortitel in Astrophysik berichtet Sibylle Anderl aus erster Hand. Schnell wird klar, was das größte Problem der Astrophysiker ist: Was sie erforschen wollen, ist unerreichbar weit weg. Sterne und Galaxien kann man nicht anfassen, keine Experimente mit ihnen machen. Nur das Licht, das sie verstrahlen, kann man untersuchen. Und manchmal nicht einmal das. Schwarze Löcher und Dunkle Materie sind komplett unsichtbar.

Humorvolle Zeichnungen

Sibylle Anderl schreibt leichtfüßig über ihr Verhältnis zur Astrophysik, streut selbstgemachte humorvolle Zeichnungen in den Text, berichtet von Telefonaten mit ihrem skeptischen Vater und erzählt von eigenen Erlebnissen. Ihre Absicht ist es, zu zeigen, dass beobachtende Wissenschaften nicht notwendigerweise schlechter sind als experimentierende. Als stärkste Waffe der Astrophysik erweist sich dabei die Sherlock-Holmes-Methode: aus vorgefundenen Spuren rückwirkend eine plausible Geschichte zu konstruieren, die ein Geschehen am Himmel kausal erklären kann. Eine Geschichte wohlgemerkt. Sie benutzt dieses Wort tatsächlich, spricht aber meist von Theorien und Modellen, die – das gibt sie zu – ihre problematischen Seiten haben. Denn Modelle basieren auf Annahmen, die stimmen können oder nicht. Manchmal reicht die Datenlage nicht aus, um sich zwischen verschiedenen Modellen zu entscheiden. Und manche Computermodelle sind heute so kompliziert, dass niemand sie mehr in Gänze versteht.

Zweifel sind erlaubt

Die Bereitschaft, mit der Sibylle Anderl Zweifel zulässt (auch an scheinbar fundamentalen Sicherheiten ihres Faches wie der Existenz Dunkler Materie), wirkt erfrischend. Nicht wenige ihrer Kollegen sind da weitaus dogmatischer. Aus ihrem erkenntnistheoretisch angelegten Buch spricht hingegen Problembewusstsein. Trotzdem strömt aus dem Text auch Optimismus. Der beruht auf der Überzeugung, dass es dort draußen auch in Zukunft noch genügend Spuren und Daten für uns zu sammeln gibt. Man muss sie nur finden und zu lesen wissen. In diesem Sinn liest sich ihr Buch trotz aller methodischer Kritik wie eine Liebeserklärung an ihr Fach. Ist Astrophysik also eine besondere Wissenschaft? Zumindest hat sie es besonders schwer, letztgültige Aussagen über den Aufbau unserer Welt zu treffen.

Sibylle Anderl: Das Universum und ich. Die Philosophie der Astrophysik
Hanser Verlag, München 2017
256 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema