Shinto-Schrein für Läufer
Shinto-Priester Taishi Kato möchte den Hattori Tenjin-gu Schrein in Osaka bekannter machen. Im Hintergrund: das Plakat mit der Einladung zum Marathonlauf. © Caroline Bergmann
Heilung durch den Gott der Füße
08:25 Minuten
Von Anja Röbekamp · 25.09.2022
Ein Shinto-Schrein im japanischen Osaka will internationale Gäste anziehen – und hat als besondere Zielgruppe Läufer. Denn hier können sie um Genesung oder Erhalt ihrer Füße beten und besondere Amulette bekommen.
Hattori Tenjin Station, Osaka, Japan. Vor 100 Jahren wäre man hier schon am Ziel gewesen: dem Hattori Tenjin-gu Schrein. Heute muss man bis zu ihm noch einen circa einminütigen Fußweg zurücklegen.
„Als die Bahnlinie erbaut wurde, war der Ort, an dem die Hankyu-Hattori-Tenjin-Station lag, der Schrein", sagt Taishi Kato. "Wenn du zum Bahnhof gehst, kannst du den heiligen Baum sehen.“
Kato ist Anfang 30 und der zweite Priester des Schreins, der damals einen Teil seines Geländes an die Hankyu-Bahn abgeben musste.
Ein Tor führt in die Welt der Götter
Vom Bahnhof aus geht es wenige Straßenecken weiter zum Schrein. Zwischen den Wohnhäusern weist ein großes Tor ohne Türen den Weg: Zwei graue, vertikale Steinpfosten werden von zwei horizontalen, geschwungenen Steinbalken überdacht. Das ist ein „Tori“, und es markiert den Übergang zwischen der irdischen Stadtumgebung und der Welt der Götter.
Hinter dem „Tori“ führt ein gepflasterter Weg auf das Anwesen des Hattori Tenjin-gu Schreins. Das Hauptgebäude ist ein einfacher, im klassischen japanischen Stil gestalteter Holzbau. Im Eingang sitzt in einer Nische eine fast lebensgroße Statue im Schneidersitz.
„Ich möchte, dass auch Ausländer zum Schrein kommen und der Gottheit der Füße Gebete darbringen und besondere Wünsche äußern", sagt Taishi Kato. "Das ist meine Ambition."
Ein Fußkranker fand hier Heilung
Im Hauptgebäude des Schreins vollzieht Kato ein Reinigungsritual. Er schwingt dazu einen speziellen Papierwedel. Schon seit 22 Generationen dient seine Familie dem Schrein, in dem eine besondere Gottheit verehrt wird: die Gottheit der Füße. Die „entstand“ im Jahr 901. Den Schrein gab es damals schon – allerdings war die Hauptgottheit noch eine andere.
„Er konnte nicht mehr laufen, weil er ein krankes Bein hatte, und suchte das kleine Heiligtum der Medizin-Gottheit auf", erklärt Taishi Kato. "Dort betete er für die Genesung seines Beins und zollte der Gottheit der Medizin Respekt, und allmählich erholte sich sein Bein.“
„Er“ ist Sugawara no Michizane, ein zu seiner Zeit in Japan sehr berühmter Politiker und Gelehrter. Seine Heilung sprach sich also schnell herum. Ein Wunder war das aber nicht, meint Kato. Die Ähnlichkeit zu christlichen Wallfahrtsorten sei nur äußerlich. Wunder kennt der Shinto-Glaube nicht.
Die Statue in der Nische stellt Sugawara no Michizane dar. Eines ihrer Beine glänzt stärker als das andere, denn es soll Glück bringen, an dieser Stelle zu reiben.
Individuelle Bitten um Heilung
Viele Japaner besuchen diesen Schrein, um für die Heilung von Bein- oder Fußleiden zu beten. Im Shinto gibt es wenige Zeremonien, die die ganze Gemeinde vollzieht. Die meisten Menschen kommen allein und beten vor dem Haupt-Schrein. Sie werfen eine Münze in den dafür vorgesehenen Kasten, verneigen sich und klatschen in die Hände.
So auch ein junger Fußballspieler: Er kommt einmal im Jahr und hofft, dass er sich nun nicht mehr verletzt. Er fände es gut, wenn Shinto weltweit praktiziert würde.
Ortsunabhängige Lebensweise
Genau das ist Taishi Katos Ziel: Er möchte nicht nur ausländische Besucher anlocken, er möchte Shinto internationalisieren.
„Selbst Japaner besuchen Shinto-Schreine, ohne religiös zu sein. Wir können Shinto also anders sehen, nicht als eine Religion, sondern als eine Art Lebensweise. Wenn wir Shinto so sehen, kann ich diese Lebensweise in die Welt exportieren.“
Shinto sei mehr ein „way of life“ als eine Religion. Die Shinto-Gottheiten, die Kami, seien in der Natur. Und die gäbe es überall, sagt Taishi Kato. Nicht mal ein Schrein vor Ort wäre nötig:
„Es ist egal, wo man lebt. Wer sich achtsam in der Natur bewegt, kann Shinto erleben.“
Der junge Mann hat erst im vergangenen Jahr seine Ausbildung als Priester beendet und dann den Dienst im Schrein seines Vaters aufgenommen.
Besonderes Angebot für Läufer
Shinto-Schreine finanzieren sich hauptsächlich über Spenden und über Zeremonien, für die die Gläubigen bezahlen. Zusätzlich werden Amulette, Orakel und Segenssprüche verkauft. Bald nachdem er seinen Dienst im Schrein angetreten hatte, bemerkte Kato, dass viele Laufsportler hierher kamen.
„Der Hattori Tenjin-Gu-Schrein ist berühmt für die Heilung von Beinleiden. Viele Leute haben Probleme mit den Beinen, darunter auch viele Läufer.“
So kam er auf die Idee, eine spezielle Zeremonie für Läufer anzubieten. Gebetet wird für die Heilung oder die Vermeidung von Verletzungen, zur Unterstützung der Regeneration, oder dafür, den nächsten Marathonlauf zu bewältigen.
Fußwächter auf den Schnürsenkeln
Kato hat Religionswissenschaften studiert. Er geht die Dinge analytisch an, und wurde selbst zum Läufer: Er wollte am eigenen Leib erfahren, wie sich das anfühlt. Und er fragte die anderen japanischen Läufer, was für Amulette sie genau brauchen könnten.
„Beim Lauf können die Sportler die normalen Amulette nicht tragen, also haben wir neue erfunden. Diese Ashi Mamori können beim Rennen getragen werden und schützen die Füße. Sie sind etwas Besonderes.“
Ashi Mamori bedeutet so viel wie „Wächter für die Füße“. Sie werden wie Perlen auf die Schnürsenkel der Schuhe aufgezogen. So stören sie den Bewegungsablauf der Läufer nicht. Klein und unauffällig auf den ersten Blick, tragen sie doch das stilisierte Pflaumenblüten-Logo und den Segen des Schreins.
In Osaka findet jedes Jahr im Herbst ein internationaler Marathon statt. Ein gutes Umfeld für Katos geplante Internationalisierung des Shinto:
„Die Menschen in Osaka sind offen für die Welt, weil sie von Natur aus gerne mit anderen reden. Wenn an diesem Schrein auch Fremde beten sollten, wird das für sie okay sein.“
Ein neues Zielpublikum zur Existenzsicherung
Shinto-Schreine haben mit der schrumpfenden Bevölkerung in Japan zu kämpfen, und die Pandemie hat ebenfalls Spuren hinterlassen. Ihre Priester müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre Existenz zu sichern. Vielleicht kommen in Zukunft eben auch Fremde?
„Ich denke, das ist wirklich eine großartige Strategie, denn der Shinto-Schrein hat sich verändert, über Jahrhunderte. Und so müssen wir uns verändern und an das moderne Leben anpassen.“
Taishi Kato hat eine Zielgruppe definiert und bedient sie spezifisch und zeitgemäß: Er hat für den ersten Oktober einen kleinen Marathonlauf in Osaka organisiert. Wer nicht vor Ort sein kann, hat die Möglichkeit, sich über eine App zu beteiligen, und anderswo auf der Welt seine Kilometer zu absolvieren. 5000 Beteiligte erwartet er bei diesem Lauf. Vor Ort wird zum Abschluss gemeinsam gegessen. Für Besucher, die nicht lange stehen können, hält der Schrein jetzt einen kleinen, steinernen Stuhl für das Gebet parat.
Taishi Kato hat gerade erst angefangen, Shinto gewissermaßen weltweit zu vermarkten. In nur einem Jahr hat er schon viel auf den Weg gebracht – und ihm werden die Ideen so bald nicht ausgehen.