Sherko Fatah: "Schwarzer September"

Die zynische Brutalität des Terrorismus

06:56 Minuten
Das Cover zeigt in drei übereinanderliegenden Ausschnitten ein Panorama von München mit dem Fernsehturm und dem olympischen Dorf, eine Wüstenlandschaft und nochmal den Blick auf München.
Sherko Fatahs Roman "Schwarzer September" © Cover: Luchterhand / Collage: Deutschlandradio
Von Sieglinde Geisel · 19.09.2019
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CIA, RAF und palästinensische Terrorkommandos: Mit präziser Sprache erzählte Sherko Fatah die Geschichte hinter dem Attentat auf die Olympischen Spiele in München 1972. Sein Roman ist ein Werk von zeitloser Aktualität.
Ein halbes Jahrhundert liegen die Ereignisse zurück, um die es in Sherko Fatahs "Schwarzer September" geht. 1972 brachte ein palästinensisches Terrorkommando dieses Namens in München die israelische Olympiamannschaft in seine Gewalt. Fatahs Roman interessiert die Geschichte hinter diesem Anschlag: die Vertreibung der Palästinenser aus Jordanien im Schwarzen September 1970 und den darauffolgenden Bürgerkrieg im Libanon.
Die politischen Morde, die wir in in dem Roman aus nächster Nähe miterleben, sind historisch, ebenso prominente Akteure wie etwa der "rote Prinz" alias Ali Hassan Salameh, ein damals neuer, urbaner Typus des palästinensischen Terroristen. Fiktiv sind dagegen die Figuren, die Fatah im Beirut zwischen 1970 und 1983 in seinem Roman aufeinandertreffen lässt.

Vom jordanischen Flüchtlingslager zur CIA

Die heimliche Hauptfigur ist der junge Palästinenser Ziad. Aufgewachsen in einem jordanischen Flüchtlingslager, schlägt er sich nach Frankreich durch, wo er für den Befreiungskampf rekrutiert wird. Er gehört zu den "in jeder Hinsicht Heimatlosen" – die Besten, wie der Drahtzieher Salameh erkennt. Nach der Gehirnwäsche in einem Ausbildungscamp entdeckt der zunehmend radikalisierte Ziad die Religion. Hier findet er, was er gesucht hat: keine "von europäischen Intellektuellen geborgte Ideologie", sondern die Wurzeln seiner eigenen Kultur.
Zwischenzeitlich arbeitet Ziad auch für CIA-Agenten, und er hasst den Amerikaner Victor "für die demütigende Anziehungskraft, die er auf ihn hatte". Fatah zeigt uns die Welt der US-amerikanischen Agenten, das ist die zweite Perspektive auf den libanesischen Bürgerkrieg: Mit kühlem Blick sondieren sie die Lage; sie benutzen Informanten wie Ziad für ihre eigenen Zwecke – und fallen schließlich deren Anschlägen zum Opfer.

Im Dunstkreis der RAF

In dieser überhitzten Welt begegnen wir drei Deutschen: Die reichlich naiven "Kinder des Olymp" lassen sich in den Lagern des Nahen Osten ausbilden für den "revolutionären Kampf" im Dunstkreis der RAF. Diese Perspektive wiederum nutzt Fatah, um die Atmosphäre der deutschen 70er Jahre heraufzubeschwören, den Ekel vor jeglichem Spießertum, die tabubefreiten Kreuzberger WGs, die zusehends erstarrten Ideologien des Kalten Kriegs.
Als einer von ihnen bei einem Anschlag ums Leben kommt, sagt der Palästinenser Imad zu seiner Geliebten Theresa: "Ihr habt einfach nicht mit der Möglichkeit des Sterbens gerechnet."

Rasant, präzise und scharf konturiert

Fatah erzählt zugleich mit filmischer Rasanz und einer scharf konturierten Genauigkeit. Mit präziser Sprache versetzt er uns in das Bewusstsein der Figuren: Als etwa der CIA-Agent Victor erkennt, dass der Geheimdienst andere Wege gehen muss, erzeugt diese Feststellung "einen Schmerz hinter seiner Stirn, als wäre der Gedanke scharfkantig".
Der Autor erspart uns nichts: Wir werden Zeuge von politischen Morden der niedersten Art. Zugleich jedoch entzieht der Autor seine Figuren einem schnellen Urteil, denn er zeigt sie uns in ihren Verstrickungen. Im Bürgerkrieg werden die Menschen zum Spielball fremder Interessen, kein Mensch in diesem Roman kann sich die Kontrolle über sein eigenes Leben bewahren.
Fatah führt uns die zynische Brutalität vor Augen, die in einer solchen Welt zur Normalität wird – darin liegt die zeitlose Aktualität seines Romans.

Sherko Fatah: "Schwarzer September"
Luchterhand Literaturverlag, München 2019
384 Seiten, 22 Euro

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