Shaun Usher: "Lists of Note"

Das Leben auflisten

Eine Liste mit guten Vorsätzen auf einem Kalender
© picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Pieke Biermann · 31.12.2015
Zwischen den Jahren, das ist die Zeit, in der man Listen macht. Der britische Autor Shaun Usher hat sich durch die Archive gewühlt und nach ungewöhnlichen Listen gewühlt. Nach "Letters of Note" ist "Lists of Note" der nächste Erfolgstitel von Shaun Usher.
Jahresende, Zeit zum Sortieren: Wie war das Jahr, was war los, wer ist gestorben, wer hat was gewonnen. Printmedien füllen ihre Seiten mit Tops und Flops, Lieblingen und No-Gos in Buch-, Film-, CD-Form. Die Menschheit ordnet ihr Leben seit eh und je mit allen möglichen Listen. Unsere Kritikerin schließt sich gern an – mit einer Liste anlässlich eines neuen Buchs mit Listen von anderer Leute Listen.
Vor Ultimo erledigen:
1. Shaun Ushers Buch "1. Lists 2. of 3. Note. Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten" kritisch würdigen. Titel erklären: of note, engl. bedeutsam, besonders; die "Weltbedeutung" ist eine deutsche Zugabe. Mutmaßungen über "deutschen Größenwahn" verkneifen.
2. Von außen nach innen vorgehen: Großformat, engl. coffee-table book; ca 20 x 30 cm, 3 cm dick; Leineneinband, Lesebändchen, feines Papier (olfaktorisch betörend); Gestaltung (Graphik, Layout) prächtig; 123 Listen, die meisten faksimiliert, einige mit Porträtfoto, alle mit 7- bis 20-zeiligen Erläuterungen; dazu zwei einführende Listen des Herausgebers sowie dessen Widmung für 1. seine Frau, 2. seinen ersten, 3. seinen zweiten Sohn.
3. Auf keinen Fall zu erwähnen vergessen: 36 Übersetzer*innen; darunter offenbar der "mittelägyptischen hieratischen Schrift" von Papyri und des Hotansakischen aus dem 10. Jahrhundert/China kundige.
4. Ein paar der (überwiegend angelsächsischen) Urheber*innen nennen: Houdini, George Washington, Marilyn Monroe, Mark Twain, Kurt Cobain, Picasso, Coppola, Marianne Moore ...
5. Listenbeispiele, kleine Auswahl: verdächtig des Mordes an JFK laut seiner Sekretärin: "Lyndon – KKK – Hoffa – Nixon – Diem – CIA ... "; Gewaltelemente in englischen Kinderreimen (u.a. "Fluchen", "Erwähnung von Gräbern"); Benjamin Franklins Endlos-Glossar zeitgenössischer Suff-Synonyme; Gründe für Fehlzeiten bei Grabmal-Malochern unter Ramses II ("Menstruation der Tochter", "Bierbrauen"); 35 Opium-Folgen ("Priapismus", "Tod"); Prosa- und Drehbuchregeln von Jack Kerouac, Billy Wilder, James Thurber u.a.; Vorsätze für (gutes) Essen, Kochen, Leben.
6. Meine Lieblinge: Johnny Cashs Tagesplan ("June küssen", "Husten"); da Vincis Projekte ("Die Zunge des Spechts und den Kiefer des Krokodils beschreiben."); Dickens' Fake-Bücher, Galileis Einkaufsliste ("Deutsche Linsen, poliert"); "Die Mafia", deren Kodex aber der Cosa Nostra galt.
7. Was fehlt: "Die X schönsten Kriege", "Meine ersten 30 Lover", "50 Words for Snow" (Kate Bush) ... ; sattelfeste Grammatik ("verberge" ist kein Imperativ).
Fazit: Diese Selfies in (zumeist) Wortform sind ein wunderbares Album für Häppchenleser, die einen stabilen Kaffeetisch und/oder eine Ablage vor der Toilette ihr eigen nennen. Sie machen auch noch Spaß, wenn ab morgen wieder alle eigenen Gute-Vorsätze-Listen in Windeseile im Orkus des chaotischen Weltgeschehens zerstäuben. Vielleicht sogar dann erst recht: Wenn man darin blättert, vergisst man für einen Moment, wie myriadenfach in Listen und Rankings sortiert wir alle längst sind.

Shaun Usher: "Lists of Note. Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten"
Heyne Verlag, München 2015
344 Seiten, 34,99 Euro