Kommentar

Teilen statt besitzen - macht das Sinn?

04:47 Minuten
Das Spotify-App wird auf einem Smartphone angezeigt. Im Hintergrund ist das Spotify-Symbol zu sehen.
Der Streamingdienst Spotify ist eines von vielen Beispielen für eine "Sharing Economy". © picture alliance / NurPhoto / Jonathan Raa
Ein Kommentar von Uwe Bork · 12.04.2024
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Wäre eine "Sharing Economy", also eine Wirtschaft des Teilens und gemeinschaftlichen Nutzens, wirklich so fortschrittlich und nachhaltig, wie es auf den ersten Blick scheint? Der Autor Uwe Bork hat erhebliche Zweifel.
Es ist so einfach. Seit ich meine Lieblingsmusik überall hören kann, hat meine Lebensqualität beträchtlich zugenommen. Meine persönlichen Hits können nach wie vor aus den Boxen unseres Wohnzimmers wummern, sie können via Earphone aber auch jederzeit direkt in mein Gehirn vibrieren oder über die Lautsprecher mein Auto fluten. Online stehen mir mehr als hundert Millionen Musiktitel zur Verfügung.
Ich muss mir keine doch stets lückenhaft bleibende CD-Sammlung mehr zusammenkaufen, mein Streamingdienst verwöhnt mich aus dem Stand mit der gesamten Musik dieser Welt. Naja, fast. Die Töne aus dem Netz werden nun nicht mehr umweltschädlich in Plastik gepresst, zumindest in meiner Phantasie schweben sie klinisch sauber aus irgendwelchen Clouds bei mir ein.

Spotify hat über 600 Millionen Nutzer

Meine Musiksammlung wächst kaum noch real in dem, was man früher meinen Schallplattenschrank nannte, sie liegt jetzt virtuell auf fernen Servern. Zwar ist deren energetischer Fußabdruck im Vergleich zu dem der Video-Portale und -Mediatheken wesentlich kleiner, die schiere Masse der Nutzer macht aber trotzdem Probleme: Allein Spotify als weltweit größter Streaming-Dienst ging im 4. Quartal 2023 über 600 Millionen Menschen ins Ohr.
Sollte ich mich entschließen, nicht mehr zu diesen Millionen gehören zu wollen, würde es zudem schlagartig ziemlich still um mich herum. Denn meine liebevoll angelegten Playlists und die Bibliothek meiner Lieblingsalben gehören mir ja nicht mehr physisch, ich besitze nur die Lizenz zum Hören so wie der E-Book-Nutzer die Lizenz zum Lesen: ein wichtiger Unterschied.

Wenig Gewinn für die Musiker

Auch für die Musikmacher hat das System "mieten statt kaufen" durchaus nicht nur Vorteile. Solange sie nicht zu den internationalen Superstars gehören, sind es nämlich nicht die Musiker und Musikerinnen, die bei den Streamingdiensten den Ton angeben.
Wird ein Song nicht wenigstens eintausendmal pro Jahr angehört, bleibt beim Branchen-Ersten Spotify die Kasse zu. Erst ab dem tausendundersten Stream wird gezählt und gezahlt. Und das in der Regel eher knapp: Was sie aus den Kassen der Konzerne erreicht, macht die meisten Tonkünstler zwar nicht unbedingt zu brotlosen Künstlern, die Butter auf ihren Stullen sollten sie aber dennoch eher dünn streichen.
"Sharing is caring" – oder frei übersetzt – Teilen hilft: So simpel ist die Sache eben nirgends in der auf den ersten Blick so vielversprechenden "Sharing Economy".

Mehr Wohnungsnot durch Leih-Appartments

Es mag etwa zunächst als gute Idee erscheinen, temporär leerstehende Zimmer, Appartments oder Wohnungen über eine Online-Plattform für einen begrenzten Zeitraum an Urlaubs- oder Geschäftsreisende zu vermieten.
Diese gute Idee hat sich in vielen Metropolen jedoch bereits in ihr Gegenteil verkehrt: Viele Wohnungen stehen dort für reguläre Vermietungen nicht mehr zur Verfügung, weil sich mit tage- oder wochenweisen Vermietungen mehr Geld verdienen lässt als mit langfristigen Mietverträgen. So heizt das beliebte Teilen die Wohnungsnot an.

Keine Win-win-Situation

Auch Car-Sharing setzt auf blinde Punkte im Auge des Betrachters. Wo bitte gewinnt denn die Umwelt, wenn die geteilten Autos vom selben Verbrenner-Fließband stammen wie die Privatwagen, die sie ersetzen sollen? Und wo bitte bleiben auf der anderen Seite die Arbeitsplätze in der Autoindustrie, wenn auf einmal statt Millionen neuer Fahrzeuge nur noch einige Zehntausend gebraucht werden, weil das Car-Sharing sich durchgesetzt hat und das eigene Auto obsolet geworden ist?
Die Sharing Economy bietet keine Win-win-Situation; auch hier gibt es Verlierer. Die Tage des Eigentums sind noch lange nicht gezählt: nicht im CD-Regal, nicht im Bücherschrank und schon gar nicht vor meiner Haustür.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Uni Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Er arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

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