"Shakespeare für die ganze Familie"
Moderation: Vladimir Balzer · 03.08.2007
Das neue Musical "Was ihr wollt" von Heinz Rudolf Kunze wird am Abend in Hannover uraufgeführt. Ziel sei es, dass auch Leute ohne Shakespeare-Vorkenntnisse "einfach mal kommen und schnuppern", erklärte Kunze. "Das ist bei Shakespeare möglich."
Vladimir Balzer: Musik aus dem Musical "Was Ihr wollt" nach Shakespeare von Heinz-Rudolf Kunze. Und der Musiker ist für uns im Studio in Hannover. Herr Kunze, ein bisschen Musik haben wir also gerade gehört. Aber wir würden natürlich gerne mehr erfahren. Was können die Zuschauer heute Abend erwarten?
Heinz Rudolf Kunze: Ich hoffe, ein Stück, bei dem William Shakespeare, wenn er dabei sitzen würde, auch schmunzeln würde. Es ist in meinem Tonfall gehalten. Es ist weiß Gott keine Übersetzung mehr, sondern eine sehr freie, nach mir klingende Nacherzählung. Und er als Theaterpraktiker und als großer Komödiant würde wahrscheinlich – hoffentlich – als Erster einsehen, dass man die Witze, die er erfunden hat auf dem Marktplatz für London oder Stratford-upon-Avon heute nicht so eins zu eins übernehmen kann, sondern durch neue Kalauer ersetzen muss, damit die Leute an den gleichen, richtigen Stellen lachen. Das habe ich versucht zu tun, aber alles hoffentlich in seinem Sinne.
Balzer: Irgendeinen schönen Kalauer, den Sie jetzt gedichtet haben nach Shakespeare? Haben Sie nicht gerade parat?
Kunze: Nö, weiß ich nicht.
Balzer: Schade eigentlich. Aber als Genre geben Sie Musical an. Was kann man sich vorstellen, denn, "Was ihr wollt" von Shakespeare als Musical …?
Kunze: Ich denke, dass seine Komödien sich dafür wunderbar eignen, weil sie eine unglaubliche Mischung sind aus Millowitsch und geistreich. Er ist einer der wenigen Autoren auf der Welt in der Geschichte des Theaters, die es geschafft haben, wirklich Volkstheater zu machen, mit Augenzwinkern und mit doppeltem Boden. Vielleicht geht so was heute gar nicht mehr, vielleicht ist so was in einer Person gar nicht mehr möglich, diese extremen Pole zu vereinigen. Er hat es jedenfalls hingekriegt, und deswegen sind seine Stoffe 400 Jahre lang auf den Bühnen dieser Welt, werden immer wieder neu beleuchtet, neu aufgegriffen, mit neuen Lebenserfahrungen einer anderen Generation aufgeladen, denn die Stoffe, die er beschrieben hat, die menschlichen Konstellationen, die er beschrieben hat, haben etwas ewig zeitliches und was fast schon biblisches. Also, ich denke, wenn irgendwann mal eine Zeit kommt, wo die Leute das Alte und Neue Testament und Shakespeare nicht mehr verstehen, dann ist das Ende der Welt gekommen.
Balzer: Und welche Konstellationen sind das in diesem Fall bei "Was ihr wollt"? Es ist ja eine Verwechslungskomödie, die einen geben sich als die anderen aus und umgekehrt, also, Liebe als ein Produkt der Illusion, ist das das Thema?
Kunze: Ja, Shakespeare ist, glaube ich, ein rabenschwarzer Ironiker, wenn nicht sogar ein Zyniker der Lyrik. Also, sowohl im "Sommernachtstraum" als auch bei "Was ihr wollt" spricht er eigentlich zwischen den Zeilen ständig die Warnung aus, passt bloß gut auf, in wen oder was ihr euch da verliebt, ihr könnt euch mächtig irren.
Balzer: Sie haben in einem Interview gesagt, mit diesem Stück und überhaupt mit Klassikern könne man der, "Verblödung der Gesellschaft gegensteuern". Wie denn?
Kunze: Das ist schon eine Hoffnung, die man leise irgendwo hegt, dass man eben Leute ins Herrenhäuser-Open-Air-Theater bekommt, die vielleicht bei Staatstheatern, bei hohen Häusern ein bisschen Schwellenangst hätten und nicht hingehen würden. Und es ist schon unser erklärtes Ziel, dass wir in Anführungszeichen "einen Shakespeare für die ganze Familie machen wollen", also für alle Generationen und für Leute, die auch ganz unbedarft, ohne Vorkenntnisse, einfach mal kommen und schnuppern und Spaß haben sollen, denn das ist bei Shakespeare möglich, das geht, wenn man ihnen das anbietet, und wenn man kein selbstverliebtes Regie-Selbstverwirklichungstheater macht, das lehne ich ohnehin ab, sondern versucht, dem Stück und dem Autor gerecht zu werden. Dann erreichen wir das auch. Und wenn man das Publikum sieht, was bei uns sitzt, das geht wirklich von 7 bis 70.
Balzer: Und wie genau machen Sie das?
Kunze: Wie habe ich das gemacht? Ich habe versucht, mit Witzen aus der Gegenwart die Leute zu erreichen, da abzuholen, wo sie stehen und das alles hoffentlich im Sinne des Meisters.
Balzer: Das heißt, mit der Sprache, mit seiner Sprache von damals, die ja auch in der deutschen Romantik dann später besetzt wurde und diese klassischen Übersetzungen werden ja heute auch noch inszeniert an deutschen Theatern, mit dieser Sprache, mit dieser klassischen Sprache erreicht man weniger Leute als mit der, die Sie praktizieren?
Kunze: Davon können Sie ausgehen. Also, wir haben beim letzten Stück 70.- oder 80.000 Zuschauer gehabt, und das ist schwer möglich im ernsthaften Theaterbetrieb, der ja, wie man überall in Statistiken nachlesen kann, an dramatischer Vergreisung leidet, weil eben einfach die jüngeren, nachfolgenden Generationen sich leider, leider nicht mehr auf so etwas einlassen. Und die versuchen wir schon zu erreichen und abzuholen, da wo sie sind.
Balzer: Gehen Sie denn noch ins Theater oder sind Sie schon desillusioniert?
Kunze: Ich bin selten in meinem Leben ins Theater gegangen, weil ich Erfahrungen ungern mit anderen Leuten teile. Ich bin sowohl Theater- als auch Kinomuffel. Ich bin Fernsehzuschauer.
Balzer: Und entdecken Sie dort irgendwelche Quellen für Ihre Arbeit?
Kunze: Das Fernsehen ist schon ein ewiger Jagdgrund, das kann ich Ihnen sagen, also, da kommt man schon auf einiges.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze im Gespräch in Deutschlandradio Kultur über sein aktuelles Projekt "Was ihr wollt" als Musical in Hannover. Herr Kunze, wenn Sie sagen, dass die Theaterszene vergreist, dass immer eher ältere Leute ins Theater gehen, Sie wollen aber auch jüngere erreichen – würden Sie sich heute in eine deutsche Schule trauen?
Kunze: Natürlich, tue ich regelmäßig. Ich mache oft Lesungen, gerade auch vor noch ganz kleinen Schülern, und eigentlich muss man sagen, je jünger die sind, die einem gegenübersitzen, desto mehr macht es Spaß, ihnen vorzulesen. Ich war erst vor kurzem wieder in einer Grundschule in Wilhelmshaven und habe sozusagen eine Märchenstunde gelesen, und diese Aufmerksamkeit, die man bei Viertklässlern erlebt, ist tatsächlich noch möglich, das kann man immer noch finden, und das ist etwas ganz wunderschönes, also, wie die einen angucken und wie die zuhören, das ist beglückend für einen Vorleser.
Balzer: Kann da auch die deutsche Bildungspolitik was lernen von Ihnen?
Kunze: Puh, ich will mich jetzt hier nicht überheben, aber ich versuche, einen kleinen Beitrag zu leisten und habe keine Berührungsangst vor Schulen und Schülern. Ich gehe gerne rein und erzähle denen was, wenn es sich bei mir terminlich einrichten lässt. Und wenn man so schöne Erfahrungen macht wie mit diesen ganz kleinen Schülern, ist das sehr aufbauend auch für einen selber.
Balzer: Ich frage deswegen nach der Politik, weil Sie ja Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission Kultur in Deutschland sind. Wie stark sind denn Ihre Hoffnungen in die Politik, was das Thema Kultur angeht und Bildung?
Kunze: Ich glaube, dass da noch mehr passieren muss, und ich glaube, dass ich, wenn diese Kommission im Herbst dieses Jahres die Arbeit einstellt, auch nicht aufhören werde, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen, und ich denke, ich werde mich weiter dafür engagieren, dass Bildung wieder hineingetragen wird in die Schulen, gerade eben musische und geisteswissenschaftliche, literarische Aspekte nicht zu kurz kommen dürfen im Unterricht, das interessiert mich halt, ich habe nun mal diesen Beruf Lehrer gelernt, insofern ist das vielleicht ganz naheliegend, dass mich das interessiert. Wenn man sich schon sozial engagiert als Musiker, finde ich es passend, wenn man Dinge tut, zu denen man auch einen wirklichen Bezug hat. Also, ich bin zwar auch manchmal für die Welthungerhilfe tätig, aber auf dem Afrikazug sitzen schon so viele musikalische Kollegen, vielleicht sollte ich mich eher primär um Dinge kümmern, mit denen ich auch inhaltlich eher verbunden bin, und das ist so eine Sache.
Balzer: Eine andere wäre ja, dass Sie sich ja schon seit einigen Jahren für mehr Deutsch in den deutschen Medien aussprechen. Sie haben sich auch mal für eine Deutschquote im Radio ausgesprochen, und Deutsch ist ja nun mal auch Ihre Sprache als Künstler. Wie klingt eigentlich – um wieder auf den Abend zurückzukommen in Hannover von "Was ihr wollt" nach Shakespeare – wie klingt eigentlich Shakespeare auf Deutsch in Ihren Ohren?
Kunze: Also, ich habe mich nicht für die Quote ausgesprochen, ich wurde als Klassensprecher von 800 Kollegen in die erste Reihe geschubst und musste das verkünden wie ein menschliches Megaphon, ich habe das mit großen Bauchschmerzen und großen Bedenken getan und habe die Kollegen auch davor gewarnt, eine so unmögliche Forderung zu erheben, weil das in Deutschland überhaupt niemals durchsetzbar ist, erster Teil der Frage. Zweiter Teil der Frage: Shakespeare auf Deutsch klingt wunderbar und rockt wie Bulle.
Balzer: Rockt wie Bulle – was kann man sich darunter vorstellen?
Kunze: Es ist durchaus möglich, Shakespeare ins Deutsche zu holen, es war ja auch lange Zeit eine so verkrampfte Frage in Deutschland, kann man etwas Rockmusikartiges mit der deutschen Sprache verbinden? Klar kann man, es geht. Natürlich klingt die deutsche Sprache anders als die englische, aber es ist durchaus möglich, man muss sich ein bisschen Mühe geben und ja, man wird halt verstanden von den Leuten und muss sich dann auch ein bisschen daran messen lassen, aber es haut hin.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze, in wenigen Stunden ist die Premiere in den Herrenhäuser Gärten, "Was ihr wollt", ein Musical nach Shakespeare. Das Wetter ist ja, sagen wir mal, ziemlich mittelmäßig, oder durchwachsen vielleicht, um es mal so auszudrücken. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es heute Abend stattfinden wird?
Kunze: Ja, wir schauen immer ganz gebannt auf die Wettervorhersagen im Computer und hoffen natürlich das Beste. Das Publikum in Herrenhausen ist relativ abgehärtet, wir haben ja nun vier Jahre "Sommernachtstraum" hinter uns, da sind nur relativ wenige Vorstellungen pro Jahr ausgefallen, und die Leute wissen, dass man sich in unseren Breiten nicht unbedingt auf Sonnenschein verlassen kann, und wenn es nicht aus Eimern schüttet, wird gespielt. Wenn es allerdings aus Eimern schüttet, sind wir aufgeschmissen, dann geht es nicht, denn aus Denkmalschutzgründen dürfen wir weder das Publikum noch die Schauspieler überdachen, und dann sind wir halt geliefert. Also, möge der liebe Gott ein Einsehen haben.
Balzer: Ich wünsche Ihnen viel Erfolg heute Abend und viel Glück mit dem Wetter.
Kunze: Dankeschön.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze, Autor eines Musicals nach Shakespeares "Was ihr wollt", heute Abend ist also Premiere, und bis Ende August wird dann mit wenigen Unterbrechungen fast täglich gespielt, 20 Uhr in den Herrenhäuser Gärten, genauer genommen im Gartentheater des großen Gartens.
Heinz Rudolf Kunze: Ich hoffe, ein Stück, bei dem William Shakespeare, wenn er dabei sitzen würde, auch schmunzeln würde. Es ist in meinem Tonfall gehalten. Es ist weiß Gott keine Übersetzung mehr, sondern eine sehr freie, nach mir klingende Nacherzählung. Und er als Theaterpraktiker und als großer Komödiant würde wahrscheinlich – hoffentlich – als Erster einsehen, dass man die Witze, die er erfunden hat auf dem Marktplatz für London oder Stratford-upon-Avon heute nicht so eins zu eins übernehmen kann, sondern durch neue Kalauer ersetzen muss, damit die Leute an den gleichen, richtigen Stellen lachen. Das habe ich versucht zu tun, aber alles hoffentlich in seinem Sinne.
Balzer: Irgendeinen schönen Kalauer, den Sie jetzt gedichtet haben nach Shakespeare? Haben Sie nicht gerade parat?
Kunze: Nö, weiß ich nicht.
Balzer: Schade eigentlich. Aber als Genre geben Sie Musical an. Was kann man sich vorstellen, denn, "Was ihr wollt" von Shakespeare als Musical …?
Kunze: Ich denke, dass seine Komödien sich dafür wunderbar eignen, weil sie eine unglaubliche Mischung sind aus Millowitsch und geistreich. Er ist einer der wenigen Autoren auf der Welt in der Geschichte des Theaters, die es geschafft haben, wirklich Volkstheater zu machen, mit Augenzwinkern und mit doppeltem Boden. Vielleicht geht so was heute gar nicht mehr, vielleicht ist so was in einer Person gar nicht mehr möglich, diese extremen Pole zu vereinigen. Er hat es jedenfalls hingekriegt, und deswegen sind seine Stoffe 400 Jahre lang auf den Bühnen dieser Welt, werden immer wieder neu beleuchtet, neu aufgegriffen, mit neuen Lebenserfahrungen einer anderen Generation aufgeladen, denn die Stoffe, die er beschrieben hat, die menschlichen Konstellationen, die er beschrieben hat, haben etwas ewig zeitliches und was fast schon biblisches. Also, ich denke, wenn irgendwann mal eine Zeit kommt, wo die Leute das Alte und Neue Testament und Shakespeare nicht mehr verstehen, dann ist das Ende der Welt gekommen.
Balzer: Und welche Konstellationen sind das in diesem Fall bei "Was ihr wollt"? Es ist ja eine Verwechslungskomödie, die einen geben sich als die anderen aus und umgekehrt, also, Liebe als ein Produkt der Illusion, ist das das Thema?
Kunze: Ja, Shakespeare ist, glaube ich, ein rabenschwarzer Ironiker, wenn nicht sogar ein Zyniker der Lyrik. Also, sowohl im "Sommernachtstraum" als auch bei "Was ihr wollt" spricht er eigentlich zwischen den Zeilen ständig die Warnung aus, passt bloß gut auf, in wen oder was ihr euch da verliebt, ihr könnt euch mächtig irren.
Balzer: Sie haben in einem Interview gesagt, mit diesem Stück und überhaupt mit Klassikern könne man der, "Verblödung der Gesellschaft gegensteuern". Wie denn?
Kunze: Das ist schon eine Hoffnung, die man leise irgendwo hegt, dass man eben Leute ins Herrenhäuser-Open-Air-Theater bekommt, die vielleicht bei Staatstheatern, bei hohen Häusern ein bisschen Schwellenangst hätten und nicht hingehen würden. Und es ist schon unser erklärtes Ziel, dass wir in Anführungszeichen "einen Shakespeare für die ganze Familie machen wollen", also für alle Generationen und für Leute, die auch ganz unbedarft, ohne Vorkenntnisse, einfach mal kommen und schnuppern und Spaß haben sollen, denn das ist bei Shakespeare möglich, das geht, wenn man ihnen das anbietet, und wenn man kein selbstverliebtes Regie-Selbstverwirklichungstheater macht, das lehne ich ohnehin ab, sondern versucht, dem Stück und dem Autor gerecht zu werden. Dann erreichen wir das auch. Und wenn man das Publikum sieht, was bei uns sitzt, das geht wirklich von 7 bis 70.
Balzer: Und wie genau machen Sie das?
Kunze: Wie habe ich das gemacht? Ich habe versucht, mit Witzen aus der Gegenwart die Leute zu erreichen, da abzuholen, wo sie stehen und das alles hoffentlich im Sinne des Meisters.
Balzer: Das heißt, mit der Sprache, mit seiner Sprache von damals, die ja auch in der deutschen Romantik dann später besetzt wurde und diese klassischen Übersetzungen werden ja heute auch noch inszeniert an deutschen Theatern, mit dieser Sprache, mit dieser klassischen Sprache erreicht man weniger Leute als mit der, die Sie praktizieren?
Kunze: Davon können Sie ausgehen. Also, wir haben beim letzten Stück 70.- oder 80.000 Zuschauer gehabt, und das ist schwer möglich im ernsthaften Theaterbetrieb, der ja, wie man überall in Statistiken nachlesen kann, an dramatischer Vergreisung leidet, weil eben einfach die jüngeren, nachfolgenden Generationen sich leider, leider nicht mehr auf so etwas einlassen. Und die versuchen wir schon zu erreichen und abzuholen, da wo sie sind.
Balzer: Gehen Sie denn noch ins Theater oder sind Sie schon desillusioniert?
Kunze: Ich bin selten in meinem Leben ins Theater gegangen, weil ich Erfahrungen ungern mit anderen Leuten teile. Ich bin sowohl Theater- als auch Kinomuffel. Ich bin Fernsehzuschauer.
Balzer: Und entdecken Sie dort irgendwelche Quellen für Ihre Arbeit?
Kunze: Das Fernsehen ist schon ein ewiger Jagdgrund, das kann ich Ihnen sagen, also, da kommt man schon auf einiges.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze im Gespräch in Deutschlandradio Kultur über sein aktuelles Projekt "Was ihr wollt" als Musical in Hannover. Herr Kunze, wenn Sie sagen, dass die Theaterszene vergreist, dass immer eher ältere Leute ins Theater gehen, Sie wollen aber auch jüngere erreichen – würden Sie sich heute in eine deutsche Schule trauen?
Kunze: Natürlich, tue ich regelmäßig. Ich mache oft Lesungen, gerade auch vor noch ganz kleinen Schülern, und eigentlich muss man sagen, je jünger die sind, die einem gegenübersitzen, desto mehr macht es Spaß, ihnen vorzulesen. Ich war erst vor kurzem wieder in einer Grundschule in Wilhelmshaven und habe sozusagen eine Märchenstunde gelesen, und diese Aufmerksamkeit, die man bei Viertklässlern erlebt, ist tatsächlich noch möglich, das kann man immer noch finden, und das ist etwas ganz wunderschönes, also, wie die einen angucken und wie die zuhören, das ist beglückend für einen Vorleser.
Balzer: Kann da auch die deutsche Bildungspolitik was lernen von Ihnen?
Kunze: Puh, ich will mich jetzt hier nicht überheben, aber ich versuche, einen kleinen Beitrag zu leisten und habe keine Berührungsangst vor Schulen und Schülern. Ich gehe gerne rein und erzähle denen was, wenn es sich bei mir terminlich einrichten lässt. Und wenn man so schöne Erfahrungen macht wie mit diesen ganz kleinen Schülern, ist das sehr aufbauend auch für einen selber.
Balzer: Ich frage deswegen nach der Politik, weil Sie ja Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission Kultur in Deutschland sind. Wie stark sind denn Ihre Hoffnungen in die Politik, was das Thema Kultur angeht und Bildung?
Kunze: Ich glaube, dass da noch mehr passieren muss, und ich glaube, dass ich, wenn diese Kommission im Herbst dieses Jahres die Arbeit einstellt, auch nicht aufhören werde, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen, und ich denke, ich werde mich weiter dafür engagieren, dass Bildung wieder hineingetragen wird in die Schulen, gerade eben musische und geisteswissenschaftliche, literarische Aspekte nicht zu kurz kommen dürfen im Unterricht, das interessiert mich halt, ich habe nun mal diesen Beruf Lehrer gelernt, insofern ist das vielleicht ganz naheliegend, dass mich das interessiert. Wenn man sich schon sozial engagiert als Musiker, finde ich es passend, wenn man Dinge tut, zu denen man auch einen wirklichen Bezug hat. Also, ich bin zwar auch manchmal für die Welthungerhilfe tätig, aber auf dem Afrikazug sitzen schon so viele musikalische Kollegen, vielleicht sollte ich mich eher primär um Dinge kümmern, mit denen ich auch inhaltlich eher verbunden bin, und das ist so eine Sache.
Balzer: Eine andere wäre ja, dass Sie sich ja schon seit einigen Jahren für mehr Deutsch in den deutschen Medien aussprechen. Sie haben sich auch mal für eine Deutschquote im Radio ausgesprochen, und Deutsch ist ja nun mal auch Ihre Sprache als Künstler. Wie klingt eigentlich – um wieder auf den Abend zurückzukommen in Hannover von "Was ihr wollt" nach Shakespeare – wie klingt eigentlich Shakespeare auf Deutsch in Ihren Ohren?
Kunze: Also, ich habe mich nicht für die Quote ausgesprochen, ich wurde als Klassensprecher von 800 Kollegen in die erste Reihe geschubst und musste das verkünden wie ein menschliches Megaphon, ich habe das mit großen Bauchschmerzen und großen Bedenken getan und habe die Kollegen auch davor gewarnt, eine so unmögliche Forderung zu erheben, weil das in Deutschland überhaupt niemals durchsetzbar ist, erster Teil der Frage. Zweiter Teil der Frage: Shakespeare auf Deutsch klingt wunderbar und rockt wie Bulle.
Balzer: Rockt wie Bulle – was kann man sich darunter vorstellen?
Kunze: Es ist durchaus möglich, Shakespeare ins Deutsche zu holen, es war ja auch lange Zeit eine so verkrampfte Frage in Deutschland, kann man etwas Rockmusikartiges mit der deutschen Sprache verbinden? Klar kann man, es geht. Natürlich klingt die deutsche Sprache anders als die englische, aber es ist durchaus möglich, man muss sich ein bisschen Mühe geben und ja, man wird halt verstanden von den Leuten und muss sich dann auch ein bisschen daran messen lassen, aber es haut hin.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze, in wenigen Stunden ist die Premiere in den Herrenhäuser Gärten, "Was ihr wollt", ein Musical nach Shakespeare. Das Wetter ist ja, sagen wir mal, ziemlich mittelmäßig, oder durchwachsen vielleicht, um es mal so auszudrücken. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es heute Abend stattfinden wird?
Kunze: Ja, wir schauen immer ganz gebannt auf die Wettervorhersagen im Computer und hoffen natürlich das Beste. Das Publikum in Herrenhausen ist relativ abgehärtet, wir haben ja nun vier Jahre "Sommernachtstraum" hinter uns, da sind nur relativ wenige Vorstellungen pro Jahr ausgefallen, und die Leute wissen, dass man sich in unseren Breiten nicht unbedingt auf Sonnenschein verlassen kann, und wenn es nicht aus Eimern schüttet, wird gespielt. Wenn es allerdings aus Eimern schüttet, sind wir aufgeschmissen, dann geht es nicht, denn aus Denkmalschutzgründen dürfen wir weder das Publikum noch die Schauspieler überdachen, und dann sind wir halt geliefert. Also, möge der liebe Gott ein Einsehen haben.
Balzer: Ich wünsche Ihnen viel Erfolg heute Abend und viel Glück mit dem Wetter.
Kunze: Dankeschön.
Balzer: Heinz-Rudolf Kunze, Autor eines Musicals nach Shakespeares "Was ihr wollt", heute Abend ist also Premiere, und bis Ende August wird dann mit wenigen Unterbrechungen fast täglich gespielt, 20 Uhr in den Herrenhäuser Gärten, genauer genommen im Gartentheater des großen Gartens.