Shakespeare beim Betriebsfest
Weißgewandete und geschminkte Mimen mit Ölfässern und Riesenglühbirnen in der Werkshalle einer Baufirma, Schiller im Foyer einer Fondsgesellschaft, Open-Air-Aufführungen im Park des IG-Farben-Campus. 30 Prozent ihrer Einnahmen erwirtschaftet das freie Theater „Dramatische Bühne Frankfurt“ mit seinen zwölf festen Schauspielern inzwischen mit „Business Theater“. Die städtischen Kulturförderer in Frankfurt a Main loben das Engagement, hoffen aber auch, das die „Dramatische Bühne“ nicht zur „Showtruppe“ wird.
Ausschnitt aus Inszenierung der Dramatischen Bühne: „Seht, oh Publikum, die Geschichte von Danton und Robespierre und wie Tod am End die beiden gar verzehrt. Wie das Volke sein Haupt dereinst erhob und wider die Mächtigen zu Felde zog und wie Revolution dann ihre eigenen Kinder fraß und das Volk dann seine Träume ganz leis vergaß…“
„Dantons Tod“ nach Georg Büchner – gespielt von der Dramatischen Bühne Frankfurt am Main. Spielort ist ein autonomes Kulturzentrum in der Leipziger Straße – mitten im Frankfurter Szene-Viertel Bockenheim. Ein graffiti-verzierter Eingang neben Dönerbuden und In-Cafes. Im Theatersaal, in der so genannten „Exzess-Halle“, sitzen viele mit Bierflaschen in der Hand. Die Dramatische Bühne bietet eine legere, etwas trashige Atmosphäre:
„Das ist natürlich toll, wenn man die jungen Leute erreichen will und das klappt auch sehr gut, wer würden auch gerne auch die Älteren zusätzlich noch erreichen und das gelingt uns im Laufe der Zeit immer besser und hoffen, dass das auch so weiter geht.“
Torsten Morawietz gehört zu denen, die vor beinahe zwanzig Jahren das alternative Theater gegründet haben. Ein Weg, wie die Bühne inzwischen ein ganz neues Publikum als in Bockenheim erreicht, ist das so genannte „Business-Theater“.
Knapp ein Drittel ihrer Einnahmen erwirtschaftet das zwölfköpfige feste Ensemble mittlerweile mit Theaterevents, die im Auftrag von Wirtschaftsunternehmen stattfinden. Zum Beispiel für einen der weltweit größten Anbieter von Kreuzfahrten, die Firma NCL, für die Eva Marx arbeitet:
„Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie wir den ersten Kontakt mit der Dramatischen Bühne aufgenommen haben. Es war einfach so, dass wir unseren Reisebüropartnern auf innovative Weise jedes Jahr unser neues Programm präsentieren möchten, unser neues Kreuzfahrt-Programm. Und da lag es einfach nahe, einfach mal was anderes zu machen, was nicht jeder Reiseveranstalter macht und da sind wir auf die dramatische Bühne gekommen.“
Bereits zweimal hat die Dramatische Bühne für das Unternehmen in verschiedenen europäischen Städten abendfüllende Programme inszeniert. Torsten Morawietz, der in Büchners Stück den verzweifelten Danton spielt und für das freie Theater auch als Regisseur und Texter arbeitet, verleugnet den kommerziellen Charakter des Business-Theaters nicht:
„Ich meine, das ist kein Brechtscher Aufruf zum Klassenkampf, den wir dann da machen, in diesem Augenblick, das wäre dann sicherlich auch der verkehrte Rahmen.
Es ist natürlich auch ein finanzieller Aspekt dabei, dass wir eben versuchen müssen, den Verlust, den wir mit dem Theater so übers Jahr machen, durch andere Aktivitäten, durch Gastspiele, durch Business-Theater (…) und durch andere Auftragsinszenierungen wieder auszugleichen. Was andere Theater durch Subventionen ausgleichen können, müssen wir eben durch solche Aktivitäten ausgleichen.“
Ortswechsel – 30 Kilometer südlich von Frankfurt am Main, ein altes Industriegelände in der Nähe des Hauptbahnhofes Darmstadt. Auf dem weitläufigen Gelände hat das Kindertheater „Die Stromer“ Büro und Probebühne eingerichtet. Thomas Best, einer der Schauspieler des Ensembles, öffnet die Tür zu einer früheren Fabrikhalle:
„Hier, das ist ne Lagerhalle, die ist 130 Quadratmeter groß. Wir haben hier auch ziemlich viel Geld rein gesteckt, das sah hier übel aus, da war wirklich dicke Schmiere, Öl und Fett auf dem Boden, wir haben uns aber geleistet, hier den Boden abzuschleifen, das ist rein alter Dielenboden, da haben wir ziemlich viel Arbeit rein gesteckt, um das Ganze hier so ein bisschen angenehm zu gestalten von der Atmosphäre hier. Haben einen Teil abgegrenzt über Vorhänge als Proberaum und in dem anderen Teil sind unsere Bühnenbilder und die Technik untergebracht.“
Thomas Best ist stolz auf die Räume in dem alten Darmstädter Industrieareal. Doch obwohl auf dem Gelände noch eine größere Maschinenbaufirma produziert, ist es den Darmstädter Theatermachern bisher noch nicht gelungen, sie für die Idee des „Business-Theaters“ oder als Sponsor zu gewinnen:
„Ich komme mir hier manchmal noch eher wie ein Fremdkörper vor, wobei es noch andere Künstler gibt, Tonstudios gibt, hier auch auf dem Gelände. Aber das ist wie immer: Der Kontakt zu den Firmen, ja, zu dem produzierenden Gewerbe ist doch erstmal auch schwierig, da ist ne Barriere einfach da.“
Eine Barriere, die die Dramatische Bühne in Frankfurt am Main bereits überwunden hat: Bauunternehmen und ein Autohersteller gehören zu den Firmen, in deren Werkshallen die Frankfurter auftreten. Thomas Best blickt mit Bewunderung auf den Geschäftssinn der Theater-Kollegen aus der Nachbarstadt:
„Es wäre ein Traum! Ich kann das nur begrüßen, wenn wir da hinkommen würden. Ich habe gerade gestern Sponsoring-Briefe weggeschickt, in der Hoffnung, dass wir für unser neues Programmheft, das wir jetzt machen, das es da einige Anzeigen beziehungsweise Logos gibt, die das ein Stück mitfinanzieren, aber das ist eher düster noch. Und da haben wir sicher das Problem, wie tun wir das auch.“
An witzigen Vermarktungsideen mangelt es dem Darmstädter Kindertheater eigentlich nicht: Untermalt von Sprechgesang bieten „Die Stromer“ auf ihrer Homepage vor allem Postkarten, Bücher oder T-Shirts zu den Theaterstücken an. Ein Nebengeschäft, das viele freie Theatergruppen inzwischen gut ausgebaut haben. Doch eigene Auftragsinszenierungen für die Industrie zu machen- da tun sich viele Alternativtheater bisher schwer. Thomas Best erklärt das so:
„Hah, ja, das hat sicherlich zum einen damit was zu tun, wo die freien Gruppen herkommen, wie man sich sozusagen auch ein Stück weit entwickelt hat, abgegrenzt hat, von dem herkömmlichen Theater, wie man zum Theater gekommen ist und ja. Und jetzt (…) die Firma XY – ob groß oder klein sozusagen, dass man für die etwas präsentiert und darstellt, das ist sicherlich ein Entwicklungsprozess, wo ich für uns sagen kann: Wir sind heute gerne bereit, für irgendwelche Firmen aufzutreten und das zu tun, denn letzten Endes suchen wir die Orte, wo wir auch unser Geld verdienen können, um überleben zu können.“
Vorhang auf fürs Big Business – während also das Darmstädter Kindertheater der Frankfurter Dramatischen Bühne gerne nacheifern würde, hat sich ein anderes bekanntes freies Theater in Hessen für einen betont industriefernen Weg entschieden: Das Wiener Masken- und Musiktheater. Das seit mehr als zwanzig Jahren bestehende Ensemble hat seine Heimat nicht in Wien, wie der Name vermuten lässt, sondern in der hessischen Kleinstadt Schlüchtern. Hier werden auf einem alten Gutshof auch die großen Masken gebaut, mit denen das Theater bundesweit zum Beispiel auf Barockfesten auftritt. Auch das Wiener Masken- und Musiktheater spürt deutlich, dass Städte und Gemeinden auch im vergleichsweise wohlhabenden Hessen in den letzten Jahren immer weniger Geld für Auftritte freier Theatergruppen ausgegeben. Angelika Grossmann-Kippenberg bildet mit ihrem Mann Thomas den Kern des Ensembles:
„Es ist einfach weniger Geld für Kultur da, das ist einfach effektiv so.“
„Es gibt ja so eine Kleinkunstkrise, für die ganzen Theaterleute, aber bei uns geht es eigentlich besser als früher. Wir haben eine gute Nische gefunden.“
Die Nische ist die Verbindung von Maskentheater und Musik – die Kippenbergs sind beide ausgebildete Orchestermusiker. So können sie Flauten beim Theater durch Engagements in Orchestern ausgleichen. Business-Theater lehnt Angelika Grossmann-Kippenberg grundsätzlich ab. Der Grund: Beim Business-Theater fehlt ihr die Konzentration des Publikums:
„Nein, da ist man eine Sahnehaube oben drauf auf einem Törtchen, das ist mir einfach zu wenig. Das ist einfach Konsum. Die sitzen da mit ihrem Bizet und das und das… Und dann macht man das auch noch. Dadurch, das wir beide klassische Musiker sind- ich möchte einen Raum, ich möchte das Publikum, ich möchte Stille. Und Bereitschaft, gut zuzuhören, Und das ist bei so Business-Sachen in der Regel Entertainment, mag ich nicht.“
Entertainment – das ist es tatsächlich, was die Firmen wollen, die Business-Theater bestellen. Eva Marx beschreibt, was ihre Kreuzfahrten-Firma zuletzt mit der Dramatischen Bühne Frankfurt am Main den europäischen Reisebüro-Mitarbeitern geboten hat:
„Und zwar ist das eine Show, wo es darum geht, warum Männer nicht zuhören und Frauen immer Schuhe kaufen. Das ist ein Theaterstück, was von Ether Schweins konzipiert wurde.
Wir würden niemals gesellschaftskritische Themen ganz ernsthaft behandeln, in so einer Veranstaltung. Es war wirklich eine Parodie auf die Eigenarten von Mann und Frau.“
Ausschnitt aus „Dantons Tod“
Erzählerin: „Eine edle Dame hörte das Geschrei und dachte sich dabei.“
Dame: „Mon dieu, was klagen die da, welche Not.“
Bürger: „Madame, sie schreien nach Brot.“
Dame. „Pardon, das ist vermessen, mögen sie doch Kuchen essen!"“
Soll man sich, um Kuchen zu essen, dem Kapital andienen? Diese Frage wird in der freien Theaterszene Hessens kontrovers diskutiert.
Unbestreitbar ist aber: Das Business-Theater sichert der Dramatischen Bühne in Frankfurt-Bockenheim das Überleben. Überdies fordert es dazu heraus, vor einem ganz anderen Publikum bestehen zu müssen, als es im theaterroutinierten Jung-Akademiker-Milieu der Main-Metropole üblich ist. Angst, durch das Business-Theater den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren, hat Torsten Morawietz jedenfalls nicht:
„"Ich würde den Kontakt zur Wirklichkeit manchmal gerne mehr verlieren und so die normalen Arbeiter, Studenten, die haben wir ja sowieso in unserem täglichen Betrieb und der macht ja nach wie vor 99 Prozent unseres normalen Spielbetriebes aus.“
In der Pause von „Dantons Tod“ trinkt Besucher Waldemar Häuser in der Exzesshalle in Frankfurt-Bockenheim sein Bier aus der Flasche. Auch der Prgrammierer hat keine Angst, dass die Dramatische Bühne Frankfurt am Main wegen des Business-Theaters zur „Showtruppe“ wird. Das Repertoire der Bühne im Studentenviertel besticht für ihn durch Vielfalt:
„Da gibt es sehr viele Stücke der unterschiedlichsten Art, eigentlich immer sehr toll gespielt, ist für jeden Geschmack was dabei, man kann sich das Jahr über immer mal wieder ein Stück anschauen, es ist so große Auswahl dabei. (…) Das ist schon eine ganz tolle Leistung, die die bringen, wenn man bedenkt, zwei Monate lang wechselnde Stücke da anzubieten, das ist schon eine gewaltige Leistung.“
Die Sorge, freie Theatergruppen könnten durch das Business-Theater den Tugendpfad der seriösen Bühnenkunst verlassen, hatten vor allem kommunale Kulturförderer geäußert. Torsten Morawietz von der Dramatischen Bühne macht das sauer:
„Ja, das ist immer ein schöner Vorwurf, den man sich leisten kann, wenn man ihn sich leisten kann. Wir müssen halt einfach ums Überleben kämpfen und jeder verregnete Sommer und jede Mehrwertsteuer-Erhöhung haut bei uns rein und diesen künstlerischen Anspruch, den wir in unseren normalen Stücken haben, können wir und eben auch nur dadurch überhaupt erarbeiten, das wir so was machen. Und ich beneide die Leute, die so was sagen und habe da auch einen Riesenzorn drauf. (…) Ich wäre froh, wenn ich mir diese Attitüde auch leisten könnte.“
So umstritten das Business-Theater in der Kultur-Szene am Main auch ist: Keine Frage ist für die freien Theatermacher in Hessen, wer für die Selbstkommerzialisierung einiger Bühnen verantwortlich ist – die öffentlichen Quellen der Kulturförderung nämlich, die immer spärlicher sprudeln. Mehr und mehr werden die Theater deshalb gezwungen, mit ihren Gagen-Forderungen herunterzugehen. Doch irgendwann ist auch dabei eine Grenze erreicht, so Angelika Grossmann-Kippenberg und Thomas Best:
„Wir wurden auch schon gefragt: Was kostet eine halbe Stunde bei ihnen? Solche Fragen kriegt man. Wo wir dann sagen: Wissen sie, was an dieser halben Stunde hängt? 20 Jahre Arbeit, viele Wochen proben, Regisseure, die Dinge bauen. Überhaupt: Musiker zu sein, das fängt man ja als Kind schon an. Das wir dieses Niveau bringen kann. Und dann wird man gefragt, das kostet ne halbe Stunde? Und wenn man dann sagt: Soundso viel… ‚So??’ Das ist verrückt. Das Bewusstsein ist gar nicht da, was hinter der halben Stunde steckt.“
„Wir sind ja nicht nur Schauspieler (…) so werden wir draußen gesehen, wir müssen das Theater managen, wir sind die Bühnenarbeiter, die Techniker, wir sind die Maskenbildner. Als Freie hat man die große Freiheit, in ganz viele Einzelbereiche reinzuschnuppern, es ist alles andere als langweilig, aber natürlich gibt es immer wieder Sachen, mit denen ist man einfach ein Stück überfordert. Man kann leider nicht alles können, über Buchführung, übers Management, das ist schwierig.“
Besser als der Ausweg „Business-Theater“ wäre auch für Thomas Best eine bessere öffentliche Förderung der freien Bühnen – zum Beispiel des Kindertheaters:
„Und das Problem ist aber nach wie vor, das jeder drum jammert, wie mit Kindern in dieser Gesellschaft umgegangen wird, was man den Kindern ermöglicht, alle jammern da drum was es für Perspektiven für die gibt. Und wenn man sieht, wie schnell Geld ausgegeben wird, für irgendwelche Museen, für irgendwelche anderen kulturellen Aktivitäten, die der Hochkultur in Anführungszeichen zurechnet werden, und wie schwer sich dann eine Gesellschaft tut oder auch die Politik in dem Fall, relativ geringe Summen an Geld tatsächlich mal versuchsweise auszuschütten, um zu gucken, wie die Produktivität und die Arbeitsbedingungen dadurch verbessert werden können, dann ist es leider traurig…“
Mehr Sorgfalt bei der musischen Erziehung der Kinder – darin sieht auch Angelika Grossmann-Kippenberg vom Wiener Maskentheater den Schlüssel für die Zukunft der hiesigen Theaterlandschaft und eine Alternative zur Selbst-Kommerzialisierung der kreativen Szene:
„Also ich meine, dieser ganze künstlerische Elementarerziehungsbereich, das ist ja ein Vakuum. Da ist ja nichts. Ich meine unsere Kinder haben ja sozusagen die Schule fast schon hinter sich, wenn ich hören muss von einem Lehrer, das Musikunterricht für die Hauptschüler Perlen vor die Säue geschmissen ist, würde mir persönlich gesagt (…) Kunst ist das erste, was gestrichen wird. Gar kein Musikunterricht, oder das zweite Jahr mal Kunstunterricht.“
„Theater ist halt wie überall ein Subventionsbetrieb, wir kriegen leider viel zu wenig Zuschuss von der Stadt und sind deshalb einfach darauf angewiesen, so was zu machen. Aber eben, um unser Theater zu machen, bei einem Eintrittspreis von acht Euro hier in der Halle, müssten wir schon seit Jahren zumachen, wenn wir da nicht Alternativen ausprobieren.“
Ausschnitt aus „Dantons Tod“: „Doch eine Unruhe hatte sich im Volk erhoben (Schritte) Chor: Wir werden von den Mächtigen betrogen. Dieweilen die Reichen sich den Wamst voll fressen, müssen wir hungern und haben nichts zu essen.“
„Dantons Tod“ nach Georg Büchner – gespielt von der Dramatischen Bühne Frankfurt am Main. Spielort ist ein autonomes Kulturzentrum in der Leipziger Straße – mitten im Frankfurter Szene-Viertel Bockenheim. Ein graffiti-verzierter Eingang neben Dönerbuden und In-Cafes. Im Theatersaal, in der so genannten „Exzess-Halle“, sitzen viele mit Bierflaschen in der Hand. Die Dramatische Bühne bietet eine legere, etwas trashige Atmosphäre:
„Das ist natürlich toll, wenn man die jungen Leute erreichen will und das klappt auch sehr gut, wer würden auch gerne auch die Älteren zusätzlich noch erreichen und das gelingt uns im Laufe der Zeit immer besser und hoffen, dass das auch so weiter geht.“
Torsten Morawietz gehört zu denen, die vor beinahe zwanzig Jahren das alternative Theater gegründet haben. Ein Weg, wie die Bühne inzwischen ein ganz neues Publikum als in Bockenheim erreicht, ist das so genannte „Business-Theater“.
Knapp ein Drittel ihrer Einnahmen erwirtschaftet das zwölfköpfige feste Ensemble mittlerweile mit Theaterevents, die im Auftrag von Wirtschaftsunternehmen stattfinden. Zum Beispiel für einen der weltweit größten Anbieter von Kreuzfahrten, die Firma NCL, für die Eva Marx arbeitet:
„Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie wir den ersten Kontakt mit der Dramatischen Bühne aufgenommen haben. Es war einfach so, dass wir unseren Reisebüropartnern auf innovative Weise jedes Jahr unser neues Programm präsentieren möchten, unser neues Kreuzfahrt-Programm. Und da lag es einfach nahe, einfach mal was anderes zu machen, was nicht jeder Reiseveranstalter macht und da sind wir auf die dramatische Bühne gekommen.“
Bereits zweimal hat die Dramatische Bühne für das Unternehmen in verschiedenen europäischen Städten abendfüllende Programme inszeniert. Torsten Morawietz, der in Büchners Stück den verzweifelten Danton spielt und für das freie Theater auch als Regisseur und Texter arbeitet, verleugnet den kommerziellen Charakter des Business-Theaters nicht:
„Ich meine, das ist kein Brechtscher Aufruf zum Klassenkampf, den wir dann da machen, in diesem Augenblick, das wäre dann sicherlich auch der verkehrte Rahmen.
Es ist natürlich auch ein finanzieller Aspekt dabei, dass wir eben versuchen müssen, den Verlust, den wir mit dem Theater so übers Jahr machen, durch andere Aktivitäten, durch Gastspiele, durch Business-Theater (…) und durch andere Auftragsinszenierungen wieder auszugleichen. Was andere Theater durch Subventionen ausgleichen können, müssen wir eben durch solche Aktivitäten ausgleichen.“
Ortswechsel – 30 Kilometer südlich von Frankfurt am Main, ein altes Industriegelände in der Nähe des Hauptbahnhofes Darmstadt. Auf dem weitläufigen Gelände hat das Kindertheater „Die Stromer“ Büro und Probebühne eingerichtet. Thomas Best, einer der Schauspieler des Ensembles, öffnet die Tür zu einer früheren Fabrikhalle:
„Hier, das ist ne Lagerhalle, die ist 130 Quadratmeter groß. Wir haben hier auch ziemlich viel Geld rein gesteckt, das sah hier übel aus, da war wirklich dicke Schmiere, Öl und Fett auf dem Boden, wir haben uns aber geleistet, hier den Boden abzuschleifen, das ist rein alter Dielenboden, da haben wir ziemlich viel Arbeit rein gesteckt, um das Ganze hier so ein bisschen angenehm zu gestalten von der Atmosphäre hier. Haben einen Teil abgegrenzt über Vorhänge als Proberaum und in dem anderen Teil sind unsere Bühnenbilder und die Technik untergebracht.“
Thomas Best ist stolz auf die Räume in dem alten Darmstädter Industrieareal. Doch obwohl auf dem Gelände noch eine größere Maschinenbaufirma produziert, ist es den Darmstädter Theatermachern bisher noch nicht gelungen, sie für die Idee des „Business-Theaters“ oder als Sponsor zu gewinnen:
„Ich komme mir hier manchmal noch eher wie ein Fremdkörper vor, wobei es noch andere Künstler gibt, Tonstudios gibt, hier auch auf dem Gelände. Aber das ist wie immer: Der Kontakt zu den Firmen, ja, zu dem produzierenden Gewerbe ist doch erstmal auch schwierig, da ist ne Barriere einfach da.“
Eine Barriere, die die Dramatische Bühne in Frankfurt am Main bereits überwunden hat: Bauunternehmen und ein Autohersteller gehören zu den Firmen, in deren Werkshallen die Frankfurter auftreten. Thomas Best blickt mit Bewunderung auf den Geschäftssinn der Theater-Kollegen aus der Nachbarstadt:
„Es wäre ein Traum! Ich kann das nur begrüßen, wenn wir da hinkommen würden. Ich habe gerade gestern Sponsoring-Briefe weggeschickt, in der Hoffnung, dass wir für unser neues Programmheft, das wir jetzt machen, das es da einige Anzeigen beziehungsweise Logos gibt, die das ein Stück mitfinanzieren, aber das ist eher düster noch. Und da haben wir sicher das Problem, wie tun wir das auch.“
An witzigen Vermarktungsideen mangelt es dem Darmstädter Kindertheater eigentlich nicht: Untermalt von Sprechgesang bieten „Die Stromer“ auf ihrer Homepage vor allem Postkarten, Bücher oder T-Shirts zu den Theaterstücken an. Ein Nebengeschäft, das viele freie Theatergruppen inzwischen gut ausgebaut haben. Doch eigene Auftragsinszenierungen für die Industrie zu machen- da tun sich viele Alternativtheater bisher schwer. Thomas Best erklärt das so:
„Hah, ja, das hat sicherlich zum einen damit was zu tun, wo die freien Gruppen herkommen, wie man sich sozusagen auch ein Stück weit entwickelt hat, abgegrenzt hat, von dem herkömmlichen Theater, wie man zum Theater gekommen ist und ja. Und jetzt (…) die Firma XY – ob groß oder klein sozusagen, dass man für die etwas präsentiert und darstellt, das ist sicherlich ein Entwicklungsprozess, wo ich für uns sagen kann: Wir sind heute gerne bereit, für irgendwelche Firmen aufzutreten und das zu tun, denn letzten Endes suchen wir die Orte, wo wir auch unser Geld verdienen können, um überleben zu können.“
Vorhang auf fürs Big Business – während also das Darmstädter Kindertheater der Frankfurter Dramatischen Bühne gerne nacheifern würde, hat sich ein anderes bekanntes freies Theater in Hessen für einen betont industriefernen Weg entschieden: Das Wiener Masken- und Musiktheater. Das seit mehr als zwanzig Jahren bestehende Ensemble hat seine Heimat nicht in Wien, wie der Name vermuten lässt, sondern in der hessischen Kleinstadt Schlüchtern. Hier werden auf einem alten Gutshof auch die großen Masken gebaut, mit denen das Theater bundesweit zum Beispiel auf Barockfesten auftritt. Auch das Wiener Masken- und Musiktheater spürt deutlich, dass Städte und Gemeinden auch im vergleichsweise wohlhabenden Hessen in den letzten Jahren immer weniger Geld für Auftritte freier Theatergruppen ausgegeben. Angelika Grossmann-Kippenberg bildet mit ihrem Mann Thomas den Kern des Ensembles:
„Es ist einfach weniger Geld für Kultur da, das ist einfach effektiv so.“
„Es gibt ja so eine Kleinkunstkrise, für die ganzen Theaterleute, aber bei uns geht es eigentlich besser als früher. Wir haben eine gute Nische gefunden.“
Die Nische ist die Verbindung von Maskentheater und Musik – die Kippenbergs sind beide ausgebildete Orchestermusiker. So können sie Flauten beim Theater durch Engagements in Orchestern ausgleichen. Business-Theater lehnt Angelika Grossmann-Kippenberg grundsätzlich ab. Der Grund: Beim Business-Theater fehlt ihr die Konzentration des Publikums:
„Nein, da ist man eine Sahnehaube oben drauf auf einem Törtchen, das ist mir einfach zu wenig. Das ist einfach Konsum. Die sitzen da mit ihrem Bizet und das und das… Und dann macht man das auch noch. Dadurch, das wir beide klassische Musiker sind- ich möchte einen Raum, ich möchte das Publikum, ich möchte Stille. Und Bereitschaft, gut zuzuhören, Und das ist bei so Business-Sachen in der Regel Entertainment, mag ich nicht.“
Entertainment – das ist es tatsächlich, was die Firmen wollen, die Business-Theater bestellen. Eva Marx beschreibt, was ihre Kreuzfahrten-Firma zuletzt mit der Dramatischen Bühne Frankfurt am Main den europäischen Reisebüro-Mitarbeitern geboten hat:
„Und zwar ist das eine Show, wo es darum geht, warum Männer nicht zuhören und Frauen immer Schuhe kaufen. Das ist ein Theaterstück, was von Ether Schweins konzipiert wurde.
Wir würden niemals gesellschaftskritische Themen ganz ernsthaft behandeln, in so einer Veranstaltung. Es war wirklich eine Parodie auf die Eigenarten von Mann und Frau.“
Ausschnitt aus „Dantons Tod“
Erzählerin: „Eine edle Dame hörte das Geschrei und dachte sich dabei.“
Dame: „Mon dieu, was klagen die da, welche Not.“
Bürger: „Madame, sie schreien nach Brot.“
Dame. „Pardon, das ist vermessen, mögen sie doch Kuchen essen!"“
Soll man sich, um Kuchen zu essen, dem Kapital andienen? Diese Frage wird in der freien Theaterszene Hessens kontrovers diskutiert.
Unbestreitbar ist aber: Das Business-Theater sichert der Dramatischen Bühne in Frankfurt-Bockenheim das Überleben. Überdies fordert es dazu heraus, vor einem ganz anderen Publikum bestehen zu müssen, als es im theaterroutinierten Jung-Akademiker-Milieu der Main-Metropole üblich ist. Angst, durch das Business-Theater den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren, hat Torsten Morawietz jedenfalls nicht:
„"Ich würde den Kontakt zur Wirklichkeit manchmal gerne mehr verlieren und so die normalen Arbeiter, Studenten, die haben wir ja sowieso in unserem täglichen Betrieb und der macht ja nach wie vor 99 Prozent unseres normalen Spielbetriebes aus.“
In der Pause von „Dantons Tod“ trinkt Besucher Waldemar Häuser in der Exzesshalle in Frankfurt-Bockenheim sein Bier aus der Flasche. Auch der Prgrammierer hat keine Angst, dass die Dramatische Bühne Frankfurt am Main wegen des Business-Theaters zur „Showtruppe“ wird. Das Repertoire der Bühne im Studentenviertel besticht für ihn durch Vielfalt:
„Da gibt es sehr viele Stücke der unterschiedlichsten Art, eigentlich immer sehr toll gespielt, ist für jeden Geschmack was dabei, man kann sich das Jahr über immer mal wieder ein Stück anschauen, es ist so große Auswahl dabei. (…) Das ist schon eine ganz tolle Leistung, die die bringen, wenn man bedenkt, zwei Monate lang wechselnde Stücke da anzubieten, das ist schon eine gewaltige Leistung.“
Die Sorge, freie Theatergruppen könnten durch das Business-Theater den Tugendpfad der seriösen Bühnenkunst verlassen, hatten vor allem kommunale Kulturförderer geäußert. Torsten Morawietz von der Dramatischen Bühne macht das sauer:
„Ja, das ist immer ein schöner Vorwurf, den man sich leisten kann, wenn man ihn sich leisten kann. Wir müssen halt einfach ums Überleben kämpfen und jeder verregnete Sommer und jede Mehrwertsteuer-Erhöhung haut bei uns rein und diesen künstlerischen Anspruch, den wir in unseren normalen Stücken haben, können wir und eben auch nur dadurch überhaupt erarbeiten, das wir so was machen. Und ich beneide die Leute, die so was sagen und habe da auch einen Riesenzorn drauf. (…) Ich wäre froh, wenn ich mir diese Attitüde auch leisten könnte.“
So umstritten das Business-Theater in der Kultur-Szene am Main auch ist: Keine Frage ist für die freien Theatermacher in Hessen, wer für die Selbstkommerzialisierung einiger Bühnen verantwortlich ist – die öffentlichen Quellen der Kulturförderung nämlich, die immer spärlicher sprudeln. Mehr und mehr werden die Theater deshalb gezwungen, mit ihren Gagen-Forderungen herunterzugehen. Doch irgendwann ist auch dabei eine Grenze erreicht, so Angelika Grossmann-Kippenberg und Thomas Best:
„Wir wurden auch schon gefragt: Was kostet eine halbe Stunde bei ihnen? Solche Fragen kriegt man. Wo wir dann sagen: Wissen sie, was an dieser halben Stunde hängt? 20 Jahre Arbeit, viele Wochen proben, Regisseure, die Dinge bauen. Überhaupt: Musiker zu sein, das fängt man ja als Kind schon an. Das wir dieses Niveau bringen kann. Und dann wird man gefragt, das kostet ne halbe Stunde? Und wenn man dann sagt: Soundso viel… ‚So??’ Das ist verrückt. Das Bewusstsein ist gar nicht da, was hinter der halben Stunde steckt.“
„Wir sind ja nicht nur Schauspieler (…) so werden wir draußen gesehen, wir müssen das Theater managen, wir sind die Bühnenarbeiter, die Techniker, wir sind die Maskenbildner. Als Freie hat man die große Freiheit, in ganz viele Einzelbereiche reinzuschnuppern, es ist alles andere als langweilig, aber natürlich gibt es immer wieder Sachen, mit denen ist man einfach ein Stück überfordert. Man kann leider nicht alles können, über Buchführung, übers Management, das ist schwierig.“
Besser als der Ausweg „Business-Theater“ wäre auch für Thomas Best eine bessere öffentliche Förderung der freien Bühnen – zum Beispiel des Kindertheaters:
„Und das Problem ist aber nach wie vor, das jeder drum jammert, wie mit Kindern in dieser Gesellschaft umgegangen wird, was man den Kindern ermöglicht, alle jammern da drum was es für Perspektiven für die gibt. Und wenn man sieht, wie schnell Geld ausgegeben wird, für irgendwelche Museen, für irgendwelche anderen kulturellen Aktivitäten, die der Hochkultur in Anführungszeichen zurechnet werden, und wie schwer sich dann eine Gesellschaft tut oder auch die Politik in dem Fall, relativ geringe Summen an Geld tatsächlich mal versuchsweise auszuschütten, um zu gucken, wie die Produktivität und die Arbeitsbedingungen dadurch verbessert werden können, dann ist es leider traurig…“
Mehr Sorgfalt bei der musischen Erziehung der Kinder – darin sieht auch Angelika Grossmann-Kippenberg vom Wiener Maskentheater den Schlüssel für die Zukunft der hiesigen Theaterlandschaft und eine Alternative zur Selbst-Kommerzialisierung der kreativen Szene:
„Also ich meine, dieser ganze künstlerische Elementarerziehungsbereich, das ist ja ein Vakuum. Da ist ja nichts. Ich meine unsere Kinder haben ja sozusagen die Schule fast schon hinter sich, wenn ich hören muss von einem Lehrer, das Musikunterricht für die Hauptschüler Perlen vor die Säue geschmissen ist, würde mir persönlich gesagt (…) Kunst ist das erste, was gestrichen wird. Gar kein Musikunterricht, oder das zweite Jahr mal Kunstunterricht.“
„Theater ist halt wie überall ein Subventionsbetrieb, wir kriegen leider viel zu wenig Zuschuss von der Stadt und sind deshalb einfach darauf angewiesen, so was zu machen. Aber eben, um unser Theater zu machen, bei einem Eintrittspreis von acht Euro hier in der Halle, müssten wir schon seit Jahren zumachen, wenn wir da nicht Alternativen ausprobieren.“
Ausschnitt aus „Dantons Tod“: „Doch eine Unruhe hatte sich im Volk erhoben (Schritte) Chor: Wir werden von den Mächtigen betrogen. Dieweilen die Reichen sich den Wamst voll fressen, müssen wir hungern und haben nichts zu essen.“