Shakespeare auf Buddhistisch

Von Dina Netz · 02.09.2011
Er stürzt sich in einen verbissenen Kampf gegen die eigene Endlichkeit, der nicht zu gewinnen ist: Luk Perceval liest den "Macbeth" in einem buddhistischen Sinne. In Gladbeck gelingt ihm eine konsequente Inszenierung - in einem atemberaubenden Ambiente.
35 reale Minuten und gefühlte Stunden lang steht Bruno Cathomas am Rand der Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck. Dann ruft er "Los geht's" und macht zögernd ein paar Schritte. Dieser Macbeth ist kein rasender Mörder, der seine Gegner entschlossen aus dem Weg räumt. Er ist ein Zweifler, der sich für den Weg zur Macht entschieden hat, der aber weiß, dass er dem Untergang geweiht ist. So oder so.

Und diesen Untergang, der uns alle unausweichlich erwartet, und überhaupt das ganze Leben in seiner Rätselhaftigkeit sollen wir einfach hinnehmen und nicht immer nach einem tieferen Sinn suchen. So liest der Regisseur Luk Perceval Shakespeare und speziell "Macbeth" - doch Macbeth kann sich nicht fügen, er stürzt sich in einen verbissenen Kampf gegen die eigene Endlichkeit, der natürlich nicht zu gewinnen ist. Perceval liest "Macbeth" damit auch in einem buddhistischen Sinne, wie sich das Ruhrtriennale-Intendant Willy Decker für die diesjährige Ausgabe seines Festivals gewünscht hat.

Macbeth weiß, dass er nicht gewinnen kann, und trotzdem kann er nicht anders, als zu kämpfen. Bruno Cathomas' Schlachtruf ist entsprechend halbherzig, und um Schlachten geht es in diesem "Macbeth" auch gar nicht – es fließt kein Blut, nur Rotwein, und den Mord an Duncan symbolisiert Cathomas, indem er seine Anzugjacke hektisch schüttelt. Die Kämpfe finden im Inneren der Figuren statt, die meist weit voneinander entfernt in der riesigen Halle stehen, sich nur manchmal erreichen und ganz wenig sprechen. Das Eigentliche geschieht in den vielen Pausen, wenn sie die Leere und Stille vergeblich mit Sinn anzufüllen versuchen.

Die Aufführung ist noch in einem weiteren Punkt ganz der Konzeption der Ruhrtriennale gemäß, indem Luk Perceval sich nämlich vom Raum zu seiner Inszenierung hat inspirieren lassen – und wie er und seine Bühnenbildnerin Annette Kurz die Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck genutzt haben, ist wirklich atemberaubend: 100 Holztische sind kreuz und quer gestapelt, am Boden liegen 1000 Schuhe verstreut, leere Gläser und Weinflaschen stehen herum, die Schauspieler tragen schwarze Anzüge und Partykleider. Die Party ist vorbei, und es hat zahllose Opfer gegeben. Draußen geht langsam die Sonne unter, wie ja auch das Stück immer düsterer wird. Am Schluss stellt Banquos Sohn die Ordnung teilweise wieder her, indem er die Schuhe zu Paaren gruppiert. Aber lange bevor er fertig ist, sinkt er erschöpft auf einen Tisch.

In den Fenstern räkeln sich Tänzerinnen, die die Hexen darstellen und sich im Laufe der zweistündigen Aufführung immer weiter ins Zentrum räkeln – so wie Macbeth von seinen Mordfantasien und den Geistern seiner Opfer immer mehr bedrängt wird. Maja Schöne als Lady Macbeth wirkt anfangs wie eine von ihnen, wenn sie Macbeth immer wieder antreibt, weiterzumachen mit dem Morden, um den Königsthron zu erlangen. Doch auch sie erkennt die Sinnlosigkeit ihrer Tuns immer deutlicher. Ihren Schlussmonolog weint sie in einer Fensternische kauernd. Eine karge und ungeheuer konsequente "Macbeth"-Inszenierung, die vor allem durch ihre starken Bilder wirkt. Und weil wenig gesprochen, aber viel gesagt wird.