Sexuelle Belästigung

MeToo? YouToo, Deutschland!

Frau wehrt einen Mann mit einer Handbewegung ab.
"Was die Empörung von 2015 mit dem Schweigen von 2017 verbindet, ist die Betrachtung des weiblichen Körpers als (männliches) Volkseigentum", so Ofer Waldman. © imago stock&people
Von Ofer Waldman · 09.01.2018
Die MeToo-Debatte wird in vielen Teilen der Welt geführt. Im Vergleich zu anderen Ländern ist es in Deutschland aber relativ ruhig – verdächtig ruhig, findet der Publizist Ofer Waldman.
Seit Silvester 2015 scheint das Jahresende eine besonders geeignete Zeit, um über sexuelle Übergriffe zu sprechen. Jene Nacht hat sich durch die Bilder vom Bahnhofsplatz in Köln ins deutsche Kollektivgedächtnis eingebrannt. Hunderte deutsche Frauen wurden damals durch Männergruppen belästigt. Auch von Vergewaltigungsfällen wurde berichtet. Die Täter waren meist, um den polizeilichen Begriff zu verwenden, sogenannte "Nafris": nordafrikanische Intensivtäter, zu denen sich Geflüchtete aus dem sonstigen arabischen Raum gesellten. Auch in anderen Städten wurden ähnliche Übergriffe ausländischer Männer auf deutsche Frauen gemeldet. Die bundesweite Empörung war groß.
Dunkle Massen, fremde Hände, rechtsfreie Zonen.

"MeToo" ist Person des Jahres

Auch das Jahresende 2017 ist von einer Diskussion über sexuelle Belästigung begleitet: Unter dem Hashtag "MeToo" berichten Frauen weltweit von sexuellen Übergriffen. In den USA fegte eine Welle der Empörung mächtige Männer aus ihren Ämtern. Was zuerst in Hollywood, mit Filmproduzenten Harvey Weinstein ansetzte, schwappte auf Kultur und die Politik über. In Frankreich gingen Tausende auf die Straßen aus Protest gegen sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch. In arabischen Ländern quellen die sozialen Netzwerke von Berichten über die Alltäglichkeit sexueller Gewalt über. Das "Time" Magazine kürte die Metoo-Bewegung zur Person des Jahres 2017.
Und in Deutschland? Da ist es – abgesehen von einzelnen Meldungen – noch recht ruhig. "MeToo ändert in Deutschland kaum etwas," schrieb die Frankfurter Rundschau. "In Deutschland ist es still um die MeToo-Debatte", berichtet der Spiegel.

Sexuelle Belästigung in Deutschland?

Wird in Deutschland etwa nicht sexuell belästigt? Wohl kaum. Dabei handelt es sich selten um Männer, die ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben. Sie würden niemals eine Flasche Wasser stehlen, um ihren Durst zu löschen. Es muss ja nicht immer zum Äußersten kommen. Es reicht doch schon, abfällige Bemerkungen über Frauen zu machen, sexuelle Gesten zum Besten zu geben, die manch ein Mann vielleicht sogar als Kompliment begreift. Frauen werden sexuell belästigt, wo Männer an eine angeblich natürliche Hierarchie zwischen Mann und Frau glauben. Wer denkt, sowas gäbe es in Deutschland nicht, hat wohl die Debatten über die Herdprämie und die Frauenquote in Führungspositionen verpasst, überhört – oder einfach nicht begriffen.
Die Stille um die MeToo-Debatte, verglichen mit der Empörung über die Kölner Silvesternacht 2015, ist ohrenbetäubend. Der AfD-Mann Björn Höcke schrieb damals, "die Silvesternacht hat unserem Land einen Vorgeschmack auf den drohenden Kultur- und Zivilisationszerfall gegeben." Solche Stimmen, die vormaligen Ritter der Frauenrechte, verstummen gänzlich angesichts der MeToo-Debatte. Mit dem Zivilisationszerfall war wohl der Verlust des Monopols gemeint, wonach nur deutsche Männer deutsche Frauen belästigen dürfen.
Was die Empörung von 2015 mit dem Schweigen von 2017 verbindet, ist die Betrachtung des weiblichen Körpers als (männliches) Volkseigentum. Ob in der angeblichen Hierarchie zwischen Mann und Frau oder zwischen Deutschen und Ausländern: Ordnung muss sein! Der deutsche Mann muss ganz oben bleiben!
Alles andere würde, Gott bewahre, suggerieren, dass Du, der freundliche deutsche Mitarbeiter, der in der hellen, vertrauten Umgebung auf der letzten Betriebsweihnachtsfeier seine Kollegin ungefragt etwas zu lang und zu fest umarmt hast, genauso bist wie der gesichtslose Nafri vor dem dunklen Kölner Bahnhof.
MeToo? YouToo, Deutschland.

Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland spielte er als Hornist unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Neben einem Engagement an der Israelischen Oper absolvierte er ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem und promoviert im Fach deutsche Literaturgeschichte.

Der Publizist und Musiker Ofer Waldmann
© Kai von Kotze
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