Sexualstrafrecht

Das neue Gesetz ist "Unsinn"

Eine Demo in Berlin, in der Mitte hält eine junge Frau ein Schild mit der Aufschrift "Nein heißt Nein" hoch.
"Nein heißt Nein": Demonstrantinnen in Berlin fordern eine Änderung des Sexualstrafrechts © Imago/ Christian Mang
Monika Frommel im Gespräch mit Dieter Kassel |
Der Bundestag will ein neues Sexualstrafrecht verabschieden. Die Strafrechtlerin Monika Frommel hält das schlicht für Unsinn und kritisiert den Justizminister: Die geplante Neuregelung bei Gruppentaten sei sogar verfassungswidrig. Auch für Grabscher werde das neue Gesetz keine Verschärfung bedeuten.
Das neue Sexualstrafrecht, das der Bundestag heute verabschieden will, wird nach Auffassung der Strafrechtlerin Monika Frommel zu keiner Verbesserung der Verhältnisse führen.
Eine der Neuregelungen sei aus ihrer Sicht sogar "offenkundig verfassungswidrig", betonte Frommel, die emeritierte Professorin der Universität Kiel ist, im Deutschlandradio Kultur. Dies sei etwa die Regelung, dass im Fall einer Vergewaltigung bei sogenannten Gruppenstraftaten auch jene bestraft werden könnten, die zwar Teil der Gruppe seien, jedoch selbst nicht an der Tat beteiligt gewesen seien.

Keine Strafen, sondern Ermittlungsparagrafen

Es sei zu erwarten, dass auch Grünen-Politiker dem nicht zustimmten. In diesem Zusammenhang kritisierte Frommel den Bundesjustizminister: "Heiko Maas ist ein Justizminister, der höchst unbestimmtes Strafrecht liebt: Der Sache nach soll das gar nicht in eine Strafe münden, sondern er schafft Ermittlungsparagrafen. Wir kennen das aus der RAF-Zeit." In unserer Zeit sei das nicht mehr sinnvoll. Zudem seien auch mit einem neuen Gesetz weiterhin "Opportunitätseinstellungen" möglich: Dies bedeute, dass Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt werden könnten - etwa bei Grabschern, die von belästigten Frauen angezeigt wurden.
Ein neues Gesetz aufzulegen sei "Unsinn" – statt dessen hätte es vollkommen genügt, die Istanbuler Konvention – ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – endlich zu ratifizieren, sagte Frommel. Die Konvention lege nämlich fest, dass es bei einer Bestrafung auf den entgegengesetzten Wille ankomme, nicht auf die Intensität der Gewalt.
"Ich bin mir sicher, dass dies gereicht hätte. Denn wir leben in einer Kultur, in der 'Nein heißt Nein' eigentlich selbstverständlich ist."
Die Reform des Vergewaltigungsparagrafen, 1997, habe bereits viel bewirkt. Und in den zurückliegenden zehn Jahren sei die Zahl der Sexualstraftaten fast um die Hälfte zurückgegangen. Vor allem junge Männer hätten offenbar gelernt, "dass Frauen kein Selbstbedienungsladen sind. Und ich denke auch Flüchtlinge werden das lernen", sagte Frommel in Anspielung auf die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat das neue Sexualstrafrecht, das der Bundestag heute voraussichtlich verabschieden wird, als "historischen Schritt" bezeichnet. In dem Interview, in dem sie das sagt, sagt sie aber auch, dass die Grünen den neuen Gesetzen trotzdem nicht zustimmen werden, weil Einzelheiten daran nun wiederum sehr störend für diese Partei sind. Das zeigt schon, wie kompliziert es ist mit diesem neuen Gesetz, das ja bekannt geworden ist durch die Schlagzeile "Nein heißt dann endlich nein". Selbst das bezweifeln Kritiker allerdings, und zu diesen Kritikern gehört auch Professor Monika Frommel, Juristin und bis 2011 Direktorin des Instituts für Sanktionen, Recht und Kriminologie Kiel. Schönen guten Morgen, Professor Frommel!
Monika Frommel: Guten Morgen!
Kassel: Was ist denn dagegen zu sagen, wenn die Bundesregierung ein Gesetz präzisieren und die Möglichkeiten von Frauen, sich juristisch gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, verbessern will?
Frommel: Da ist gar nichts dagegen zu sagen. Allerdings, der historische Schritt, der war 1997, da haben nämlich alle weiblichen Bundestagsabgeordnete einer großen Reform des Vergewaltigungsparagraphen zugestimmt. Leutheusser-Schnarrenbergers große Stunde war das. Und dieses Gesetz ist auch ziemlich erfolgreich. Zunächst stiegen die Anzeigen, was an und für sich gut ist, weil damals, vor über 20 Jahren, hatten Frauen noch Angst, eine solche Anzeige zu starten. Dann beruhigte sich etwa 2004 dieses gestiegene Anzeigenniveau, und wir haben in den letzten zehn Jahren einen Rückgang insgesamt der Sexualstraftaten fast um die Hälfte. Das betrifft junge erwachsene Männer, die haben offenbar gelernt, dass man nicht einfach zugreifen kann, dass Frauen kein Selbstbedienungsladen sind, und benehmen sich besser. Und ich denke, auch Flüchtlinge werden das lernen, die es noch nicht können.
Kassel: Nun geht es in diesem Gesetz aber ja nicht nur um Vergewaltigung. Es wird zum ersten Mal, so stellt es die Bundesregierung zumindest da, auch das sogenannte Grapschen, also unerwünschte intime Berührungen unter Strafe gestellt. Ist nicht zumindest das ein Fortschritt.
Frommel: Auch das ist kein Fortschritt, denn die Tänzer von Köln haben ja nicht einfach gelegentlich mal eine Frau berührt, sondern sie haben sie bedrängt als Gruppe, und dann hat einer, jedenfalls wird das berichtet, zugegriffen. Das wäre eine gemeinschaftliche Vergewaltigung, Mindeststrafe, kann reduziert werden, also war schon immer im Fokus der Reformerinnen.

Grabscher können mit einer Geldstrafe davonkommen

Kassel: Nun gibt es aber einige spektakuläre Fälle oder hat es gegeben, zum Beispiel den eines Gastwirts aus Süddeutschland, der eine Mitarbeiterin gegen ihren Wunsch geküsst hat und an verschiedenen Stellen berührt. Der ist dann vom ersten Gericht, an das sich diese Frau wandte, auch tatsächlich verurteilt worden, und die nächste Instanz hat dieses Urteil damals aufgehoben mit der Begründung, das sei ja nicht ehrenrührig gewesen. Ich würde vermuten, dass das zumindest jetzt bei dem neuen Gesetz dann anders laufen würde.
Frommel: Das wird eher nicht anders laufen. Nach der neuen Gesetzeslage wird ein derartig unwilliges Gericht – das gibt es immer mal wieder, Menschen sind Menschen –, wird das nach, das nennt man dann 153 a Strafprozessordnung ,eine Opportunitätseinstellung wählen. Also diesem grapschigen Gastwirt eine Geldbuße anbieten, die der dann vermutlich bezahlen wird, und das Verfahren einstellen. Das heißt, wer sich aufregen will, kann sich immer aufregen, denn es wird immer die eine oder andere Staatsanwaltschaft, das eine oder andere Gericht geben, die unangemessen reagieren.
Kassel: Gut, Frau Frommel, jetzt mein für heute Morgen letzter Versuch, Sie zu überzeugen. Es gibt ja noch einen weiteren Teil dieses Gesetzespakets. Sexuelle Übergriffe aus der Gruppe heraus sollen stärker bestraft werden. So wie ich es verstehe, würde man dann auch bestraft werden können, wenn man nur Teil dieser Gruppe ist, aber konkret nichts gemacht hat. Ich frage das wörtlich gleich nach, und es gibt die gleiche Antwort. Ist das ein Fortschritt?
Frommel: Das ist offenkundig verfassungswidrig. Zumindest hoffe ich, dass es für verfassungswidrig erklärt wird. Das ist wahrscheinlich der Punkt, wo auch Grüne sagen, nein, da stimmen wir nicht mehr zu.
Kassel: So ist es.
Frommel: Der Heiko Maas ist ein Justizminister, der liebt höchst unbestimmtes Strafrecht. Der Sache nach soll das gar nicht in eine Strafe münden, sondern er schafft Ermittlungsparagrafen. Wir kennen das aus der RAF-Zeit. 129 a damals war auch ein Ermittlungsparagraf, es wurde niemand – Sympathisanten nicht, sie wurden nicht bestraft, aber man konnte sozusagen Computer angucken, Daten beschlagnahmen, Dinge beschlagnahmen. Das heißt, das ist ein Ermittlungsparagraf, damit kann man besser durchleuchten, und dann weiß man mehr. Das ist es, anrüchig und eigentlich in unserer Zeit nicht mehr sinnvoll.
Kassel: Nach dem, was ich jetzt von Ihnen gehört habe, Frau Frommel, habe ich den Eindruck, Sie sind der Meinung, wir brauchen gar kein neues Sexualstrafrecht.

Die Istanbuler Konvention wartet auf Ratifizierung

Frommel: Nein, wir brauchen kein neues. Wir brauchen eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention. Die Istanbul-Konvention 2010, 2014, am ersten August in Kraft getreten, müsste schon jetzt als Auslegungsregel gelten. Leider hat die Bundesregierung sie noch nicht ratifiziert. Sie meinte, sie müsse das Gesetz ändern, was ich für Unsinn halte. Sie hätte sie ratifizieren sollen, und dann hätte man in den Richtlinien für das Strafverfahren, also für alle noch Berufsanfänger bei der Staatsanwaltschaft deutlich machen sollen, dass es auf den entgegenstehenden Willen ankommt, nicht auf die Intensität der Gewalt, im Sexualstrafrecht. Ich bin mir sicher, dass dies gereicht hätte, denn wir leben in einer Kultur, in der "Nein heißt nein" eigentlich selbstverständlich ist. Diesen Satz bestreitet niemand mehr.
Kassel: Die emeritierte Strafrechtsprofessorin Monika Frommel über das neue Sexualstrafrecht, das in ihren Augen in weiten Teilen unnötig und in einigen Teilen sogar verfassungswidrig ist. Frau Frommel, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Frommel: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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