Sexualaufklärer als ideologische Hassfigur

Von Tamara Tischendorf · 06.05.2008
Am 10. Mai 1933 verbrannten die Nationalsozialisten auf dem Opernplatz in Berlin Bücher bedeutender Autorinnen und Autoren wie Anna Seghers, Franz Werfel oder Stefan Zweig. Als Auftakt zur Bücherverbrennung plünderten Studenten, die mit dieser Aktion ihre Treue zur NS-Ideologie unter Beweis stellen wollten, das 1919 vom jüdischen Mediziner Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft - in den Augen der Nationalsozialisten ein Hort der Unzucht. Eine Ausstellung der Magnus-Hirschfeld Gesellschaft im Medizinhistorischen Museum der Charité mit dem Titel "Sex brennt" erinnert jetzt an diese Zeit.
"Am 06. Mai wurde mein Institut von Nazistudenten geplündert, am 10. Mai auch der größte Teil unserer Bibliothek und meine Büste von Isenstein auf dem Scheiterhaufen geworfen. Ich sah diese Vorgänge hier im Aktualitätenkino unter tiefster seelischer Erschütterung."

Magnus Hirschfeld ist gerade von einer längeren Weltreise zurück, als er aus den Medien von der Plünderung seines Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin-Tiergarten erfährt. Eine Weltreise, die für den jüdischen Mediziner im französischen Exil endet, wo er 1935 stirbt.

Gleich zwei Mal suchten nationalsozialistisch gesinnte Studententrupps das private Forschungsinstitut an jenem sechsten Mai vor 75 Jahren heim. Im Rahmen ihres - wie es in einer Pressemitteilung der Deutschen Studentenschaft heißt - "Aufklärungsfeldzugs wider den undeutschen Geist" konfiszierten die Plünderer rund zehntausend Bände.

Die Bibliothek des 1919 gegründeten Instituts war damals die größte sexualwissenschaftliche Bücherei der Welt. Ihre Bedeutung ging jedoch weit darüber hinaus: Schwulen, Lesben und Transvestiten diente das Institut als beliebter Treffpunkt - ein Hort der sexuellen Freiheit, das sexualpolitische Zentrum der Weimarer Republik. Im Unterschied zu vielen zeitgenössischen Sexualforschern begriff Magnus Hirschfeld seine Wissenschaft immer auch als Mittel im Kampf um sexuelle Emanzipation, sagt Rainer Herrn, der Kurator der Ausstellung:

"Sexualpolitisch hat er sehr viele Forderungen vertreten, von der Legalisierung der ärztlichen Abtreibung bis hin zur Verteilung auch von und Ermöglichung von sexueller Aufklärung und sinnvollen Schwangerschaftsverhütung und dem Schutz vor Geschlechtskrankheiten. Und er hat sich genauso für Transvestiten eingesetzt, aber vor allem auch für die Rechte Homosexueller - insbesondere für die Abschaffung des berühmt-berüchtigten Paragrafen 175. Das war eigentlich sein Einstieg und das war etwas, was mit den Geschlechterbildern der Nationalsozialisten, die wirklich im schlimmsten Sinne als homophob bezeichnet werden dürfen, überhaupt nicht in den Kram passte."

Bereits Anfang der zwanziger Jahre galt Hirschfeld in konservativen und rechtsextremen Kreisen als "Sittenverderber", "Apostel der Unzucht" und verhasste Gallionsfigur der Liberalität der Weimarer Zeit. In der Tagespresse wurde die Institutsplünderung rhetorisch von langer Hand vorbereitet und begleitet. Was mit der Schlagzeile "Magnus Hirschfelds Institut gesäubert" begann, gipfelte am 10. Mai in der öffentlichen Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin, der die Werke zahlreicher jüdischer Schriftsteller zum Opfer fielen:

Rainer Herrn: "Den einzelnen Autoren oder mehreren Autoren wurden Feuersprüche gewidmet. Bei Freud hieß es: 'Gegen die Überschätzung des seelenzerfasernden Trieblebens'. Bei Magnus Hirschfeld steht hier: 'Wir wollen keine Entsittlichung des Volkes, darum brenne, Magnus Hirschfeld!' Das ist also nochmal ein Beleg dafür, welche Bedeutung Magnus Hirschfeld im Grunde im Kontext der Bücherverbrennung zugedacht wurde bei den Nationalsozialisten."

Eine weit größere Bedeutung, als das öffentliche Gedenken an den Jahrestag der Bücherverbrennung Magnus Hirschfeld bislang eingeräumt hat.

Die Ausstellung "Sex brennt" rückt dieses verzerrte Bild auf intelligente Weise zurecht. Dokumentarische Objekte wie ein Abguss von Hirschfelds Büste, die bei der Rede des Propagandaministers Goebbels anlässlich der Bücherverbrennung neben dem Rednerpult stand und später ins Feuer geworfen wurde, werden dabei nur sparsam verwendet. Gleichermaßen setzen die Ausstellungsmacher auf die künstlerische Auseinandersetzung mit der Arbeit von Magnus Hirschfeld und auf kurzweilige didaktische Kunstgriffe:

Rainer Herrn: "Dessen ungeachtet haben wir für Jüngere auch eine Infoebene in Form von Bild-Text-Karten, die kleine Geschichten zu Hirschfeld erzählen, die wie ein Fries diese gesamte Ausstellungsarchitektur, die einzelne Räume bildet und selbst aus Papier ist, also jenem Material, was verbrannt wurde, die diese Ausstellungsarchitektur in Form einer Wand quasi nochmal einhüllen oder umlaufen, mäandern. Diese Karten finden sich am Ende in einer Auslage und man kann sich diese Karten mitnehmen, gratis sogar."


In den einzelnen Enklaven, die in Eran Schaerfs Wellpappewänden ausgespart sind, beschäftigen sich Künstler mit den einzelnen Tätigkeitsfeldern des Magnus-Hirschfeld-Instituts und regen dazu an, sein Werk wiederzuentdecken: Von der Sexualforschung über die Sexualaufklärung bis hin zur Sexualpolitik. Die in Berlin ansässigen Künstler Arnold Dreyblatt und Henrick Olesen etwa stellen Magnus Hirschfelds Leidenschaft fürs Sammeln und Klassifizieren ins Zentrum ihrer Werke - ebenso das Künstler-Duo Pauline Boudry und Renate Lorenz:

"Wir haben uns damit beschäftigt, dass Magnus Hirschfeld sehr stark Fotografie, Diashows eingesetzt hat in der Sexualwissenschaft als eine Art wissenschaftlicher Beleg und haben einige der Fotografien und Bildunterschriften abfotografiert und ausgestellt in der Ausstellung, die aber in dem Film auch wieder auftauchen in dem Film als eine Diashow."

In Lorenz und Boudrys Film "N. O. Body" steht ein Mann mit Bart, der aussieht wie Jonathan Meese im Puffärmelkleid, in einem Hörsaal vor einer Leinwand. Er mimt Annie Jones, eine Dame mit Bart, die Ende des 19. Jahrhunderts in US-amerikanischen Zirkuszelten für Aufsehen sorgte. Auf der Leinwand im Hintergrund: Das Bild einer Frau mit Schlips, die ihre Begleiterin auf Knien an der Leine herumführt, ein Transvestit im eleganten Abendkleid. Der Mann vor der Leinwand, Drag-Performer Werner Hirsch, blickt direkt in die Kamera und lacht lauthals:

Renate Lorenz: ""Lachen ist ja so eine Form, über die ja viel nachgedacht und geschrieben wurde und aus meiner Sicht auch so eine Ambivalenz produziert, die weder eindeutig der Zustimmung noch dem Widerstand zuzuordnen ist, sondern auch Kategorien der Binaritäten und Einteilungen unterläuft."

Die Ausstellung "Sex brennt" funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip: Sie lädt ein, anlässlich des fünfundsiebzigsten Jahrestags der Bücherverbrennung Hirschfelds vielschichtiges Denken neu zu entdecken ohne dessen Schwachstellen zu verschweigen.

Service:
Die Ausstellung "Sex brennt" - Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung ist vom 7. Mai bis 14. September 2008 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen.
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