Sexorgie und Technikschlacht

Von Jörn Florian Fuchs |
Am Ende war es wie bei fast allen Premieren in Mailand, die Stehplatz-Claqueure buhten sich die Kehle aus dem Leib, die Protagonisten auf der Bühne trugen's mit Fassung und der Großteil des Publikums eilte ohnehin rasch zur Garderobe.
Eigentlich müssten indes die Berlusconi-TV gestählten Italiener sehr zufrieden sein. Denn mehr pralle Erotik, mehr schwülen Sex, mehr Orgie gab es wohl noch nie an der Scala. Die katalanische Truppe La Fura dels Baus ist ja bekannt für das Ausreizen der Bühnentechnik, doch diesmal sprengt zumindest der erste Aufzug des "Tannhäuser" sämtliche Grenzen.

Da steht zunächst, ganz harmlos, eine große Hand herum. Zu der von Zubin Mehta (wie so manches an diesem Abend) äußerst wirkungsvoll gestalteten Ouvertüre beginnen die ein wenig phallisch wirkenden Finger plötzlich zu leuchten, zu glühen, in den Raum hinein zu transzendieren. Bald darauf fliegen eigenartige Raketenwesen durch die Luft, Landschaften entstehen und vergehen, Galaxien flimmern vorüber und als man sich gerade an diesen Bildersturm gewöhnen will, da erscheinen Frauenkörper mit gewaltigen Brüsten und als dann auch entsprechend gut gebaute Männer die Leinwände bzw. Gazevorhänge erobern, sind wir mitten in einer sehr langen und durchaus detaillierten Orgie. Bald kommen auch noch reale Menschen hinzu und damit lassen La Fura dels Baus sogar James Cameron hinter sich zurück, denn der schafft ja bekanntlich bei "Avatar" nur drei Dimensionen, hier sind es mindestens vier.

Irgendwann schält sich aus dem Ganzen Venus heraus, auch sie überzeugt mit weiblichen Reizen, die durch glitzernde Unterwäsche noch betont werden. Der Videorausch geht aber noch weiter, denn es rasen andere Sterne, Planeten, Sonnen und sogar Albert Einstein vorbei. Schließlich treffen Erde und Venus sowie Feuer und Wasser aufeinander, die große Hand wird nebenbei mittels Live-Painting verschönert und zeigt mal Sternzeichen, mal kryptische Symbole. An dieser Stelle hat man schon längst jeglichen Orientierungssinn verloren, erst als der Schluffi im schwarzen T-Shirt zu krakeelen beginnt, da erinnert man sich, ach ja, eigentlich ist das ja Tannhäuser, der den Fängen der Liebesgöttin entkommen will. Das schafft er auch, trotz einer weiteren, bezaubernden Dame an der Harfe.

Und schwups taucht eine trübe Herrengesellschaft mit mächtigen Hirschgeweihen auf, offenbar sind das die Sangesfreunde, denen Tannhäuser einst entlief. Bis hierher mag man dem Bilder- und Ideenreichtum der Fura durchaus folgen, ja man kann sich diesem zirzensischen Überwältigungstheater gar nicht entziehen. Doch dann folgen leider noch zwei Akte.

Nun begegnen wir Elisabeth, die wie eine kleine Schwester der Venus wirkt, auch sie glitzert und funkelt und trägt sogar ein Diadem. Sie wundert sich ein bisschen über die sehr bunte Karnevalstruppe, die der Preisliedschlacht zwischen Tannhäuser, Biterolf und Wolfram beiwohnt. Die Schlacht findet leider vorwiegend im Stehen, an der Rampe, statt.

Akt Drei bietet weitere Flugstunden des Bühnenpersonals, den hinduistischen Elefantengott Ganesha als Anheizer einer erneuten Orgie, viel Herumgestehe, Papst Johannes Paul II. auf einem Video und am Schluss den Pilgerchor mit allseits ergrünten Wanderstäben. Das ist dann ebenso platt wie banal und irgendwie wirklich schade – bei dem ganzen Aufwand.

Auch musikalisch blieben am Premierenabend einige Wünsche offen. Robert Dean Smith stemmte sich redlich, aber vor allem im ersten Aufzug recht erfolglos durch die Titelpartie, Julia Gertseva gab eine nicht nur vokal sehr grelle Venus. Ausgezeichnet dagegen Roman Trekel als Wolfram, Georg Zeppenfeld als Landgraf sowie die auf mehreren Ebenen äußerst charismatische Anja Harteros als Elisabeth.