Sexismus: Schön, dass wir mal drüber geredet haben!
Im Januar schrieb eine "Stern"-Reporterin über anzügliche Bemerkungen des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle und löste damit eine Sexismusdebatte aus. Viel ist davon aber nicht übrig geblieben, meint die Journalistin Anette Schneider. Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau bei Machtpositionen und Gehalt setzt sich fort.
Völlig unerwartet tauchte Anfang des Jahres ein bis dahin offenbar für ausgestorben gehaltenes Ungeheuer auf: Der Sexismus.
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Im Jahr 2013!
Ein Aufschrei ging durchs Land. Man empörte sich - jedenfalls so lange die Auflagen und Quoten stimmten. Doch je mehr Titelseiten sich dem Thema widmeten, je häufiger sich in Gesprächsrunden bekennende und geläuterte Machos neben bekennende und geläuterte Feministinnen setzten, desto irritierender wurde das Ganze: Man gab sich überrascht, betroffen, entsetzt.
Eigene Erfahrungen wurden ausgetauscht. Cicero fragte dümmlich-provozierend: "Sind wir nicht alle ein bisschen Brüderle?". Entwicklungsminister Niebel forderte eine "Debatte über Sexismus gegen Männer". Und Wibke Bruhns, erste bundesdeutsche Nachrichtensprecherin in einer Männerwelt, erklärte: "Männer sind Stiere, Frauen sind Kühe, das ist nun mal so".
Natürlich, es gilt noch immer: Sex sells. - Aber eben nur, wenn man an der Oberfläche bleibt. So wurde Sexismus vornehmlich auf den Blick ins Dekolleté und auf individuelle Erlebnisberichte reduziert. Als Ursache für sexistisches Verhalten diagnostizierte man "persönliche Unreife und menschliche Schwächen".
Entsprechend lauteten die Tipps zur Abhilfe, Männer müssten endlich lernen, sich zusammenzureißen. Frauen sollten früher den Mund aufmachen. Und Claudia Roth forderte noch: 50 Prozent Frauen in die Chefetagen - dann würde alles besser werden.
So einfach geht das - vorausgesetzt, man blendet gesellschaftliche Ursachen konsequent aus, ignoriert sexualisierte Medien, Werbung, Pornografie und Prostitution. Und überhört die wenigen Stimmen, die, wie etwa Hannelore Kraft oder Manuela Schwesig, darauf verwiesen, Sexismus sei ein Machtinstrument, und "deutlicher Ausdruck ... fehlender Gleichberechtigung der Frauen".
Aufklärung findet hierzulande eben nur noch im Biologieunterricht statt.
Nein, Sexismus ist nicht schlechtes Benehmen oder Folge mangelhafter Erziehung, sondern eine Methode, Macht auszuüben. Und diese Erkenntnis ist so alt wie die patriarchalisch-kapitalistische Wirtschaftsordnung. Bis heute sichert er hiesigen Unternehmern riesige Extraprofite: Für gleichwertige Arbeit erhalten Frauen 24 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen.
Wer ernsthaft über Sexismus reden will, kann nicht ignorieren, dass gesellschaftlich notwendige Berufe im Kinder-, Sozial-, Bildungs-, Kranken-, Pflege-, und Altenbereich noch immer als "typische Frauenberufe" herabgesetzt und entsprechend schlecht bezahlt werden.
Dass noch immer mehrheitlich Frauen Haushalt, Kinder, kranke und alte Familienmitglieder versorgen, und deshalb höchstens noch Zeit haben für einen unsicheren, schlecht bezahlten Teilzeit- oder 400-Eurojob. Und dass es noch - und wieder - etwas so Vorsintflutliches gibt wie Ehegatten-Splitting bzw. Herdprämie, genannt "Betreuungsgeld".
Wir reden also über Ausbeutung. Über die politisch gewollte, systematische Benachteiligung eines Geschlechts. Darüber, Frauen rechtlich zu schwächen, angreifbar und erpressbar zu machen, und so bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu zementieren.
Was aber wäre dagegen zu tun, meinten wir es ernst? 50 Prozent Frauen in Chefetagen? Natürlich! Vor allem aber: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit von zig Millionen Frauen in ganz "normalen" Berufen.
Und endlich Gleichberechtigung. Zum Beispiel auch, dass es bezahlbar wird, Kinder, Kranke und Alte zu versorgen. So wird Frau vom Druck befreit, für alles und jedes im Privaten verantwortlich zu sein. Sie hätte stattdessen Kraft und Zeit für ihren eigenen Weg.
Schön, dass wir mal über Sexismus geredet haben. Aber um ernsthaft gegen ihn vorzugehen, braucht es schon etwas mehr als den Appell, Mann möge sich endlich zusammenreißen.
Anette Schneider, Journalistin in Hamburg, schreibt für den Hörfunk, u.a. über Kulturthemen.
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Ein Aufschrei ging durchs Land. Man empörte sich - jedenfalls so lange die Auflagen und Quoten stimmten. Doch je mehr Titelseiten sich dem Thema widmeten, je häufiger sich in Gesprächsrunden bekennende und geläuterte Machos neben bekennende und geläuterte Feministinnen setzten, desto irritierender wurde das Ganze: Man gab sich überrascht, betroffen, entsetzt.
Eigene Erfahrungen wurden ausgetauscht. Cicero fragte dümmlich-provozierend: "Sind wir nicht alle ein bisschen Brüderle?". Entwicklungsminister Niebel forderte eine "Debatte über Sexismus gegen Männer". Und Wibke Bruhns, erste bundesdeutsche Nachrichtensprecherin in einer Männerwelt, erklärte: "Männer sind Stiere, Frauen sind Kühe, das ist nun mal so".
Natürlich, es gilt noch immer: Sex sells. - Aber eben nur, wenn man an der Oberfläche bleibt. So wurde Sexismus vornehmlich auf den Blick ins Dekolleté und auf individuelle Erlebnisberichte reduziert. Als Ursache für sexistisches Verhalten diagnostizierte man "persönliche Unreife und menschliche Schwächen".
Entsprechend lauteten die Tipps zur Abhilfe, Männer müssten endlich lernen, sich zusammenzureißen. Frauen sollten früher den Mund aufmachen. Und Claudia Roth forderte noch: 50 Prozent Frauen in die Chefetagen - dann würde alles besser werden.
So einfach geht das - vorausgesetzt, man blendet gesellschaftliche Ursachen konsequent aus, ignoriert sexualisierte Medien, Werbung, Pornografie und Prostitution. Und überhört die wenigen Stimmen, die, wie etwa Hannelore Kraft oder Manuela Schwesig, darauf verwiesen, Sexismus sei ein Machtinstrument, und "deutlicher Ausdruck ... fehlender Gleichberechtigung der Frauen".
Aufklärung findet hierzulande eben nur noch im Biologieunterricht statt.
Nein, Sexismus ist nicht schlechtes Benehmen oder Folge mangelhafter Erziehung, sondern eine Methode, Macht auszuüben. Und diese Erkenntnis ist so alt wie die patriarchalisch-kapitalistische Wirtschaftsordnung. Bis heute sichert er hiesigen Unternehmern riesige Extraprofite: Für gleichwertige Arbeit erhalten Frauen 24 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen.
Wer ernsthaft über Sexismus reden will, kann nicht ignorieren, dass gesellschaftlich notwendige Berufe im Kinder-, Sozial-, Bildungs-, Kranken-, Pflege-, und Altenbereich noch immer als "typische Frauenberufe" herabgesetzt und entsprechend schlecht bezahlt werden.
Dass noch immer mehrheitlich Frauen Haushalt, Kinder, kranke und alte Familienmitglieder versorgen, und deshalb höchstens noch Zeit haben für einen unsicheren, schlecht bezahlten Teilzeit- oder 400-Eurojob. Und dass es noch - und wieder - etwas so Vorsintflutliches gibt wie Ehegatten-Splitting bzw. Herdprämie, genannt "Betreuungsgeld".
Wir reden also über Ausbeutung. Über die politisch gewollte, systematische Benachteiligung eines Geschlechts. Darüber, Frauen rechtlich zu schwächen, angreifbar und erpressbar zu machen, und so bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu zementieren.
Was aber wäre dagegen zu tun, meinten wir es ernst? 50 Prozent Frauen in Chefetagen? Natürlich! Vor allem aber: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit von zig Millionen Frauen in ganz "normalen" Berufen.
Und endlich Gleichberechtigung. Zum Beispiel auch, dass es bezahlbar wird, Kinder, Kranke und Alte zu versorgen. So wird Frau vom Druck befreit, für alles und jedes im Privaten verantwortlich zu sein. Sie hätte stattdessen Kraft und Zeit für ihren eigenen Weg.
Schön, dass wir mal über Sexismus geredet haben. Aber um ernsthaft gegen ihn vorzugehen, braucht es schon etwas mehr als den Appell, Mann möge sich endlich zusammenreißen.
Anette Schneider, Journalistin in Hamburg, schreibt für den Hörfunk, u.a. über Kulturthemen.